Anselmo - ein Kindersoldat in Mosambik. Mecka Lind
sein kleiner Bruder hier gewesen wären. Schließlich gibt er auf und geht zu den anderen zurück. Vielleicht ist sie schon wieder dort. Vielleicht ist sie aus einer anderen Richtung gekommen.
Als er sich der Gruppe nähert, sieht er erstaunt, dass die Frauen schon mit ihren Bündeln und Wasserkanistern auf dem Kopf zum Gehen bereitstehen. Sie weichen seinen fragenden Blicken aus.
»Ich finde sie nicht«, sagt er mit dünner Stimme. »Sie hat sich vielleicht verirrt. Sie sucht vielleicht nach uns.«
»Rosa hat sich nicht verirrt«, sagt Josina.
»Wenn die Banditen heute Nacht so nahe bei uns waren, dann sollten wir zusehen, dass wir weiterkommen«, sagt eine der Frauen.
»Nein«, sagt Anselmo mit einer Stimme, die vor Verzweiflung zittert. »Wir müssen sie zuerst finden. Viele müssen suchen, wir müssen uns verteilen, damit . . .«
Jemand beginnt zu gehen. Anselmo schaut verzweifelt bittend die Leute an, die in seiner Nähe stehen. Sind das ihre Freunde aus dem Dorf, ihre Nachbarn? Menschen, die sie ihr Leben lang gekannt haben. Frauen, die gesehen haben, wie sie geboren wurden und aufwuchsen. Jungen und Mädchen, mit denen Rosa, Lucinda und er selbst gespielt und gearbeitet haben.
Als er sich zu Josina wendet, sieht er, dass sie geweint hat.
»Sie ist deine beste Freundin«, sagt er. »Wie kannst du sie hier zurücklassen?«
»Anselmo«, sagt Josinas Mutter sanft, aber ernsthaft. »Rosa muss etwas zugestoßen sein. Sie wäre sonst hier. Sie kann gefangen genommen worden sein, und wenn das so ist, dann wird man sie zwingen, über uns zu berichten. Deshalb müssen wir weitergehen. Sonst stößt uns allen etwas zu. Und du und Lucinda, ihr kommt mit uns . . . ich weiß, dass Rosa das wollen würde.«
Anselmo hat plötzlich ein Gefühl, als ob alle Kraft aus ihm herausliefe. Sie sprechen von seiner Schwester, als ob sie schon tot wäre.
»Nein«, sagt er müde. »Geht nur. Ich bleibe hier und suche, bis ich sicher bin. Es kann sein, dass sie in der Dunkelheit gefallen ist und sich verletzt hat.«
»Dann soll wenigstens Lucinda mit uns mitkommen.«
»Ich bleibe bei meinem Bruder«, sagt Lucinda bestimmt. »Kommt uns so schnell wie möglich nach«, bittet Josinas Mutter, bevor sie sich umdreht und den anderen folgt.
Anselmo und Lucinda sehen sie verschwinden. Erst als das hohe Gras sich hinter ihnen geschlossen hat, machen auch sie sich auf den Weg, jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
9
Sie suchen den ganzen Tag, jedoch ohne Ergebnis. Als es Abend wird, nehmen sie das Bündel, das Rosa zurückgelassen hat, und den Wasserkanister, sie kauen ein wenig Mandioka, teilen eine Kokosnuss, trinken Wasser und legen sich zum Schlafen unter ein Gebüsch.
Am nächsten Morgen sieht Anselmo ein, dass sie aufgeben und weitergehen müssen. Aber nicht in die gleiche Richtung wie die anderen, zumindest nicht sofort. Er erinnert sich, dass er diesen Weg schon einmal gegangen ist . . . mit der Mutter. Sie haben Verwandte in einem Dorf in der Nähe besucht. Es ist zwar schon lange her, aber er hat das deutliche Gefühl, dass sie nicht weit entfernt von diesem Dorf sind.
»Ich finde, wir sollten zuerst dahin gehen«, sagt er zu Lucinda. »Sie wissen vielleicht etwas über diesen Stützpunkt.«
Jetzt, wo sie alleine sind, bewegen sie sich schneller und leiser, natürlich ständig mit hellwachen Sinnen. Schon am gleichen Nachmittag stehen sie auf einer Anhöhe, von wo aus sie auf das Dorf sehen können. Es ist völlig niedergebrannt.
Lucinda weint. Anselmo zieht sie resolut weg von dem Hügel mit der schrecklichen Aussicht.
»Die Banditen sind nicht hier in der Nähe«, versucht er sie zu trösten. »Hier gibt es nichts mehr zu holen für sie, und das wissen sie.«
Sie brauchen jedoch Wasser. Anselmo sagt zu Lucinda, sie solle sich im Gras verstecken, während er zum Dorf gehen wolle, um einen Brunnen zu suchen, aber sie protestiert so laut und nachhaltig, dass er sie mitnehmen muss.
