Herzen im Kampf. Liane Sanden

Herzen im Kampf - Liane Sanden


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ihres schweren Schicksals.“

      „Wenn ich an Marlene Hagens Stelle gewesen wäre, hätte ich vermutlich damals das gleiche Misstrauen gegen eine Journalistin gehabt.“

      Hanna Sturm musste plötzlich an das Gespräch heute morgen mit Geheimrat Schrombeck denken. Etwas bitter war ihr aber doch zumute, warum traute man ihr nur Sensationsinteresse und kein rein menschliches zu?

      „Also wollen wir dieser kleinen Hagen einmal beweisen, dass wir doch bessere Manschen sind als sie denkt“, meinte sie leicht lächelnd. „Ich kam, um Sie nach der Adresse der Armen zu fragen, vielleicht, dass sie aus Ihren Akten noch zu ermitteln ist. Dann würde ich mir den Weg über das Einwohnermeldeamt sparen.“

      Lerch griff nach dem Telephonhörer und gab die Anfrage nach Marlenes Wohnung an seine Kanzlei durch. „Wenn sie noch dort ist“, meinte er zwischendurch zu Hanna Sturm, „ich habe sie damals in eine leidliche Pension zu einer Frau Reschke gebracht. Eben sagt man mir durch, dass bei uns keine Wohnungsänderung bekannt geworden sei. Wollen wir mal anrufen?“

      „Lieber fahre ich selbst hin, Herr Justizrat. Bitte, wie lautet die Adresse? Lützowstrasse 24?“ Sie notierte eifrig. „Ehe wir Anschluss bekommen, bin ich auch schon da; ich habe nämlich den Wagen unten.“

      „Und mit wieviel Strafmandaten? Gut, dass Sie den armen Anwälten durch Ihr rasendes Fahren auch mal was zu verdienen geben“, neckte Lerch, Hanna Sturm zur Tür begleitend. „Und wenn Sie etwas über die kleine Hagen erfahren haben, bitte, geben Sie mir Nachricht, ich beteilige mich auch an der Hilfsaktion, wenn es mir möglich ist.“

      III.

      Diese drittklassigen Pensionen sind doch eine wie die andere, dachte Hanna Sturm, als sie sich in dem „Salon“ der Pensionsinhaberin Reschke umsah. Da waren die gleichen, etwas abgewetzten Samtmöbel, denen man an diesen Orten immer wieder begegnete, da war der Tisch mit der unvermeidlichen Batikdecke. Da gab es den sogenannten Damenschreibtisch, an dem man niemals einen vernünftigen Brief zu Papier bringen konnte, so vollgestellt war er mit verblassten Photographien und allerlei Krimskrams. Da war auch Frau Reschke mit dem ge schäftsmässig krampfhaften Lächeln all derer, die heute vermieten müssen, um jeden Preis vermieten. Sie vermutete in Hanna Sturm zunächst auch einen sehr zahlungskräftigen Gast, sie hatte von ihrem Wohnzimmerfenster aus den eleganten Sportwagen ihrer Besucherin gesehen und taxierte die elegante junge Frau sofort auf Reichtum ab.

      Aber sie wurde enttäuscht und misstrauisch, als sie hörte, dass Hanna, die ihren Namen nicht nannte, nur in Sachen Marlene Hagens hierhergekommen sei.

      „Da kann ich Ihnen gar nichts sagen, Fräulein“, erklärte sie. Unter dem konventionellen Lächeln kam die Härte ihres Wesens für Hanna deutlich erkennbar zum Vorschein. „Ich habe schon genug Aufregung und Kosten durch die Person gehabt. Wer kommt mir für die Schäden der Explosion auf? Die Versicherung macht jetzt schon Sperenzien. Offenbare Fahrlässigkeit, hat mir der Mensch von der ‚Allemannia‘ gleich am Telephon gesagt. Wenn einer mit der Benzinflasche neben dem offenen Gasofen hantiert, da muss ja etwas passieren. Und das zu allem andern, was mir die Hagen noch schuldig ist. Das werde ich auch nie wiedersehen. Das kommt davon, wenn man solche Leute aus Mitleid bei sich aufnimmt!“

      „Nun, das Mitleid scheint bei Ihnen nicht allzu ausgebildet zu sein, verehrte Frau Reschke.“ Hannas Empörung über die Hartherzigkeit der Frau ging mit ihr durch. „Im übrigen beruhigen Sie sich. Für die Schulden von Fräulein Hagen wird man aufkommen. Bitte, stellen Sie mir in den nächsten Tagen die Abrechnung zusammen. Ich lasse sie mir abholen und sorge für Begleichung.“

      Frau Emma Reschke war im Augenblick wie umgewandelt:

      „Das ist schön von Ihnen, Fräuleinchen, das ist wirklich schön. Sie müssen mir meine Worte nicht krumm nehmen; aber ich muss heute auch auf mein Geld schauen. Wenn ich am Ersten nicht pünktlich meine Miete zahle und Gas und Elektrisch, dann geht’s mir auch schlecht. Die Abgaben sind zu gross heute, sie erdrücken einen ja!“

      Frau Reschke begann in längerer Rede, Hanna die Schwierigkeiten des Vermieterinnenberufs zu schildern. Hanna hörte sich das alles ruhig an. Sie wollte die Frau gefügig haben, um Näheres über Marlenes Leben hier zu erfahren.

