Herzen im Kampf. Liane Sanden

Herzen im Kampf - Liane Sanden


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Personal, das für ihn durchs Feuer ging, mit noch stärkerem Arbeitseifer bei der Sache als sonst, wo es sich schon keine Ruhe gönnte.

      „Zunächst möchte ich die Patientin doch noch einmal sprechen, sobald sie wieder erwacht ist“, meinte der Geheimrat nachdenklich, als er wieder auf den Gang heraustrat und auf Hanna zuging. „Wenn sie nicht allzu schwach ist, können wir sie vielleicht mit ihrer eigenen Haut ausflicken. Das wäre natürlich das angenehmste. Wenn man es nicht riskieren kann, ja, dann muss man sehen, wer für das arme Wurm seine Haut zu Markte tragen will!“ schloss er mit dem Versuche, den Ernst der Situation abzubiegen. „Vielleicht hat die Kleine irgendwelche Menschen, die sich dafür opfern. Sonst ist sie entstellt auf Lebenszeit, wäre schade um das schöne junge Geschöpf.“

      „Entstellt auf Lebenszeit?“ Es ging wieder wie ein Schauer durch Hanna Sturm.

      „Missen Sie, wer das arme Ding ist, Geheimrat?“

      „Journalistenneugier?“

      Schrombeck war im Augenblick beinahe etwas ärgerlich auf seine Freundin Hanna Sturm. „Wollen Sie vielleicht ein stimmungsvolles Essay aus der Sache machen? Für ewig entstellt, oder so?“

      Mit blitzenden Augen sah ihn die Journalistin an:

      „Auch in meinem Beruf kann man Privatmensch sein, Herr Geheimrat, das scheinen Sie immer noch nicht begriffen zu haben.“

      „Nein, Sie haben mir bisher dazu wirklich keine Veranlassung gegeben.“

      „Ich dachte nur, ob man für das arme Mädel irgend etwas tun könnte?“

      „Im Augenblick nichts, es sei denn, Sie hätten ein paar Quadratzentimeter eigene Haut übrig, — Ihre würde übrigens im Ton schön passen“, Schrombeck schaute sehr genau auf Hannas gepflegte, weisse Hände.

      „Kollege, wie heisst doch die Patientin da drinnen?“ fragte er den jungen Assistenzarzt, der jetzt aus dem Zimmer der Verunglückten herauskam.

      „Hagen, Herr Geheimrat.“

      „Vorname?“ fragte Hanna atemlos, „vielleicht Marlene?“

      Der Assistenzarzt sah Hanna Sturm erstaunt an. „Ich glaube ja, gnädiges Fräulein, kennen Sie sie denn?“

      „Nein, nein“, Hanna rief es beinahe unhöflich, „mir war nur, als hätte ich den Namen schon einmal gehört. — Herr Geheimrat, ich darf mich heute noch einmal erkundigen, was aus der Patientin geworden ist? Wann denken Sie die Operation vorzunehmen?“

      „Sobald als möglich; denn man darf bei einer Hautverpflanzung nicht zögern. Aber zwei Stunden dürften doch noch darüber hingehen. Erstens muss ich die Verunglückte untersuchen, zweitens muss ich, wenn irgend möglich, ihre Einwilligung resp. die ihrer Angehörigen haben und — last not least — den gütigen Spender. Nun auf Wiedersehen, ich habe noch allerhand zu tun.“

      „Ich auch!“ war Hanna Sturms Antwort.

      Schrombeck sah ihr noch einen Augenblick nach, wie sie da mit ihrem sportlich entschiedenen Schritt durch den sonnenhellen Korridor ging. Dem Gange nach hätte man sie für einen Jungen halten können. Auch im Wesen hatte sie dies knappe, selbstsichere, männliche. Typ der modernen Berufsfrau, stellte er bei sich fest, prachtvoller Kamerad vielleicht, wenn nicht die Selbständigkeit und der unerschütterliche Wille zur Selbstgeltung in der Ehe störend sein könnten für einen Mann mit ausgeprägtem Willen. Wäre sie nur ein wenig weiblicher, ein wenig schmiegsamer gewesen, diese prachtvolle Hanna Sturm. Aber für einen Mann wie er war so eine Frau wohl indiskutabel. Es würde Kampf und immer wieder Kampf geben. Schade — er fühlte, er war doch noch nicht ganz über diese Liebe hinweg. — Der junge Dr. Winkler sah seinen Chef von der Seite an — da hatte er ihn doch schon zum zweiten Male gefragt, ob man bei der Patientin aus 56 heute die Fäden ziehen, oder noch ein paar Tage warten sollte. Aber der Chef schien heute mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache zu sein.

