Herzen im Kampf. Liane Sanden

Herzen im Kampf - Liane Sanden


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Marianne ablösen müssen.“

      „Guten Tag, Geheimrat“, sagte es hinter ihm, „da bin ich wieder!“ Hanna Sturm war von der anderen Seite des Ganges schnell herangekommen. „Wie geht es unserer Patientin, der kleinen Hagen?“

      „Wieso unserer?“ Schrombeck sagte es etwas kurz, er hatte sich über die Art geärgert, in der der Assistent diesen Gesandtensohn so sehr wichtig nahm.

      „Beissen Sie nur nicht, Herr Geheimrat“, entgegnete Hanna Sturm ebenso kurz. „Ich habe mich inzwischen ein bisschen nach den persönlichen Angelegenheiten der Verunglückten erkundigt.“

      „Die sehen voraussichtlich schlecht genug aus.“

      „Ja. Man wird finanziell eingreifen müssen.“

      „Vorderhand muss man medizinisch eingreifen. Wir haben gerade beredet, wer die Haut für das arme Wurm hergibt.“

      „Und haben Sie jemand gefunden?“

      „Ja. Wenn auch unter Schwierigkeiten, aber —“

      Geheimrat Schrombeck unterbrach sich, die Oberschwester war herangekommen und wollte offenbar eine Auskunft von ihm. Der Assistenzarzt vollendete Schrombecks unterbrochenen Satz. Er erzählte Hanna Sturm von Schwester Marianne.

      „Der Chef vergisst in seiner Humanität immer, dass man auch die Rücksichten auf die prominenten Patienten nicht ganz ausser acht lassen darf. Es gibt heutzutage wirklich nicht mehr sehr viel zahlungsfähige. Und schliesslich sind die doch die einzige Basis, auf der sich heute eine Klinik erhalten kann. Nur wenn ein paar zahlungsfähige Patienten kommen, kann man so vielen Hunderten unentgeltlich helfen, wie der Geheimrat es tut. Wenn der Gesandte verärgert wird, kann es ausserordentlich weittragende Konsequenzen haben. Wir bekommen gerade aus seiner Heimat sehr viel gutes Publikum.“

      Hanna Sturm überlegte einen Augenblick. Aber diese Überlegung war sehr kurz. Sie sah eine Schwester jetzt in das Zimmer von Marlene Hagen hineingehen, die inzwischen umgebettet worden war. Wieder erblickte sie durch den Türspalt das blasse Gesicht, jetzt mit schmerzerfüllten Augen, und horte ein lautes, jammervolles Stöhnen.

      „Lassen Sie die Schwester Marianne ruhig, wo sie ist“, sagte sie knapp. „Nehmen Sie mich zu der Transplantation.“

      Der Assistenzarzt starrte Hanna Sturm fassungslos an:

      „Wie kommen Sie denn dazu, gnädiges Fräulein? Sie haben doch keinerlei menschliche Verpflichtung der Patientin gegenüber?“

      Hanna Sturm lächelte. Dies Lächeln machte das herbe, kühle Gesicht plötzlich unendlich weich.

      „Jeder Mensch hat jedem Menschen gegenüber Verpflichtungen, Doktor. Nur, dass uns das leider sehr selten bewusst wird.“

      Geheimrat Schrombeck, der trotz seiner Unterhaltung mit der Oberschwester von Hannas Anerbieten gehört hatte, wandte sich ihr zu:

      „Also Sie wollen wirklich?“

      „Ich will wirklich.“

      Sie sagte es sehr energisch.

      „Denken Sie nur, Herr Geheimrat, Fräulein Sturm will doch die sechs Zoll Haut für die Patientin Hagen hergeben.“

      Der Assistenzarzt sah geradezu aufgeregt aus.

      Schrombeck schaute Hanna Sturm an:

      „Aber das ist ja geradezu — also das finde ich geradezu grossartig von Ihnen, Fräulein Sturm.“

      „Sagen Sie mir lieber, ob Sie mich wirklich dazu für geeignet halten. Das ist mir im Augenblick viel wichtiger.“

      Die Weichheit auf Hanna Sturms Gesicht war schon wieder fort. Sie sagte es kühl, beinahe unhöflich, schien die ausgestreckten Hände Schrombecks nicht zu sehen. In dessen Bewunderung für ihren Entschluss kam sofort wieder dieser abwehrende Widerstand gegen ihre betont sachliche Art. Dies Mädchen blieb sich doch immer gleich. Er schämte sich beinahe seines Enthusiasmus.

