Herzen im Kampf. Liane Sanden
Und nun lag sie hier unten in der Klinik von Geheimrat Schrombeck und weinte ihrer verlorenen Liebe nach.
*
Bei Hanna Sturm lief schon längst wieder alles im alten Gleise. Redaktionsarbeiten, Interviews und Reportagen wechselten miteinander ab. Die lebhafte Frau war trotzdem schlechter Laune. „Kinder, das ewige Einerlei! Stellt mich doch einmal vor eine wirkliche Arbeit! Vor eine Aufgabe!“
Chefredakteur Christians war über Hanna Sturms Unrast etwas verwundert. Temperament hatte sie ja immer, das Stürmchen. Aber eine solche Arbeitswut wie jetzt war denn doch noch nicht an ihr zu konstatieren gewesen. Es war geradezu wie eine nervöse Unrast. Und alles, seitdem sie diese verrückte Kliniksache gemacht hatte.
„Aufgabe — Aufgabe“, brummte er in seiner poltrig humoristischen Art, „haben Sie nicht eben erst Lebensretter gespielt, Verehrteste? War das noch nicht Aufgabe genug? Was macht übrigens Ihr Schützling?“
„Ich habe mich acht Tage lang nicht um ihn gekümmert. Vorderhand ist die Kleine ja noch im Sanatorium Schrombecks gut aufgehoben. Ehe sie nicht arbeitsfähig ist, möchte ich nicht eingreifen. Am besten, sie geht erst noch einmal ein paar Tage in ihre alte Umgebung zurück. Dann wird man weitersehen. Also, Sie sehen, Chef, mit dieser Aufgabe ist vorderhand meine Zeit noch nicht ausgefüllt. Ich brenne auf viel Arbeit.“
„Sie sind das komischste Menschenkind, das mir je vor die Augen gekommen ist. Ich, wenn ich nicht müsste, den Deubel scherte ich mich drum, so zu arbeiten. Gönnen Sie sich denn niemals ein bisschen Musse?“
„Musse bringt nur auf sentimentale Gedanken.“ Es war Hanna Sturm so entfahren, ohne dass sie es wollte.
Christians sah seine beste Mitarbeiterin vergnügt zwinkernd an:
„Wissen Sie was, Stürmchen, wenn ich das einmal sehen würde, dass Sie sentimentale Gedanken haben, dafür würde ich gleich hundert Mark zahlen. Sie und sentimentale Gedanken? Eher stürzt die Welt ein.“
Hanna Sturm hatte das Gespräch schnell auf etwas anderes gelenkt. Wie konnte sie sich auch so verraten? Wenn Christians, wenn alle hier, mit denen sie zusammen arbeitete und strebte, ahnten, wie es jetzt manchmal in ihrem Innern aussah! Seit jener Stunde, in der Schrombeck an ihrem Bett gestanden, in der sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war, seitdem konnte und konnte sie sich nicht wiederfinden. Immer wieder musste sie an die frühere Zeit denken und an das, was sie damals ausgeschlagen hatte. Darum brannte sie auf Arbeit. Sie wollte nicht sentimental werden. Sie wollte nicht zurückdenken.
*
Aber auch andere Leute wie Christians konnten Hanna Sturms Arbeitswut immer weniger begreifen. Unter diesen anderen war Falter, die kleine Sekretärin. Das schüchterne, durch seinen verkrüppelten Körper oft behinderte Wesen stand bei der Beurteilung Hannas vor einem Rätsel. Hin und wieder Gast in dem schönen Landhause Hannas, kam ihr immer wieder der Gedanke, warum wohl eine Frau, die ein gütiges Schicksal vor der Not des Lebens bewahrt hatte, arbeitete? Der ältlichen Stenotypistin, die froh war, bei der Redaktion der „Zeit“ so etwas wie eine Lebensstellung gefunden zu haben, wollte es nicht in den Sinn, dass eine pekuniär sichergestellte Persönlichkeit schlechtergestellten das Brot nahm ...
Als der Falter sich einmal nicht in der Gewalt hatte und diese Ideen in der Setzerei laut werden liess, kam sie aber an die unrichtige Adresse. Von drei Seiten zugleich schrie man sie an, und am lautesten der junge Setzer Polenz: „Na, nu halten Sie aber den Mund! Hatten Sie denn keine Ahnung davon, dass Gehalt und Honorare restlos unserer Unterstützungskasse zufliessen? Was sie sich monatlich auszahlen lässt, deckt gerade die Spesen, die sie verbraucht! Flattern Sie also nur zurück an Ihre Klappermaschine, und schämen Sie sich!“
Diese rauhe, aber herzliche Aufforderung befolgte Falterchen so intensiv, dass Hanna ein aufgelöstes, heulendes Etwas vorfand, als sie auf die Redaktion kam.
Heute endlich war Hanna Sturm einigermassen zufrieden. Sie sollte ein Interview mit Walter Jansen, dem berühmten Ostasienflieger, aufnehmen, der für kurze Zeit nach Deutschland zurückgekehrt war. Sie kannte ihn persönlich gut. So hatte er ihr als einzige die Informationen zugesagt, um die sich die Reporter aller Blätter leidenschaftlich bemühten. Als Hanna Sturm jetzt in ihrem kleinen roten Wagen hinausfuhr nach Tempelhof, wurde ihr endlich wieder einmal freier zumute. Durch Jansen würde man endlich einmal wieder etwas von der grossen Welt da draussen hören, nach der man sich sehnte und in die man schon lange nicht hinausgekommen war. Hanna Sturm war es jetzt, als müsste sie einmal alles Gewohnte hinter sich lassen, einmal fliehen von all dem, was hier allzu nahe und allzu bekannt war. Fliehen auch vor sich selbst.
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