Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner

Das deutsche Herz - Adolf Schmitthenner


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aufsteigenden felsigen Berg.

      Die Pferde schritten rüstig aus, und die Reiter kamen rasch in die Höhe.

      „Ist es nicht schön hier?“ fragte der Junker sein Weib.

      „Sehr schön, aber in Hirschhorn ist es schöner.“

      „Oh sieh doch, wie der Wald hier so groß steht, und er steigt hinauf bis über die Gipfel der Berge. Solchen Wald hat niemand weit und breit. Schau zurück, wie der Neckar dahereilt zwischen den knappen grünen Wiesen und wie er nun im herrlichen Bogen geht, und dann entgleitet und flutet er in die tiefe Einsamkeit des Waldes hinein. Hier habe ich die schönsten Tage meiner Kindheit erlebt. Dort drüben habe ich den ersten Auerhahn erlegt.“

      „Wie alt warst du da?“

      „Zwölf Jahre alt“, sagte Friedrich nach einer Pause. „Es war im Frühling 1589.“

      Ein Schatten flog über sein Gesicht. Ursula biß sich auf die Lippen.

      Da dröhnten rasch hintereinander drei Schüsse von den drei Kartaunen auf dem Wall.

      „Wir sind da!“ rief Friedrich. Seine Stirne war wieder klar, und seine Augen leuchteten.

      „Siehe da, das liebste unter all meinen Häusern!“

      Zwischen dem Gebüsch der Abstürze treten nackte Felsen mächtig hervor. Von wildem Walde umwogt, ruht Schloß Zwingenberg auf stolzem Gesims. Düster und drohend blickt es herab, unheimlich wie sein Name.

      „Heil der Herrin von Zwingenberg!“ rief Friedrich, als sie in den Schloßhof ritten.

      Er reichte dem Burgvogt die Hand, stieg ab und hob sein Weib aus dem Sattel.

      „Laß sieden und braten!“ rief er munter. „Der Imbiß von Eberbach liegt lange hinter uns. Wir haben Hunger und Durst!“

      „Und nun sieh, Ursula! Der neue Torbau! Und hier die Schnecke! Ist die nicht zierlich? Nun geht es in den innersten Hof. Schau einmal den Brunnen! Gefällt er dir nicht? Ist das Traubengehänge nicht schön um die Muschel herum? Das hat ein Gipskünstler aus Heidelberg gemacht. Und sieh, hier ist das Meer und nebendran das Morgenland. Sieh, der Walfisch speit gerade den Jonas aus. Ich weiß nicht, wer mehr zu bedauern war, der Fisch oder der Prophet. Gefällt dir es nicht? Sieh, das habe ich mir selbst so alles ausgedacht.“

      „Es ist hier stattlich und stolz“, sagte Ursula, „aber so finster und so kalt. Kein Sonnenstrahl kommt in diesen Hof.“

      „Oh, die Burg hat auch sonnige Stuben. Wir gehen jetzt die Schnecke hinauf und sehen uns alles an. Hier herein gehen wir zuletzt, denn da speisen wir. Hier ist das Schlafzimmer, ist das nicht hell und luftig? Schau doch, da schauen wir in die Wolfsschlucht hinunter.“

      „Oh, ist die wild!“

      „Ja, herrlich wild! Im Winter kommen die Wölfe in Rudeln da herunter. Schier aus dem Bette können wir sie schießen.

      „Ja, kommen sie hier herein? Ich danke.“

      „Nein! Aber wir rücken unsre Betten an das Fenster, zwischen uns legen wir ein geladenes Gewehr.“

      „Ich danke.“

      „Warum denn nicht? Und wenn wir des Morgens aufwachen, schauen wir schnell zum Fenster hinaus und schießen einen Wolf. Oh, die Jagd! Die Jagd! Hier wird mein Weib eine Jägerin!“

      So redete er sich immer mehr in eine aufgeregte Heiterkeit hinein, und alles, was er sagte, verriet die Absicht, ihr den Aufenthalt in Zwingenberg ins hellste Licht zu stellen.

      Als sie auf der Zinne des Bergfrieds standen, zeigte er ihr alle Teile der Burg und ihrer Wehre, dann breitete er die Arme aus und rief: „Alles, was du schaust, ist dein und mein.“

      „Der Himmel nicht“, erwiderte sie.

