Religion – Eine Zukunft für die Zukunft. Anand Buchwald

Religion – Eine Zukunft für die Zukunft - Anand Buchwald


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Gottheit hinausgingen, auch der erste Versuch, religiöse Erfahrungen, die der eine oder andere vielleicht gemacht hat, anderen interessierten Menschen zu vermitteln und Möglichkeiten auszuarbeiten, dem Geheimnis des fernen Göttlichen und den Gottheiten selbst näher zu kommen, nicht unbedingt nur um sich deren Gunst zu erkaufen, sondern auch weil man zu seinem Ursprung und der verlorenen Einheit zurückfinden wollte.

       Besonders ausgeprägt war dies in der indischen Götterwelt, die hochkomplex war, aber doch eine große, individuelle Flexibilität und Freiheit erlaubte und die ohne eine zentrale Organisation auskam. Die Gottheiten eines Pantheons entsprechen, wenn sie nicht eine Naturgewalt widerspiegeln, menschlichen Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsaspekten, und mehr noch als bei den griechischen Mysterienschulen, die sich als tiefergehender Zweig der Religion etablierten, entwickelten sich im aufkommenden Hinduismus neben der ritualisierten Religion Schulen, die intensiv mit diesen einzelnen Aspekten arbeiteten und sie zu einem Instrument der Persönlichkeitsentwicklung und der Selbstfindung machten und darüber hinaus zu einem Mittel, Gott näher zu kommen, ihn zu finden und mit ihm eins zu werden. In dieser Hinsicht war der Hinduismus schon früh sehr modern, denn zur Zeit seiner Entfaltung war in der übrigen Welt, statt einer freundschaftlichen und liebevollen Beziehung, die Furcht vor Gott und die Empfindung seiner Unnahbarkeit vorherrschend. Gleichzeitig entwickelte sich auch eine Kosmologie, die einen riesigen Pantheon mit einer obersten Gottheit aufwies, bei dem die einzelnen Götter zumindest unterschwellig, vor allem von den Menschen, die sich intensiver mit der Religion befassten, als Auswüchse, Ausformungen, Aspekte oder Verkörperungen Brahmans, der damit höchsten und einzigen Gottheit, betrachtet wurden. Durch diese Auffassung war der Hinduismus anderen Religionen gegenüber sehr tolerant und sogar akzeptant, solange sie nicht versuchten, ihn zu verdrängen, zu unterdrücken oder gar auszulöschen. Von seinem Wesen her, sozusagen in seiner Tiefe, kann man ihn darum, trotz seines äußeren Erscheinungsbildes, als eine monotheistische Religion betrachten, in der die Aspekte des Göttlichen in Form von Gottheiten personalisiert sind.

       Im alten Ägypten, in dem eigentlich Amun-Re eine Brahman vergleichbare Stellung einnahm, versuchte der Pharao Echnaton einen sichtbaren Ein-Gott-Glauben zu etablieren, indem er Aton zur obersten Gottheit erhob und versuchte, die anderen Götter in ihrer Bedeutung herabzusetzen oder sie ganz verschwinden zu lassen. Aber für einen ausschließlichen und offensichtlichen Monotheismus, wie wir ihn heute kennen, war das Bewusstsein der damaligen Zeit noch nicht hinreichend gereift. Nach Echnatons Tod versandeten die Bemühungen um die Etablierung einer ausschließlichen Gottheit.

       Etwa zur selben Zeit begann sich das Judentum herauszubilden, bei dem vermutlich eine der vielen damaligen Gottheiten, JHWH, erfolgreich zur alleinigen Gottheit aufstieg und das jüdische Volk regelrecht auf sich einschwor, so dass es sich gegen alle anderen Glaubensrichtungen und Gottheiten abschottete und den sich entwickelnden Glauben im Wesentlichen unverändert bis heute bewahrt hat. Diese Unduldsamkeit gegen anderen Göttern führte auch zu einer Unduldsamkeit gegenüber anderen Religionen, die sich in gewissem Maß auf die beiden anderen aus dem Judentum entstandenen monotheistischen Religionen, das Christentum und den Islam, übertrug, die sich jeweils als Weiterentwicklung voneinander betrachten und auf die jeweiligen Vorgänger bisweilen offen oder versteckt herabschauen.

       Diese Herablassung scheint allen offensichtlich monotheistischen Religionen gemein zu sein und zu einem sehr eng gefassten und ausschließlichen Gottesbild und zu einer sehr ritualistischen und starren Religionsauffassung geführt zu haben, in der Gott eine fast menschlich begrenzte, aber unveränderliche Persönlichkeit hat und seine Aussagen ewig, unveränderlich und absolut allgemeingültig sind. Das bedeutet, dass es innerhalb dieser Religionen keinen großen Spielraum mehr für Veränderung, Neubewertung, Ausweitung und Evolution gibt. Gott ist festgelegt und der Mensch ebenso. Und das ist auch mit ein Grund, weshalb nicht nur die drei großen monotheistischen Weltreligionen, sondern fast alle organisierten Religionen vielen Veränderungen oft fast feindselig gegenüberstehen und vor allem die drei abrahamitischen Religionen Gott unnahbar in die Ferne rücken und eine innere, freundschaftliche oder gar liebende Beziehung zu und mit ihm nicht gerade fördern, sondern sie allenfalls wenigen Mystikern vorbehalten.

