Der böse Blick. Björn Larsson
»Als Ausländer möchte ich mich lieber an die Gesetze halten.«
Gute Antwort, dachte Ahmed.
»Was ist mit Ihnen, Ahmed. Nehmen Sie es mit dem Gesetz auch so genau?«
»Derzeit nicht. Ich werde umziehen und brauche Geld. Sie können den Scheck auf Ahmed Layada ausschreiben.«
Aus dem Augenwinkel heraus ahnte Ahmed Rachids Blick. Rachid kannte also Addelhak Layada alias Abou Adlare. Layadas Spezialität war die Ermordung von Intellektuellen. In Layadas Spatzenhirn wurde man zum Intellektuellen, sobald man in der Lage war, hinter seine Worte oder Gedanken ein Fragezeichen zu setzen. Layada besaß ein simples Credo: Wer den Taghout, den Tyrannen, nicht bekämpfte, war dessen Verbündeter und ein Feind des Islam. So wie viele der blutdürstenden Fanatiker war Layada Analphabet und stolz darauf. Hatte nicht Mohammed die unverfälschte Wahrheit offenbart, gerade weil er Analphabet gewesen war? In Wirklichkeit war Layada zum Denken nicht in der Lage. Und er war nicht allein.
Jetzt fragte sich Rachid bestimmt, ob Ahmed mit Layada verwandt war. Das sollte er ruhig tun. Zweifel zu säen, auch wenn kein unmittelbarer Anlass dazu bestand, war bislang Ahmeds Überlebensstrategie gewesen.
Dumas gab ihm den Scheck.
»Was, glauben Sie, könnte den Zwischenfall verursacht haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Ahmed. »Es war Rachid, der die Ursache entdeckte und mir Anweisungen gab, was zu tun war.«
»Es war kein Zufall«, sagte Rachid.
»Woher wissen Sie das?«
»Jemand hatte den Kabelschuh gelöst. Die Muttern waren mit Loctite verschlossen.«
»Loctite?«
»Ein Epoxidkleber, mit dem man die Schrauben fixiert.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«
Rachid antwortete nicht.
»Ich verstehe. Sie wollen nicht als Denunziant dastehen. Sie beide sind loyale Angestellte des Unternehmens. Auf Georges’ Vorschlag hin übernehmen Sie, Ahmed, den Posten des Vorarbeiters von Alain, der eine andere Aufgabe bekommen wird. Ich möchte, dass Sie die Augen offen halten und mir alle ungewöhnlichen Vorgänge sofort melden. Weitere Verzögerungen können wir uns nicht leisten. Was glauben Sie, was ein halber Tag Stillstand kostet? Über eine Million Francs. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass Sie vor allem Alain im Auge behalten sollen.«
»Was für eine Arbeit soll er übernehmen?«, fragte Ahmed. »Als Vorarbeiter sollte ich seinen Aufgabenbereich kennen. Er wird über meine Beförderung nicht gerade begeistert sein.«
»Alain wird als normaler Arbeiter weitermachen und bleibt in Ihrer Truppe. Wenn er gezwungen ist, mit sechzig Algeriern zusammenzuarbeiten, wird ihn das schon zur Raison bringen. Außerdem ist es gut, ihn unter Aufsicht zu haben, bis wir Näheres herausgefunden haben. Ich denke, die Sicherheitsabteilung wird eine rasche Untersuchung durchführen. Man wird sich an Sie wenden.«
Dumas stand auf.
»Und noch etwas. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass die Hauszeitung von Ihrem Eingreifen berichtet, sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind. Ihre Mitarbeiter sollen ruhig zur Kenntnis nehmen, dass man loyal zu seinem Unternehmen stehen kann, unabhängig von Rasse oder Religionszugehörigkeit.«
Dumas war kein Dummkopf. Gab es eine bessere Gelegenheit, sie auf die Probe zu stellen und ihre Zuverlässigkeit zu testen? Wie würde Rachid reagieren?
»Lieber nicht«, sagte er rasch.
»Warum nicht?«
Rachid schwieg.
