Herzen im Kampf. Liane Sanden
stand schon bereit.
„Wo nehmen Sie die Haut her?“ fragte Hanna interessiert.
„Vom Oberschenkel, gnädiges Fräulein“, sagte er, „wenn Sie bitte ein Stück freimachen wollen?“
„Eins leuchtet mir dabei nicht ein“, meinte Hanna Sturm, während nun der junge Arzt mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ein Stück der Haut des Oberschenkels betupfte, „warum nimmt man dann die Haut nicht von dem Körper des Verunglückten selbst? Der Oberschenkel ist doch bei Fräulein Hagen unverletzt? Nicht etwa, dass ich mich drücken will, mich interessiert nur die Tatsache.“
Vom Hintergrund her sagte Schrombeck:
„Wäre die Patientin an sich sehr kräftig, so würde ich die Transplantation auch mit ihrer eigenen Haut vorgenommen haben, so aber ist sie zu schwach, um sechs Zoll Gewebe, die bereits an Gesicht und Hals zerstört sind, selbst herzugeben.“
„Ach so, die Hautatmung wäre dadurch gefährdet?“
„Richtig, Fräulein Sturm, das ist der Grund.“
Schrombeck hatte nun eine Lupe genommen und untersuchte sorgfältig. Die Haut Hanna Sturms hatte nicht nur im Pigment, sondern auch in der ganzen Zusammensetzung eine verblüffende Ähnlichkeit mit der der Patientin. „Ich bin froh, dass wir eine gute Prognose für die Heilung stellen können“, rief der Geheimrat über ihrem Kopf dem Assistenzarzt zu. „Sagten Sie etwas, Fräulein Sturm?“
„Nein, nichts!“
Hanna wurde ein bisschen rot. Natürlich hatte sie etwas gesagt, und zwar: „Ich bin auch froh!“
Gut, dass Schrombeck es nicht verstanden hatte. Er sollte ja weiter glauben, dass alles bei ihr nur das journalistische Interesse wäre. Es war besser für ihre Ruhe und ihre Arbeit.
IV.
Marlene lag in tiefster Betäubung, als sie am nächsten Morgen in den Operationssaal gefahren wurde. Er war im vierten Stockwerk des grossen Gebäudes untergebracht, und ein mächtiger Elevator nahm die Bahre mit den Krankenschwestern auf, die sie begleiteten.
Hanna hatte sich in dem behaglichen Zimmer, das der Geheimrat ihr anweisen liess — es war eines der besten seiner Klinik —, vorbereitet. Sie packte die wenigen Sachen aus, die sie sich mitgebracht hatte, und legte auf ihren Nachttisch die paar Gegenstände, die sie benötigte. Dann warf sie über ihr Pyjama einen Kimono und war in Begleitung einer Pflegerin gleichfalls im Operationssaal erschienen. Vorher hatte sie nochmals Schrombeck gesprochen, auf dessen Anordnung Marlene in einem anderen Flügel des Hauses untergebracht worden war als Hanna.
Nun lagen sie beide nebeneinander auf dem Operationstisch. Mit geschickten Fingern löste der berühmte Arzt von Hannas Oberschenkel, den er vorher örtlich betäubte, ein Stück Haut los. Die Journalistin liess ihn nicht aus den Augen, da sie gern sehen wollte, was er dann an Marlenes Gesicht und Hals vornahm und wie er seine neue, narbenlose Methode zur Anwendung brachte. Während Assistenzarzt und Schwestern sich bereits um Hannas Verband bemühten, wandte sie den Kopf zu der Unglücklichen, um sich nichts entgehen zu lassen.
Sie konnte genau beobachten, wie vorsichtig das von ihr entnommene Hautstück behandelt ward und wie der Geheimrat es mit der Sorgfalt eines Wachsbildners auf das arme, zerstörte Antlitz Marlene Hagens verpflanzte. Sie atmete auf, als sie die schrecklichen, roten Brandwunden verschwinden und wieder mit dem zarten Gewebe bedeckt sah.
Dann aber kam doch der Moment, wo auch sie zusammenklappte. Der Saal begann sich plötzlich um sie zu drehen, Ärzte und Pflegerinnen schienen als Zerrbilder vor ihr umherzutanzen, und plötzlich sah sie überhaupt nichts mehr. Sie vernahm nur noch den Ruf: „Nun wird sie uns doch noch ohnmächtig“, und fand sich dann im Bett ihres Krankenzimmers wieder.
Sie erwachte nach kurzer Zeit. Es war wie ein leichtes Brausen um sie herum. Dann irgendwo ein Stimmengewirr, das auf- und abschwankte. Nun brach eine Helle durch die noch halb geschlossenen Lider in ihre Augen und ihr Bewusstsein. Was war denn mit ihr? Mühsam hob sie die schweren Augenlider. Sie sah gerade hinein in das Gesicht Schrombecks, das mit einem sonderbaren Ausdruck auf sie gerichtet war — aber sie war viel zu müde und benommen, um sich das klarzumachen. Nur irgend etwas sehr Schönes und Wohltuendes empfand sie. Unbewusst lächelte sie.