       Auch wenn das Gebiet der Religion ganz allgemein eine Evolution durchläuft, so scheint das für die einzelnen Religionen kaum zu gelten. Vor allem monotheistische Religionen sind hier deutlich starrer, was auch daran liegt, dass sie sich in der Regel auf eine heilige Schrift stützen, die auf Unfehlbarkeit und nicht auf Plastizität ausgerichtet ist, und zum Teil auch auf einen Kodex von Entscheidungen und Interpretationen, der im Laufe der Existenz einer Religion angewachsen ist und der Festlegungen enthält, die einer früheren Religionsauffassung geschuldet sind, aber im Licht neuerer Entwicklungen überholt erscheinen. Solche Dinge abzuschaffen oder zu relativieren, würde viele ideologische Winkelzüge erfordern oder bedeuten, frühe Fehler in der Religion zuzugeben. Nicht zuletzt durch die Aufklärung hat, vor allem in der westlichen Welt, das Bewusstsein eine deutliche Entwicklung erfahren, und die Welt und die Dinge werden rationaler betrachtet. Die soziale Evolution hat an Geschwindigkeit zugenommen, wurde aber durch religiöse Dogmen und Einschränkungen in Verbindung mit einem wuchernden Kapitalismus, der bislang zu keinem ernsthaften Weckruf der Religionen geführt hat, behindert und verzerrt, so dass wir nicht auf der Höhe unserer Möglichkeiten leben.

       Aufgabe der Religion wäre es, das soziale Wachstum zu unterstützen und allen Entwicklungen zur Seite zu stehen, indem sie alles fördert, was dem Menschen Frieden und Liebe bringt und ihn näher zu Gott führt. Statt dessen perpetuiert sie Unzufriedenheit, indem sie zum Beispiel im Fall der christlichen Religion die Scheidung verweigert, was etwa im Fall von Heinrich VIII. zu zwei geköpften Frauen und zur Abspaltung der anglikanischen Kirche führte. Und bis heute dämonisieren die meisten großen Religionen mit einem sehr dürftigen theologischen Unterbau die vor allem männliche Homosexualität, manchmal mit einem Eifer, als wäre dieses Thema eine religiöse Grundlage. Oder es werden im äußersten Widerspruch zum innersten Wesen der Religion Waffen gesegnet, Gewalttaten motiviert, Kriege gefördert oder gar gefordert.

       Der moderne und im Bewusstsein gewachsene und mit einem humanistischen Selbstverständnis ausgestattete Mensch scheint meist besser befähigt, die wahren Werte einer Religion zu verstehen und auch umzusetzen und auszudrücken, als die meisten religiösen Würdenträger. Was sie nicht verstehen können, ist die Engstirnigkeit, die viele Religionen ausmacht, ihre Inflexibilität und dass sie bisweilen ihren tiefsten und offensichtlich verborgenen Überzeugungen zuwider handeln. Die Religion hat damit ihre moralische und gewissermaßen auch ihre religiöse Kompetenz verloren und wird von vielen Menschen, denen dieser Mangel an Evolution natürlich auf Dauer nicht verborgen bleibt, pauschal abgelehnt, sei es passiv-privat oder aktiv-öffentlich. Und das ist sicherlich zum Teil mit ein Grund, warum zum Beispiel in Deutschland bereits etwa jeder Dritte religionslos ist — mit steigender Tendenz. Dabei bedeutet „religionslos“ nicht unbedingt automatisch auch atheistisch, sondern zuerst einmal nur eine Lossagung von der organisierten Religion aus einem oder mehreren Gründen. Und solange sich die Religion sträubt, ihre eigentliche Aufgabe wahr- und anzunehmen und zu sich zu finden, wird sich dieser Vorgang der rationalen Abspaltung weiter fortsetzen.

       Da die Religion ihre eigentliche Aufgabe nicht ausfüllen kann oder möchte, treten in der weiteren Evolution nun zwei Entwicklungen auf, die erst einmal in entgegengesetzte Richtungen führen.

       Durch die Wahrnehmung der Mängel und augenscheinlichen Defizite der Religionen werden sie häufig als purer Aberglauben abgetan und als durchaus aktives Hindernis für alle Arten von Fortschritt empfunden, dem mit Entschiedenheit entgegengetreten werden und dem man mit einem wissenschaftlich geprägten Weltbild begegnen muss. Das kann direkt zu einem aggressiven Anti-Theismus führen, der in seinem Fanatismus dem religiösen Fanatismus in nichts nachsteht und der im Unterschied zu einem Atheismus, der sich durch einfaches Nicht-an-Gott-Glauben auszeichnet, als Glaubensrichtung, mit der Wissenschaft als seiner einzigen Gottheit, durchaus einen religiösen Charakter aufweisen kann. Er nimmt der Religion gegenüber die gleiche Haltung ein, die etwa die christliche Religion gegenüber der durch Galileo Galilei vertretenen Wissenschaft eingenommen hat. Das atheistische Wertesystem kann von einem fundierten Humanismus bis zu einer unnachgiebigen, technokratisch und kapitalistisch geprägten Welt- und Lebensauffassung reichen.

       Darum kann man nicht pauschal sagen, dass die eine oder andere Auffassung den Menschen und die Welt in eine


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