Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner
wolltet über Feld?“
„Nach Brombach, Geld einziehen für gelieferte Särge. Aber das hat morgen Zeit.“
„Ich danke Euch.“
Leonhard sah den Junker von der Seite an, verwundert oder doch wenigstens betroffen über die ritterliche Anrede, und sagte: „Du bist mir keinen Dank schuldig.“
Schweigend stiegen sie nebeneinander durch das Niederholz den Berg hinan. Als sie unter dem Gipfel waren, vor den Hochtannen, die den Scheitel bedeckten, sagte Leonhard: „Hierher!“ und ging einen schmalen Pfad voran, der neben den Tannen hinführte.
Bald standen sie vor der Hütte des Waldbruders. Sie war in einer sonnigen, trockenen Bucht aufgerichtet, die gegen die Wind- und Wetterseite zu von dem Walde geschützt war. Jenseits eines klaren Bächleins, das in einer Bergrinne hinunterlief, traten nackte Felsen vor. Ein gehauener Pfad führte auf die Höhe, und oben in einer welligen Waldlichtung stand die Werkstatt des Einsiedlers.
Friedrich sah sich neugierig um. Sein Führer schloß die Tür auf und forderte mit einer stummen Gebärde den Junker auf, in die Hütte zu treten.
Friedrich zögerte.
„Als was für einer soll ich unter Euer Dach gehen?“ fragte Friedrich und zögerte, in die Tür zu treten.
„Zuvor eine Bitte“, sagte Leonhard. „Alle Leute sagen du zu mir, und ich tue ihnen dergleichen. Du verwirrst mich, wenn du nicht ‚du‘ zu mir sagst.“
„Ich weiß jetzt, daß Ihr ritterlichen Geblütes seid“, antwortete Friedrich, darum sage ich Ihr, es sei denn“ — dem Junker traten die Tränen in die Augen, und er streckte ihm beide Hände entgegen — „es sei denn, daß wir zueinander du sagen wie ein Schwager dem Schwager.“
„Ihr seid ein Hirschhorn“, sagte Leonhard kalt. „Tretet ein.“
Friedrich seufzte und trat ein.
Es sah ärmlich, aber sauber in der Hütte aus. Von dem großen irdenen Kachelofen ging ein Hauch von Behaglichkeit durch das Stübchen.
Leonhard blies das Feuer aus der Asche, legte Kienholz darauf, und bald prasselte es vergnüglich im Ofen.
Die beiden Männer saßen sich gegenüber am roh gezimmerten Tisch, Friedrich auf der Bank zwischen den beiden kleinen Fenstern, Leonhard vor dem Ofen auf dem niedrigen Schemel. Der Wolfshund lag blinzelnd an der Tür.
Der Junker griff unter sich, hob den Hasen vom Boden, beugte sich über den Tisch und legte das Wildbret vor Leonhard auf den Boden.
„Da hab’ ich Euch etwas mitgebracht.“
Leonhard schob mit der Spitze seines groben Schuhs den Hasen zurück und sagte: „Behaltet Euer Wild und“ — er sah Friedrich scharf an — „Euern Wein und Euern Speck und was mir sonst heimlich vor die Tür gelegt worden. Was ich jetzt weiß, das ahnte ich und habe es unberührt gelassen. Es liegt droben in der Werkstatt. Der Speck ist verdorben, da hab’ ich ihn den Füchsen hingeworfen.“
Friedrich sah traurig vor sich hin. Dann hob er das Haupt und sah den Einsiedler innig an.
Leonhard ahnte, was er sagen wollte, und fragte rasch: „Weiß sie davon?“
Friedrich schüttelte den Kopf. „Aber immerhin denket an sie“, sagte er, „und nehmet es hin von dem Gatten Eurer Schwester.“
„Meine Schwester ist das Weib eines Hirschhorn!“ sagte der Einsiedler hart.
„Nun denn“, sprach der Ritter, und der Kopf war ihm rot geworden, „so mögen die Füchse, die den Speck gefressen haben, auch den Hasen holen!“
Er öffnete das Fenster und warf den Hasen über die Rasenfläche den Abhang hinunter.
Der Hund fuhr auf wie wütend und wollte zur Tür hinaus. Sein Herr beruhigte ihn und wurde darüber selber ruhig.
Er setzte sich auf die Bank und sah Leonhard forschend an.