»Und Sie, Ahmed? Wollen auch Sie Ihre Ruhmestat lieber für sich behalten?«
»Rachid muss für sich selbst sprechen, aber ich will der Geschäftsleitung nicht als Alibi dienen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Ausländer oder Algerier bin. Unter Tage bin ich Betonarbeiter. Wenn Sie Ihren Angestellten beweisen wollen, dass Sie keine Vorurteile besitzen und alle gleich behandeln, begrüße ich die Initiative. Aber lassen Sie meinen Namen besser aus dem Spiel.«
»Abgemacht. Doch Sie müssen damit rechnen, dass sich das Gerücht von allein verbreitet.«
»Wenn es um Ausländer geht, zählen doch immer nur Gerüchte. Wer interessiert sich heutzutage schon für die Wahrheit? Die verkauft sich doch nicht.«
Dumas warf ihm einen kurzen Blick zu. Ahmed fragte sich, ob er nicht zu weit gegangen war. Er hatte sich die Bemerkung einfach nicht verkneifen können. Erst als er das Büro wieder verließ, dachte er daran, dass der Skinhead aus genau demselben Grund den Stein nach Fatima geworfen hatte. Er hatte sich einfach nicht mehr beherrschen können.
Auf dem Weg zu Georges’ Büro überlegte Ahmed, ob er Rachid vertrauen konnte. Eines stand fest: Wäre Rachid ein religiöser Fanatiker, hätte er unter keinen Umständen sein Leben aufs Spiel gesetzt, um das Bauprojekt zu retten. Zwar existierten die absonderlichsten Wege, um zum Märtyrer zu werden und ins Paradies zu gelangen, doch Gott fern stehende kapitalistische Konzerne vor Millionenverlusten zu bewahren, dürfte kaum dazugehören. Rachid konnte eine Möglichkeit sein, wenn Ahmed seine Sicherheitsvorkehrungen traf.
»Was ist herausgekommen?«, fragte Georges.
»Ab morgen bin ich Vorarbeiter.«
»Gut. Und eure Belohnung?«
»Zehntausend für jeden von uns.«
»Ziemlich mickrig. Die Sanierung nach einer Überschwemmung hätte mehrere Millionen gekostet. Was ist mit Alain?«
»Alain bleibt als normaler Arbeiter in meiner Gruppe. Wenn er dazu bereit ist.«
»Ist das die Strafe? Ihn mit den Arabern zusammenarbeiten zu lassen?«
»Dumas bat uns, Alain im Auge zu behalten«, schaltete Rachid sich ein. »Ich glaube, Dumas will einen Beweis haben, bevor er ihn rausschmeißt.«
»Was meinst du dazu?«, fragte Georges mit Blick auf Ahmed. »Jemand in Dumas’ Position braucht einem Angestellten doch wohl keine Straftat nachzuweisen, um ihn loszuwerden.«
»Nein, es sei denn, er hat seine besonderen Gründe. Alain hat am Algerienkrieg teilgenommen und ist Mitglied der Front National. Sein Sohn vermutlich auch. Schwachsinn vererbt sich nun mal. Woher wusstest du eigentlich, dass Alains Sohn Angehöriger der Sicherheitskräfte der Front National ist?«
Georges schaute Rachid an.
»Alain hat vor seinen Kumpeln mit seinem Sohn angegeben. Ich war zufällig dabei.«
Ahmed fragte sich, ob Rachid die Wahrheit sagte. Vielleicht. Vielleicht nicht.
»Wir müssen es wohl noch ein bisschen mit Alain aushalten«, sagte Georges. »Aber leicht wird das nicht.«
Niemals war Rachid dem Ziel so nahe gewesen. Alles war gut gegangen. Nicht auszudenken, wenn Alain erfolgreich gewesen wäre! Fünf Monate intensiver Vorbereitung wären nutzlos gewesen. Allah hatte Rachid auf den rechten Weg geleitet. Er hatte keine Sekunde daran gezweifelt, wo der Schaden lag. Es war eine Offenbarung gewesen. Er hatte genau gewusst, was er tun musste. Er war ein Auserwählter Allahs. Rachid hatte nicht nur das Bauprojekt gerettet, sondern sich zudem Vertrauen erworben. Wer sollte ihn jetzt noch verdächtigen, der zu sein, der er in Wirklichkeit war? Nie zuvor hatte er sich so stark gefühlt. Nicht einmal Ahmed konnte ihn aus dem Gleichgewicht bringen.
Rachid wunderte sich auch nicht, als Ahmed vorschlug, eine Tasse Kaffee zusammen zu trinken. Sie gingen in das nächste Bistro. Rachid sorgte dafür, dass er mit dem Rücken zur Wand in der Ecke saß und den Eingang im Auge behielt. Die Lektionen seiner Lehrmeister vergaß er nie. Sie hatten ihm stets eingeschärft, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
»Ich muss mich wohl bei dir für meinen neuen Job bedanken«, sagte Ahmed, nachdem ihnen zwei Espressi serviert worden waren. »Wie bist du nur so schnell auf die Ursache gekommen?«