      Hanna Sturm fuhr inzwischen in rasendem Tempo vom Krankenhause in Zehlendorf über die Kronprinzenallee, Roseneck, der inneren Stadt zu. In einer eleganten Strasse des Westens hatte Justizrat Lerch seine Büroräume.

      „Herr Justizrat ist jetzt stark beschäftigt!“ erklärte der junge Mann in der ersten Kanzlei auf Hannas Frage.

      „Bitte, bringen Sie ihm meine Karte, vielleicht ist er dennoch zu sprechen.“

      Der junge Kanzlist zuckte die Achseln und ging. Erstaunt kehrte er gleich darauf zurück; denn der Justizrat hatte nach einem kurzen Blick auf diese Karte entschieden:

      „Ich lasse Fräulein Sturm bitten.“

      „Wissen Sie, wer das ist?“ fragte der kleine Kanzlist den Registrator, der gerade mit einem Aktenbündel aus der Registratur kam, „Sturm heisst sie.“

      „Mensch“, meinte der Registrator und schaute über seine Brillengläser Hanna Sturms Gestalt nach, „das ist doch die bekannte Journalistin, die hat doch vor einem Jahr in dem Schiebungsprozess Klapper und Genossen den Haupttäter entdeckt. Die Kriminaler sollen schön geschimpft haben, dass ihnen ein Frauenzimmer bei der Entdeckung zuvorgekommen ist. Ein fixer Kerl, die Sturm“, schloss er anerkennend und schoss mit seinem Aktenbündel weiter.

      Justizrat Lerch erhob sich lebhaft. Er ging mit ausgestreckten Händen Hanna Sturm entgegen.

      „Störe ich Sie sehr, Herr Justizrat?“

      Hanna sah den Aktenberg neben seinem Schreibtisch und seine verarbeitete Miene.

      „Solche Störung, liebes Fräulein Sturm, lasse ich mir gern gefallen. Wie geht es Ihnen? Worin kann ich Ihnen helfen? Oder sind Sie es wieder einmal, die mir helfen will?“ fragte er lächelnd in Anspielung auf die Sache „Klapper und Genossen“.

      „Nein, Herr Justizrat. Diesmal habe ich etwas von Ihnen zu erbitten.“

      „Und das wäre? Aber nehmen Sie doch Platz.

      „Lieber Herr Justizrat, ich habe soeben etwas erlebt, was mich tief erschüttert hat.“

      Sie erzählte kurz von der Einlieferung der Patientin ins Krankenhaus, von Geheimrat Schrombeck und den knappen Tatsachen, welche der Polizeibericht für das Krankenhaus mitgegeben.

      „Denken Sie, es handelt sich um Marlene Hagen. Sie haben sie doch seinerzeit verteidigt, Herr Justizrat?“

      „Du lieber Gott, das arme Mädel. Hat auch nichts wie Unglück. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass sie unschuldig gewesen ist.“

      „Derselben Meinung war ich damals auch. Leider habe ich ja den Prozess nur aus den Zeitungen verfolgen können. Ich war ja damals, wie Sie wissen, auf meiner südamerikanischen Redaktionsreise. Sonst hätte ich mich in den Fall schon hineingekniet. Das steht fest.“

      „An Ihnen ist auch ein Kriminalkommissar verlorengegangen, Fräulein Sturm.“

      „Mein Gott, wie viele Berufe wollen Sie denn noch für mich reklamieren, Herr Justizrat? Schrombeck wirft mir immer noch etwas von meiner Fahnenflucht vor der Medizin vor. Aber nun zu der kleinen Hagen. Es muss da etwas geschehen. Sie scheint in jämmerlichen Verhältnissen zu sein. Schrombecks Untersuchung hat völlige Unterernährung ergeben. Doppelt schlimm bei ihrem Zustande jetzt.“

      Lerch war ehrlich erschüttert. Selten war ihm ein Fall aus seiner Praxis so nahegegangen wie der Marlene Hagens.

      „Aber warum sie sich nicht ein einziges Mal mehr an mich gewandt hat, ich hab’ ihr doch ausdrücklich gesagt, sowie sie in Not ist — scheint ein sehr stolzes Kerlchen zu sein.“

      „Darum muss man eingreifen, auch ohne dass sie was dazu tut, Herr Justizrat. Und das möchte ich.“

      „Es ist doch merkwürdig, Fräulein Sturm, wie die Dinge zusammenkommen. Wissen Sie, dass ich selbst der kleinen Hagen damals geraten habe, sich an Sie zu wenden? Ich habe ihr sogar Ihre Adresse in Rio gegeben. Sie sollte Ihnen schreiben. Denn Sie haben bisher immer noch einen Rat gewusst, besonders für so ein armes Menschenkind.“

      „Der Brief ist nie angekommen.“


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