Steff. Bernt Danielsson

Steff - Bernt Danielsson


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ist doch klar“, sagte sie störrisch und schaute in ihren Kaffeebecher.

      „Gut“, nickte er zufrieden, hob noch einmal das Glas zum Mund, gurgelte wieder ein Weilchen, schluckte und fragte:

      „Willst du bestimmt nichts haben?“

      Er zeigte auf das letzte Stück, das er von dem Lammbraten losgeschält hatte. Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf.

      „Selber schuld. Weiter, weiter“, sagte er und legte sich das letzte Stück auf seinen Teller.

      Dann hatte er sich schmatzend die Finger abgeschleckt und war in sein Essen vertieft gewesen, während sie weitererzählte. Und nun faßte er also ihre sorgfältige Berichterstattung mit dem Satz ‚Der Vater von deinem Freund ist verschwunden‘ zusammen.

      ‚Irgendwie stimmt es ja auch – aber trotzdem‘, dachte sie und schaute zu, wie der Briefträger breit grinsend einige Postkarten las, ehe er sie in den Kasten fallen ließ. ‚Ganz so einfach ist es nicht.‘

      Theodor Bach wußte natürlich auch, daß es nicht so einfach war. Er fand, daß alles fürchterlich kompliziert klang, und dachte darüber nach, wie er es ihr erklären sollte. Denn es war ja kein Geheimnis, daß das absolut nichts für einen autorisierten Privatdetektiv war. Schon nach einer Viertelstunde hatte er sie unterbrechen und es ihr direkt sagen wollen. Aber wie sollte er es ihr erklären – genau das war so kompliziert –, und würde sie verstehen, was er meinte?

      ‚Wieviel versteht man eigentlich, wenn man sechzehn ist?‘

      Vermutlich mehr, als die meisten glauben – genau wie man viel weniger kapiert, wenn man fast fünfundzwanzig Jahre älter ist.

      ‚Ja, so ist es wohl.‘ Wie auch immer, sie hätte ja nicht dasitzen und eine geschlagene Stunde ihre Ausführungen herunterleiern brauchen, die sie außerdem nur mit Mühe herausbekam. Sie stotterte und stammelte, wußte nicht, wohin mit den Händen, ihr Blick flackerte fürchterlich, sie wurde ständig rot und schien alle brennenden Höllenqualen der Pubertät auf einmal zu durchleiden.

      Es war natürlich ziemlich gemein, ihr nicht zu helfen, aber sie hatte so eine schöne Stimme, er hatte schon lange keine so schöne Stimme mehr gehört. ‚Sie singt bestimmt sehr schön‘, dachte er. ‚Vielleicht wartet da sogar eine Karriere auf sie.‘

      Ihr so gegenüberzusitzen, während der Nebel sich lichtete und die Strahlen der Novembersonne mit dem Herbstlaub spielten und langsam über das verdreckte Küchenfenster glitten, den ausgezeichneten Lammbraten zu essen und dabei ihren umständlichen Ausführungen zuzuhören, kleine kristallglitzernde Schweißtropfen auf ihrer glatten Stirn hervortreten zu sehen, ihre daunenweichen Wangen anzuschauen, ihre gerade Nase die Farbe wechseln zu sehen wie eine falsch programmierte Verkehrsampel, zu hören, wie sie schluckte, Luft holte und sich gleichsam Mut erkämpfte, um mit ihrer Erzählung fortfahren zu können – ja, das war wirklich ziemlich angenehm.

      ‚Es tut weh, wenn die Knospen aufplatzen‘ dachte er und kicherte in Gedanken, ‚aber es klingt verdammt noch mal nicht schlecht. Und das Gleichnis mit der kaputten Ampel war auch gar nicht so übel. Nein, richtig gut, bisher eines der besten. Verglichen mit dem angestrengten Vergleich von der weißen Katze und dem an den Haaren herbeigezogenen Ölbohrturm ist es richtig spitzenmäßig.‘ Sie wechselte nämlich wirklich von Knallrot über eine Art Orange zu einem schwachen Grünschimmer (man konnte fast meinen, daß ihr übel war), während sie erklärte, wie alles zusammenhing.

      So ungefähr hing also alles zusammen (wenn er es nicht falsch verstanden hatte):

      Stephanie war mit einem Jungen zusammen (wie sie sagte), der Ricky Nilsson hieß und in die Parallelklasse der gleichen Schule wie sie ging. Sie gingen miteinander (wie sie es später nannte), schon seit Januar.

      Bei ihr klang das so, als ob schon bald goldene Hochzeit gefeiert würde –, ‚und für eine Sechzehnjährige ist ein gutes halbes Jahr sehr lang‘, dachte er und wurde neidisch.

