Steff. Bernt Danielsson

Steff - Bernt Danielsson


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diese Dreizehnjährigen, von denen im Fernsehen berichtet wurde. Ist wahrscheinlich egal, was sie in sich hineinlaufen lassen. Hauptsache, sie werden stockbesoffen und mutig genug, um den Blick von den Latschen zu heben. Und wenn sie zu fünfzehnt sind, dann trauen sie sich vielleicht, die 65jährige Tante vom Zeitungskiosk auszurauben. Sie sniffen bestimmt Klebstoff und Verdünner und testen am laufenden Band irgendwelche Drogen.‘

      „Das kann passieren“, sagte Theodor und entließ einen Rülpser, der Stephanie genau im Gesicht traf, er stank nach abgestandenem Knoblauch und hatte außerdem einen scharfen, metallischen Geruch – es roch fast wie Essig, fand sie.

      Wenn sie schon einmal eine frischgekochte Marinade auf der Basis von Weißweinessig gerochen hätte, dann hätte sie vielleicht sagen können, daß so Theodors Rülpser roch.

      „Wie ‚Das kann passieren‘?“ fragte sie spitz.

      „Tja, man könnte auch sagen: So ist das Leben oder c’est la vie oder that’s life oder ... Ähm, ich konnte es auch einmal auf griechisch, aber das habe ich vergessen ... Was ich damit sagen will, das ist zwar alles ziemlich traurig, aber wieso bist du auf die Idee gekommen, mich aufzusuchen?“

      Sie zuckte mit den Schultern, legte die Unterarme auf die Tischkante und starrte ziellos einen braungelben Fleck auf dem blau-weiß-karierten Küchentuch an. Sie sagte nichts. Sie starrte ihn sehr lange an und war völlig stumm.

      Theodor schaute sie erstaunt an und lehnte sich zurück.

      „Japanischer Senf“, sagte er, mehr um etwas zu sagen, denn wenn sie nichts sagte, fühlte er sich tatsächlich etwas ‚ähm ... etwas komisch irgendwie, nicht direkt unbehaglich, aber vielleicht ein bißchen ...‘

      Peinlich berührt?

      ‚Nein, verdammt, überhaupt nicht, aber es ...‘

      „Was?!“ rief sie aus.

      „Japanischer Senf. Karashi. Stark wie der Teufel, aber ...“

      „Was redest du eigentlich?“

      Ihre bisher so sanfte Stimme klang überhaupt nicht mehr unschuldig weich und honigzart. Und die großen Augen – ‚vielleicht sind sie doch blau‘ – sahen direkt gefährlich aus.

      „Der F-f-fleck“, stotterte er. „Du hast auf den Fleck gestarrt, es ist ein Senffleck ...“

      „Ich verstehe überhaupt nicht, warum ich mich so angestrengt habe“, sagte sie und seufzte. Es war so ein richtig abgrundtiefer Seufzer, der alle Anwesenden in Theodors Seufzerabteilung vor Neid abgrundtief aufseufzen ließ.

      Es war genau so ein Seufzer, den sie immer wieder hinzukriegen versuchten. Den Seufzer aller Seufzer, der ein für allemal das ausdrücken sollte, was ein Seufzer eben auszudrücken hat: Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit, Handlungsunfähigkeit, Verzweiflung und gleichzeitig eine Art grundsätzlicher Wut über den Zustand der Dinge, die Armseligkeit des Lebens, das unmenschliche Gesicht der Weltgeschichte, über die kurzsichtige Dummheit und Gleichgültigkeit der Menschen, über ihre unglaubliche Grausamkeit und Bosheit, über die rücksichtslose Profitgier, die die Natur verunreinigte, den Himmel vergiftete und das Leben für alle Tiere und Menschen verkürzte, und vor allem über all die unerträglichen, einfältigen Knallköppe, die einem das Leben verpesteten.

      „Ich auch nicht!“ fauchte Theodor und stand auf.

      „Was ‚Du auch nicht‘?“ fragte Stephanie, weil sie während der umständlichen Ausführungen seiner Seufzerabteilung vergessen hatte, was sie gesagt hatte.

      „Ich weiß auch nicht, warum du dich so angestrengt hast und ...“

      „Aber begreifst du denn nicht? Er muß wiederkommen, sonst geht es übel aus mit Ricky, ich muß etwas tun und ...“

      „Das Beste, was du tun kannst, ist, ihn zu vergessen“, rief Theodor, aber sie hörte nicht, was er sagte, denn in dem Moment lief er mit dröhnenden Schritten die Treppe hinunter.