Sie finden den Brunnen schon gleich am Rand des Dorfs. Sie trinken schnell, so viel sie können, und füllen dann ihren Wasserkanister. Sie gehen weiter und kommen an einigen Machambas mit Mandioka vorbei. Irgendjemand hat sie geplündert. Anselmo vermutet, dass es die Banditen waren. Zu seiner großen Freude sieht er, dass sie eine ganze Menge zurückgelassen haben. Lucinda stopft ihr Bündel voll, dann gehen sie weiter.
»Gehen wir jetzt zu diesem Stützpunkt?«, fragt sie.
»Ich habe keine Ahnung, wo der liegt«, antwortet Anselmo ehrlich. »Isak meinte, er wüsste, wo er liegt. Aber ich erinnere mich jetzt, dass Mama von einem Dorf erzählt hat, das ganz hier in der Nähe liegen muss. Wir sollten lieber nach dem suchen.«
»Und wenn das auch niedergebrannt ist, was machen wir dann?«
»Dann gehen wir in die Stadt. Dann gehen wir zu Onkel Miguel.«
Sie finden bald einen Weg und Anselmo hofft, dass der zu dem anderen Dorf führt.
Sie folgen den restlichen Tag diesem Weg und den ganzen nächsten Tag. Erst bei Sonnenuntergang des nächsten Tages erkennen sie die ersten niedergebrannten Hütten. Sie brauchen wieder Wasser, aber Anselmo meint, sie sollten erst in der Morgendämmerung ins Dorf gehen. Man hört zwar keinen Laut von dort, aber er hat gesehen, dass es im Dorf noch Hütten gibt, die nicht niedergebrannt sind.
»Sie haben vielleicht nur einen Teil des Dorfs verbrannt, wie bei uns zu Hause«, sagt er. »Die Überlebenden schlafen dann im Busch.«
»Oder sie sind geflohen genau wie wir«, seufzt Lucinda bedrückt.
»Einige bleiben immer zurück. Wie die Großeltern und der alte Alfredo. Die Alten können und wollen nicht mehr so viel laufen so wie wir.«
In den letzten Nächten haben Anselmo und Lucinda sich beim Schlafen abgewechselt. Anselmo hat die längeren Wachen übernommen. Er ist froh, dass Lucinda tagsüber so viel marschieren kann. Sie hat sich nicht ein einziges Mal beklagt. Er ist sehr stolz auf sie.
Hoffentlich treffen wir morgen Menschen, denkt er, jemanden, der etwas weiß. Wenn nicht, dann müssen wir die Richtung ändern und in die Stadt gehen. Das wird ein weiter Weg, weil wir die ganze Zeit in die entgegengesetzte Richtung gegangen sind.
Er sitzt da und schaut seine Schwester an, die unruhig ihren kurzen Schlaf schläft. Vielleicht wäre es besser für sie gewesen, wenn sie mit den anderen gegangen wäre. Aber andererseits . . . wer weiß, was ihnen widerfahren ist. Nein, es ist, wie es ist, und er ist froh, dass sie bei ihm ist.
Plötzlich erstarrt er. Er hat etwas gehört. Er weiß nicht genau, was, nur dass es etwas war, das nicht zu den normalen Nachtgeräuschen des Buschs gehört. Aber nach einer Weile wird er unsicher. Vielleicht hat ihm sein Wunsch, dass es hier jemanden gibt, der ihnen helfen kann, einen Streich gespielt.
10
Am nächsten Morgen, als sie ein wenig Mandioka gegessen und das letzte Wasser getrunken haben, gehen Anselmo und Lucinda ins Dorf. Sie bewegen sich leise und vorsichtig. Wie sie schon am Abend zuvor gesehen hatten, sind nicht alle Hütten verbrannt, aber sie scheinen verlassen. Sie können hier nur noch nach dem Brunnen suchen.
Sie finden ihn mitten im Dorf. Lucinda befestigt den Plastikkanister am Seil und lässt es hinunter. Als sie hören, wie der Kanister platschend auf dem Wasser aufschlägt, nicken sie einander befriedigt zu. Sie hätten auch Pech haben und einen ausgetrockneten Brunnen vorfinden können. Erst trinken sie, dann lässt Lucinda den Kanister noch einmal hinunter, diesmal will sie ihn randvoll bekommen.
Da hören sie, dass hinter ihnen sich etwas bewegt. Sie drehen sich gleichzeitig um. Ein großer, magerer Mann in fleckigen Shorts und einem zerrissenen Unterhemd steht da und beobachtet sie. Er hat eine Machete in der Hand.
Es könnte ein normaler Bauer auf dem Weg zu seiner Machamba sein, denkt Anselmo, aber es kann auch ein Guerillakämpfer sein.
Der