      „Der ist Gottes“, sagte er und ergriff ihre Hand. „Darum ist auch der Himmel dein und mein.“

      Er wartete auf ihre Antwort. Als sie schwieg, sagte er: „Weißt du, was ich möchte?“

      „So sprich es doch aus.“

      „Wir wollen hier wohnen.“

      Ursula schüttelte leise den Kopf und antwortete: „Hirschhorn ist mir lieber.“

      „Was mangelt meiner Liebsten hier?“ fragte er innig.

      „Die Mutter“, sagte Ursula leise.

      Friedrich gedachte, wie sie in der vergangenen Nacht das Wort Mutter aus dem Graben herauszulocken suchte.

      „Auch der Hirschhorner Zwinger antwortet nicht immer.“

      „Aber seine Antwort schläft nur. Es kommt auch einmal wieder eine Nacht, wo es Mutter ruft aus dem Graben herauf.“

      „Und hier antwortet dir der Felsen, so oft du willst. Ich habe das Echo noch nicht erprobt, aber was gilt’s, es ist da?“

      „Der Fels ist zu nahe, und der Berg ist zu düster.“

      „So versuche es doch! Rufe!“

      „Hier nicht.“

      „So will ich es tun: ‚Mutter!‘“

      Das Wort verklang hart und kurz. Kein Widerhall kam vom Felsen. Da schlang Ursula ihre Arme um den Gatten und sagte:

      „Wir wollen hierherziehen. Wo du fröhlich bist, da bin ich gern.“

      Er preßte sie an die Brust. „Und nun sag mir noch die gute Kunde, die du mir verheißen hast.“

      „Hier nicht“, erwiderte sie ängstlich. „Die Sonne geht hier so rasch hinter den Berg, das ist schlimm. Wir sind ganz im Schatten, und der Schatten ist hier so dunkel wie nirgends. Sieh, das Tal liegt noch breit in der Sonne; es ist noch zwei Stunden lang Tag, und hier ist es schon Abend.“

      „Zu Tisch! zu Tisch!“ rief die Stimme des Burgvogts aus der Tiefe.

      „Zu Tisch!“ wiederholte Ursula. „Heute bin ich noch Gast, das nächstemal bin ich Hausfrau.“

      Die Tafel war fröhlich. Der Burgvogt, der Lehrer, der Schultheiß von Zwingenberg und der Geracher Pfarrherr nahmen daran teil. Es gab Fische und Wildbret und Hühner. Der Wein aus dem Burgkeller, roter Himmelreicher von Gundelsheim, war köstlich.

      „Es ist ein katholischer Wein“, sagte Friedrich und stand vom Stuhle auf. „Die deutschen Herren von Horneck haben ihn gebaut. So trinken wir mit diesem Wein die Gesundheit Seiner Kurfürstlichen Gnaden des Erzbischofs von Mainz, der mir allezeit ein gnädiger Herr gewesen ist, wie ich ihm allezeit ein treuer Lehensritter bleibe bis an meinen Tod.“

      Darauf ließ er sich und den andern die Becher von neuem füllen und rief: „Meiner herzlieberi Hausfrau, der Herrin von Zwingenberg!“

      Die Tafel war aufgehoben. Der Ritter ging mit den Männern in die Ställe. Die Rosse wurden aufgeschirrt und stampften ungeduldig im Burghof, denn auch sie hatten eine gute Mahlzeit getan. Ursula sann über ihr süßes Geheimnis, und sie überlegte, wie sie es ihrem Gatten mitteilen solle. Da gedachte sie an das Wickelkind, von dem ihr der kleine Lips erzählt hatte.

      „Ich gehe in eines der nächsten Dorfhäuser“, sagte sie zum Torwärtel, „und ich lasse den Herrn bitten, daß er mir nachfolge, aber allein.“

      Sie ging über die Brücke und fragte einige Kinder, die sie mit großen Augen anschauten: „Wo wohnt euer Spielgeselle, der Lips?“

      „Der wohnt hier“, sagten sie und wiesen auf die nächste Hütte.

      Ursula klinkte an der Türe; sie war verschlossen. Sie sah durch das Fenster; niemand war in der Stube. Nun ging sie um die Hütte herum in das kleine Gärtchen, das zwischen Haus und Felsen lag. Da fand sie ein junges Weib, das auf der Hausstaffel saß und ihr Kind stillte. Die Mutter hatte ihr Haupt vorgebeugt und sah auf ihren Säugling nieder. Ursula sah den schneeweißen Nacken mit Verwunderung an, denn sie hatte noch nie auf dem Dorf eine solche Haut gesehen. Sie trat


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