      Nach einigen merkwürdig kratzenden Geräuschen kam er wieder hochgelaufen. Als er sich setzte, steckte er eine lange, schmale Zigarre zwischen die Lippen und klapperte mit einer Streichholzschachtel.

      „Was hast du gesagt?“

      „Ich habe gesagt: das beste [pult sehr konzentriert eines von drei Streichhölzern aus der Schachtel, und es gelingt ihm nach mehreren Versuchen, es an der abgenutzten Reibfläche anzuzünden], was du tun kannst [zündet die Zigarre an und zieht so übertrieben daran, daß die Backen hohl werden], ist [die Zigarre glüht, und Theodor bläst eine große, hellgraue Rauchwolke quer über den Tisch und trifft sie mitten im Gesicht], ihn zu vergessen. Und das ist ...“

      „Ricky!?“ unterbrach sie ihn schockiert und wollte ihren Ohren nicht trauen.

      „Ja, sicher. Und wenn du dann ...“

      Sie starrte ihn voller Abscheu an und hoffte, ihre Augen würden ganz fürchterlich blitzen und sehr deutlich ausdrücken, daß sie fand, er sei das Ekligste und Widerlichste, was sie je getroffen hatte – und übrigens auch das Dümmste. Sie konnte wahrhaftig nicht mehr verstehen, warum sie gefunden hatte, daß es schön war, diesem Vollidioten alles erzählen zu können. Aber das hatte sie gefunden. Auch wenn es anstrengend war und schrecklich und alles, so hatte sie doch eine Art ... eine Art – sie konnte das richtige Wort nicht finden – empfunden.

      Vielleicht suchte sie nach dem Wort „Vertrauen“, aber das wird ja heutzutage nicht mehr allzu oft verwendet, es ist also kein Wunder, daß sie es nicht fand.

      Aber es spielte keine Rolle, daß sie das Wort nicht fand, im Moment haßte sie den Kerl ganz einfach, und das reichte. Als sie aufstand, schob sie den Stuhl so heftig wie nur möglich zurück.

      „Vielen Dank“, unterbrach sie ihn wieder und versuchte, den Tonfall nachzuahmen, den Ricky immer den Lehrern gegenüber hatte.

      „Nichts zu danken“, sagte Theodor und paffte eifrig seine Zigarre, zuckte mit den Schultern und schaute den großen Ahorn an. „Wenn du mich also nicht zu Ende reden lassen willst, sondern mich dauernd unterbrichst, dann mußt du dich eben hiermit zufriedengeben. Normalerweise nehme ich fünfhundert für eine Konsultation, aber weil du noch so jung bist und das Problem so einfach ist, gebe ich mich zufrieden, wenn ich den Hunderter und die vier Kronen bekomme, die du in der Tasche hast. Den Kronkorken kannst du behalten.“

      „Glaubst du, daß ich auch nur eine ...“, fing sie an, kam dann aber völlig durcheinander.

      Sie schaute ihn an und begriff überhaupt nichts mehr – die Gedanken blieben einfach stehen und torkelten in ihrem Kopf herum und fragten immer wieder, wo denn der Notausgang sei.

      „Wie ...“,

      sagte sie mit flüsternder Stimme, bewegte den Kopf, so daß ihre Haare, die wie ein schwarzer, schlanker Nerz auf ihrer Schulter gelegen hatten, mit einem Ruck gegen den Rücken der Jeansjacke geschleudert wurden (sie hatte sie nicht ausgezogen – sie fühlte sich sicherer, obwohl ihr warm geworden war und sie sogar ein bißchen geschwitzt hatte, was sie sonst nie tat). Die Bewegung war in gewisser Weise dazu gedacht gewesen, die Gedanken zu entwirren und zu klären und zu sammeln, aber das taten sie nicht – im Gegenteil, sie fielen dauernd wieder um.

      Wie konnte er ...

      „Wie kannst du ...“, versuchte sie noch einmal mit der gleichen verblüfft zischenden Stimme.

      „Wie ich wissen kann, daß du hundertvier Reichstaler in deiner albernen Alpengeldbörse hast? Weil ich Detektiv bin, deshalb. Und die brillante Deduktion – das bedeutet Schlußfolgerung – ist ein Beispiel für meinen unglaublichen Tiefsinn, meine unübertreffliche Urteilsfähigkeit und mein beinahe magisches Investigationsvermögen, und das sollte mehr beweisen als eine lächerliche kleine Ausweiskarte aus Plastik, nach der du gefragt hast.“

      „Ich verstehe überhaupt nicht, was du sabbelst.“

      „Nee, das sieht man dir an. Du siehst unglaublich bescheuert aus, wenn ich ehrlich sein soll. Setz dich hin und laß mich zu Ende reden.“

      „Du


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