„Ich gehe nicht von dannen, bis es zwischen Euch und mir hell geworden ist. Wißt Ihr, daß Ihr ein Sternenfels seid?“
„Ich habe es vergessen.“
„Meine Frau ist eine Sternenfels.“
„Ich weiß es.“
Leonhard hatte beide Ellbogen auf die Knie gestemmt, seine Stirn in seine Hände gelegt und schaute auf den Boden.
„Haltet Ihr meine Frau — sie heißt Ursula — für Eure Schwester oder nicht?“
„Sie ist eine Hirschhorn geworden.“
Friedrich stand erregt auf. Sein Kopf stieß fast an die Decke. Der Hund erhob sich mit einem freudigen Schluchzen und schnupperte an der Tür.
Der Einsiedler richtete sich auf und machte mit dem rechten Arm eine halbe Gebärde, die zum Bleiben einlud. Friedrichs Blick fiel auf Leonhards linke Hand, deren Finger mit einer Falte seiner Kutte spielten. Die Finger zitterten. Friedrich sah ihm eine Weile zu; da kam ihm der Gedanke, daß seines Gegners Ruhe geheuchelt sei.
Er setzte sich wieder auf die Bank und legte beide Arme auf den Tisch. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich der Hund zu seines Herrn Füßen nieder.
„Weiß sie“, fing Leonhard an, „weiß sie, daß —“
Er vollendete nicht.
„Es graut ihr vor dem Fragen, und sie möchte mir zum Vergessen helfen. Darum schaut sie nicht rückwärts. Sie weiß, daß von hinten etwas Unheimliches kommt, darum faßt sie mich an der Hand wie die ältere Schwester ihr Brüderlein und sagt zu mir: ‚Schau nicht zurück, komm, wir laufen frisch voran; bald hört der Wald auf, dann wird es hell und frei.‘ Aber im verborgenen Herzen sehnt sie sich nach dem, was hinter ihr geht, wie ein Kind Heimweh hat nach der Mutter. Sie möchte die Stimme wieder hören, die ‚Mutter‘ rief und ihr die Tränen gelöst hat, so daß sie um die Mutter weinte. — Schwager, komm mit! Ich führe dich zu ihr. Ursula, ich habe deinen Bruder gefunden!“
Bewegt und mit feuchten Augen hatte Friedrich die letzten Worte gesprochen, wie einer, der, von seinem Gefühl überwältigt, den ausgedachten Weg verläßt und sich von seinem Herzen leiten läßt querfeldein auf das Ziel zu.
Leonhards Brust arbeitete schwer. Auch er war aufgestanden, aber nicht, um die Hände zu ergreifen, sondern um sich vor ihnen zu flüchten in den hintersten Winkel der Kammer. Der Hund fuhr auf und knurrte.
Leonhard lehnte sich an die Wand und kreuzte die Arme über der Brust.
Er nahm das letzte Wort seines Gegners auf und rief:
„Gefunden! Sie hat ihren Bruder gefunden, wenn ich meine Mutter gefunden habe. Führe mich zu ihren Gebeinen, und ich gehöre euch! Dann suchen wir miteinander des Vaters Grab. Wir finden es. Die Mutter hilft uns. Dann ist die Vergangenheit tot, ich ziehe dieses Kleid aus und bin Leonhard von Sternenfels, der Letzte meines Geschlechts.“
„Du vergissest, daß ich ein Hirschhorn bin“, sagte Friedrich. „An dem Tage, wo deine Mutter aus der Welt schied, war die männliche Sippe meines Geschlechts beieinander, und wir schwuren auf das Evangelium, daß, solange der Name Hirschhorn lebt, kein Wort an das Geheimnis rühren werde und keine Hand an —“
Er brach ab.
„Ich kann nicht!“ fing er wieder an. „Und trotzdem —“
Er ging auf Leonhard zu: „Dich bindet kein Eid! Deine Schwester ist der einzige Mensch, der von Gottes und Rechts wegen zu dir gehört und du zu ihm. Mit deinem Verlangen nach der Mutter Grab nimmst du ihr den Frieden und tötest all ihr Glück. Gib dies mörderische Suchen auf. Zieh dies Narrenkleid aus und stelle deine unritterliche Arbeit ein. Sei, wer du bist! Hör auf mit diesem Komödiantenspiel, mit dem du die Kinder erschreckst, die Abenteurer an dich lockst, aber vernünftige Männer ärgerst, und schließlich, ohne es zu wissen und zu wollen, wie ein rechter Narr das größte Unheil anrichtest. Mir selber erschienest du mitunter wie die Stimme