      Bald hatte sie denn auch aus Frau Reschkes Erzählung ein klares Bild gewonnen von Marlenes verzweifeltem Kampf, wieder festen Boden unter den Füssen zu erringen.

      Wie Frau Reschke dazwischen immer wieder sagte:

      „Man kann’s ja den Arbeitgebern auch nicht verdenken, Fräulein, wo so viele Kräfte mit tadelloser Vergangenheit auf der Strasse liegen, da nimmt man doch nicht gerade eine Diebin“, wurde ihr Gesicht hart.

      Auch immer wieder dasselbe, sann Hanna, immer wieder diese unbegreifliche Härte der Gesellschaft. Der Vorbestrafte war gebrandmarkt. Wie er auch kämpfen mochte, wieder eingereiht zu werden in die Gemeinschaft der Unbelasteten, seine Verfehlung war ein Stein, der ihm immer wieder in den Weg geworfen wurde. Aber Hanna wollte nicht, dass dieses Mädchen, das durch einen Zufall mit ihr in Verbindung gekommen, untergehen sollte.

      „Ich danke Ihnen, Frau Reschke“, sagte sie abschliessend. „Ich habe nun ein ungefähres Bild. Also die Abrechnung lass ich abholen.“

      „Könnte der Bote dann vielleicht gleich das Geld mitbringen, Fräulein?“ fragte Frau Reschke liebenswürdig.

      Hanna lächelte ebenso liebenswürdig:

      „Damit wollen wir doch noch warten, bis Fräulein Hagen in der Lage sein wird, Ihre Abrechnung durchzusehen, Frau Reschke. So ganz aufs Geratewohl möchte ich das Geld ja nun auch nicht ausgeben.“

      Frau Reschke wollte etwas sagen, aber Hanna Sturm hatte schon mit einem energischen Ruck die Korridortür hinter sich geschlossen. Mitten in ihrem Ärger über die Habgier dieser Frau musste sie doch lachen. Der Wandel von Liebenswürdigkeit zu Wut in Frau Reschkes Gesicht war wirklich komisch gewesen.

      *

      Unter furchtbaren Schmerzen war Marlene Hagen aus der schweren, ohnmachtähnlichen Betäubung erwacht, in die die schmerzlindernde Spritze Dr. Winklers sie versetzt hatte. Matt und stöhnend schlug sie die grossen, grauen Augen auf und gab, nur zögernd und schwerverständlich für den vorsichtig forschenden Geheimrat, Bescheid auf die von ihr erbetenen Auskünfte. Sie war allein und hatte keinen Menschen, der ihr nahestand. „Bitte, nur keine Berichte an die Zeitungen!“ bat sie wiederholt, bis abermals eine barmherzige Morphiumspritze, die ihr diesmal der Geheimrat gab, der Ärmsten Ruhe verschaffte.

      Am Bett der Bewusstlosen hielt Schrombeck mit dem ersten Assistenten eine Beratung ab.

      „Also ohne Transplantation kommen wir nicht aus. Aber wen nehmen wir dazu?“

      „Ja wen, Herr Geheimrat?“ überlegte der Assistenzarzt, „es haben sich zwar schon ein paar Schwestern, und zwar Schwester Charlotte und Schwester Marianne zur Verfügung gestellt, um das erforderliche Hautmaterial abzugeben. Es sind die einzigen, die nach der ganzen Struktur des Hautgewebes eine gewisse Ähnlichkeit mit der Patientin zeigen.“

      „Aber Schwester Charlotte ist mir nach ihrer Grippe doch noch reichlich labil“, Schrombeck schüttelte den Kopf, „geht nicht. Wäre allenfalls Schwester Marianne. Eigentlich tüchtig von den beiden. Rufen Sie mir mal Schwester Marianne. Wir wollen Sie uns mal ansehen.“

      „Aber Schwester Marianne hat die Einzelpflege bei dem kleinen Sohn vom Gesandten von Rustiano. Der Gesandte hat ausdrücklich gewünscht, dass in der kritischen Zeit kein Wechsel im Pflegepersonal eintritt, Herr Geheimrat“, wandte der Assistenzarzt ein, „er hat ja auch die Kosten für die Privatpflege sofort im voraus beglichen.“

      „Das kann in diesem Falle kein Hinderungsgrund sein, Kollege. Der kleine Rustiano ist über das Schlimmste hinweg. Die Patientin Hagen dagegen kann nur durch Hautüberpflanzung mit gleich aussehender Haut vor dauernder Entstellung bewahrt bleiben.“

      „Aber der Gesandte wird das sehr übel vermerken, Herr Geheimrat. Der kleine Mario ist für ihn offenbar das Zentrum der ganzen Welt.“

      Schrombeck


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