      Es war offenbar ein schwieriges und zugleich stürmisches Verhältnis – nicht, daß sie viele Einzelheiten erzählt hätte, aber was sie errötend berichtete, schien unglaublich viel weiter gegangen zu sein, sowohl auf körperlicher wie auf seelischer Ebene, als alles, was er von seinen Verhältnissen (‚ja, Plural ist ganz richtig‘), als er sechzehn war, erinnern konnte.

      Nach einem Monat des glitzernden Verliebtseins hatte es sich so zugespitzt, daß sie Schluß gemacht hatte, aber später im Frühjahr hatte es wieder gefunkt zwischen den beiden, und sie waren den ganzen Sommer über jeden Tag zusammengewesen.

      Er konnte sie richtig vor sich sehen: Eng umschlungen schlendern sie über kahle Felsen irgendwo auf einer Insel draußen in den Schären, die Sonne glitzert in den Wellen und in den Metallbeschlägen des vertäuten Segelboots und allen unbegreiflichen Haken, Schrauben, Griffen und Muttern. Und dann, wenn die heißflimmernde Sonne allmählich hinter dem Horizont versinkt: täppische Zärtlichkeiten auf sonnenverbrannter Haut, die sich kräuselt, und ein junger Mensch mit Flaum auf der Oberlippe starrt erstaunt auf eine Brustwarze, die ...

      Ja, ja.

      Sie gingen immer noch miteinander, auch wenn es zur Zeit gerade etwas abgekühlt und problematisch war, der Grund dafür war, was sie so umständlich zu erklären versuchte: daß Rickys Vater verschwunden war.

      Theodor fand, daß man die Sache eigentlich so nicht ausdrücken dürfe, wenn ein Mensch einen Abschiedsbrief geschrieben und deutlich erklärt hatte, daß er „an einen unbekannten Ort verreisen“ würde, er es wolle und müsse, nicht die Absicht habe zurückzukommen und sie absolut nicht nach ihm suchen sollten; er außerdem hoffe, daß Ricky eines Tages verstehen würde, warum, und ihm verzeihen könnte.

      ‚Der Typ hatte vermutlich von allem die Schnauze voll – von der Arbeit, seiner Ex-Frau, seinem Taugenichts von Sohn, der bestimmt fraß wie ein Wolf, wo doch das Essen jeden Tag teurer wurde, von dem Scheißfernsehprogramm – und war einfach abgehauen.

      Ich kann ihn so gut verstehen.

      Oder er hatte Selbstmord begangen – aber sie hatten offenbar noch keine Leiche gefunden, und das war immerhin ein gutes Zeichen.‘

      Rickys Eltern hatten sich scheiden lassen, als er zehn war, und in den ersten Jahren hatte er bei seiner Mutter gewohnt. Aber als sie sich mit einem megawiderlichen Typ wieder verheiratet hatte, war er nach einem Haufen Ärger wieder zu seinem Vater gezogen. Und da hatte er seither gewohnt.

      Stephanie zufolge verstanden sie sich prima (der Vater und Ricky also), und Ricky mochte ihn sehr gern, und er (der Vater) mochte Ricky sehr gern. Alles war also in Butter, der alleinerziehende Vater kümmerte sich um den Sohn und die Dreizimmerwohnung und das Kochen und seine Arbeit, alles ohne größere Mühe.

      ‚Genau das habe ich mir gedacht‘, dachte Theodor und schnaubte in Gedanken verächtlich über alle alleinerziehenden Mütter und Väter, die er im Fernsehen hatte jammern und klagen hören, daß es unmöglich sei, alles zu schaffen – Arbeit, Haushalt und Kind. ‚Verfluchte Querulanten. Wie man sich bettet, so liegt man.‘

      Aber andererseits kann es nicht so kuschelmuschelwunderbar gewesen sein, denn sonst wäre das Folgende nicht geschehen:

      Als Ricky eines Abends Anfang August nach Hause kommt, findet er den Abschiedsbrief seines Vaters und bricht zusammen. Die ziemlich hölzern geschriebenen Zeilen „schlagen seine ganze Welt in Scherben“ (der unglaublich begabte Journalist der Lokalzeitung ist für die Wortwahl verantwortlich, nicht Stephanie), und dann geht es mit unglaublicher Geschwindigkeit bergab – ja geradewegs zur Hölle. Ricky wird barsch und mürrisch und sauer und schlechtgelaunt und hoffnungslos und abweisend und störrisch und wütend und überhaupt furchtbar und gewalttätig und verärgert und trifft sich mit einer Bande shitheads (das war ihr Ausdruck, nicht Theodors), die bestimmt einen Haufen ekelerregender Sachen machen (das waren Theodors Worte, nicht Stephanies).

      ‚Das sind bestimmt die, die in umgedrehten Basketballmützen oder Mönchskutten herumlaufen‘, dachte Theodor, ‚und sie haben immer so noppige graue Hosen an mit Hängeärschen und ausgebeulten Taschen, in denen sie ihre gemeinen


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