„Puls gut, 76“, hörte sie sagen. Nun fühlte sie auch eine Hand an ihrem Handgelenk. Aha, das war der Assistenzarzt. Nun löste sich die Hand. „Lassen Sie mal sehen!“ Ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit überkam Hanna. Sie spürte die feste, warme und doch so behutsame Hand Schrombecks ihr Gelenk umfassend.
„Na, Gott sei Dank, Fräulein Sturm, da sind Sie ja wieder.“
In Schrombecks Stimme war etwas Weiches.
„Wie geht es Ihnen?“
„Wie geht es vor allem Fräulein Hagen?“ fragte Hanna.
„Ich denke, gut. Wir kriegen sie hoffentlich tadellos in Ordnung. Das hat sie Ihnen zu verdanken.“
Hanna richtete sich schnell auf.
„Um Gottes willen, Herr Geheimrat, bloss keinen Dank von der armen Kleinen. Ich habe Ihr Wort, dass Sie mich nicht verraten.“
*
Zwei Tage später war Hanna Sturm aus dem Sanatorium Schrombecks gegangen. Sie hatte die Zeit benutzt, in der er gerade zwischen zwei verantwortungsvollen Operationen abgespannt und mit seinen Gedanken vom Alltag abwesend war.
Hanna hatte plötzlich geradezu eine Scheu, mit Schrombeck noch länger über den Fall Hagen zu sprechen. Eine Unruhe war in ihr, wenn sie sich Schrombecks Gesicht und den Ausdruck seiner Stimme in die Erinnerung zurückrief. Das alles war doch seit Jahren unterdrückt und vergessen. Wollte es etwa wieder hochkommen? Nein, es durfte nicht. Sie wollte nicht zum zweiten Male eine Zeit der inneren Zerrissenheit erleben. Sie hatte ihren Beruf und damit genug.
Schrombeck schien etwas verwundert.
„Ich dachte, Sie wollten erst heute nachmittag gehen, Fräulein Sturm. Warum so eilig? Ich wollte mir die Wunde bei Ihnen doch noch einmal ansehen.“
„Hat Ihr Assistent schon getan, Herr Geheimrat. Sieht alles wunderschön aus. Sie waren ja gestern auch sehr zufrieden. Die Arbeit drängt.“
„Ja, die Arbeit?“ Schrombeck war mit seinen Gedanken schon wieder bei dem Patienten, der in einer halben Stunde unters Messer kam. Es ging um Leben und Tod da.
„Nun, ich sehe Sie ja bald wieder zum Verbinden, Fräulein Sturm.“ Wieder war das eigentümlich Warme in seinem Blick.
„Gewiss, gewiss, Herr Geheimrat.“ Hanna legte ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit ihre Hand beinahe fliehend und ohne Druck in die des Geheimrats. Sie war ganz entschlossen, immer zu einer Zeit zum Nachsehen der Wunde zu kommen, in der sie nur den Assistenzarzt antraf.
*
Marlene Hagen hatte vergeblich versucht, zu erfahren, wessen Opferwilligkeit sie vor lebenslänglicher Entstellung bewahrt hatte. Sie bat den Chirurgen aufs neue, ihr doch den Menschen zu nennen, in dessen Schuld sie noch mehr stehe, als in der seinen. „Zwar wird es Jahre dauern, bis ich Ihnen die Kosten meiner Operation und meines Aufenthalts hier bezahlt haben werde!“ klagte sie. „Aber immerhin, es wird möglich sein. Wie jedoch kann ich der Frau danken, die mir half?“
„Machen Sie sich keine Sorgen, weder um das eine noch um das andere“, tröstete Schrombeck. Dann wies er die Pflegerin an, Marlenes Bett ans offene Fenster zu rollen, damit sie den Blick in den blühenden Park geniessen könne. „Seien Sie zufrieden, dass Ihr Leichtsinn einen so verhältnismässig glimpflichen Abschluss für Sie genommen hat! In zwei Wochen wird Ihrem Antlitz nur noch wenig anzusehen sein; ein paar schmale Narben, die aber so glücklich sitzen, dass Haar- und Halsansatz sie fast verdecken. Und was Ihre Wohltäterin anbelangt, wie Sie die Dame nennen, respektieren Sie deren Wunsch, für Sie eine Unbekannte zu bleiben. Sie möchte das, damit Sie niemals das Gefühl haben, noch einem Menschen mehr verpflichtet zu sein!“
Dann war er gegangen, und die