      „Ich muss natürlich noch einmal genau untersuchen, Fräulein Sturm“, er sprach jetzt nicht anders wie ein Arzt, den man konsultiert, zu einem völlig fremden Patienten, „aber ich glaube, ich kann meine Ansicht aufrecht erhalten.“

      „Wann wollen Sie die Untersuchung vornehmen?“

      „Sofort. Wenn wir die Transplantation bei der Patientin Hagen mit einem sicheren Erfolg vornehmen wollen, dann muss es schleunigst geschehen. Am besten heute noch, spätestens morgen früh. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Wunden nicht mehr frisch genug sind, um das neue Hautgewebe in sich aufzunehmen. Vorhin wollte ich ja schon binnen zwei Stunden operieren! Darf ich also bitten?“

      Ohne ein Wort ging Hanna Sturm zwischen Schrombeck und seinem Assistenzarzt dem Untersuchungszimmer zu.

      Der Geheimrat sah von der Seite her Hannas unbewegtes, helles Gesicht. Ihr Entschluss beschäftigte ihn innerlich stark.

      Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, meinte sie jetzt plötzlich mit einem spöttischen Lächeln:

      „Ja, ja, Herr Geheimrat Schrombeck, was tut eine Journalistin nicht alles aus Berufsinteresse? Meinen Sie nicht, dass meine Reportage über Transplantation viel lebendiger werden wird, wenn ich sie wirklich am eigenen Leibe verspürt habe?“

      Der Assistenzarzt machte erschreckte Augen. Das klang ja wie Ironie? So schien es auch auf Schrombeck zu wirken. Der war dunkelrot geworden und schien etwas Heftiges entgegnen zu wollen. Aber Hanna Sturm schnitt ihm eine Entgegnung ab mit den Worten:

      „Ich darf wohl zunächst bei Ihnen einmal telephonieren, Herr Geheimrat? Mein guter Chefredakteur Christians meldet mich sonst noch als vermisst an, wenn ich ihm keine Nachricht gebe. Wie lange werde ich durch die Transplantation an der Arbeit gehindert sein?“

      Schrombeck antwortete kurz:

      „Zwei Tage vermutlich. Sie müssten sich für zweimal vierundzwanzig Stunden hier aufhalten. Bitte, telephonieren Sie, ich bin mit dem Kollegen nebenan.“

      Chefredakteur Christians war schon sehr verärgert. Da hatte man extra eineinhalb Spalten für den Bericht Hanna Sturms freigehalten, und nun gab sie diesen Bericht weder telephonisch noch persönlich.

      „Wo stecken Sie denn nur?“ schrie er wütend ins Telephon hinein, als sie sich endlich meldete, „sollen wir mit der Zeitung vielleicht Ihretwegen einen Tag später herauskommen? Sie halten ja den ganzen Betrieb auf, Sturm. Die Setzerei rennt mir schon die Bude ein. Was — was“, sagte er dann, als er Hannas Antwort gehört hatte, „Sie wollen sich selbst einer Transplantation unterziehen, um einer Schwerverunglückten zu helfen? Ist ja alles schön und gut! Dazu kann man natürlich nicht nein sagen, aber ist denn kein anderer Mensch da, der der Verbrannten näher steht? Geheimrat Schrombeck meint, Ihre Haut sei zu der Verpflanzung besonders geeignet? Na, wenn Sie sie durchaus zu Markte tragen wollen — viel Vergnügen! Ist die Betreffende, der Sie so selbstlos helfen wollen, es denn auch wert? Können Sie uns nicht einen Bericht über den Unfall schicken?“

      „Kommt nicht in Frage!“ rief Hanna zurück. „Erstens mal soll die ganze Angelegenheit nicht bekannt werden, und zweitens, Chef, betrachten Sie meinen plötzlichen Urlaub bitte endlich als einen Wink des Himmels und erfüllen Sie mir den Wunsch nach einer jungen Hilfskraft. Denken Sie nur, wie nützlich die uns jetzt sein könnte! Na, nur nicht jammern, und den Kopf hübsch oben behalten. Es wird auch mal ohne mich gehen! Wollen Sie übrigens den Geheimrat noch selber sprechen? Sie sehen, wie sehr mir das Wohlergehen unserer Zeitung am Herzen liegt. Denn ich schicke Ihnen nicht nur den Bericht über das neueste, narben- und schmerzlose Transplantationsverfahren — ich probiere es auch schleunigst persönlich aus. Sind Sie nicht gerührt von so viel Berufsfanatismus?“

      Versöhnt brummte Christians einige „gute Wünsche“ in den Apparat und murmelte anerkennend: „Tüchtiges Mädel“, während sich der Falter schnell die aufsteigenden Tränen aus den Augen wischte und sich geräuschvoll in ein hellgrünseidenes Taschentüchlein schnäuzte.

      Nach dieser Unterhaltung mit ihrem direkten Vorgesetzten ging Hanna in das Untersuchungszimmer


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