Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner

Das deutsche Herz - Adolf Schmitthenner


Скачать книгу
Eltern hat mein Oheim das Blättchen versetzen lassen an seinen eignen Zweig. So bin ich, die Letzte meines Geschlechtes, völlig um meine lieben Eltern gekommen.“

      „Hast du nie deinen Oheim zur Rede gestellt?“

      „Doch, kurz bevor du um mich geworben hast. Er war so leidlich wiederhergestellt. Da sagte ich ihm einmal, als wir miteinander seiner Frauen Grab besuchten: ‚Warum erzählst du mir nie von meinem Oheim Otto und meiner Muhme Luitgard und meinem Vetter Leonhard?‘

      ‚Da ist nichts zu erzählen‘, erwiderte er heftig. ‚Sie sind sehr früh gestorben, als du noch ein kleines Kind warst.‘

      ‚Es muß doch etwas zu erzählen sein‘, fuhr ich fort, ‚denn sie sind alle drei an einem und demselben Tag gestorben.‘

      Da winkte er mir mit der Hand, daß ich schweigen solle, und zitterte am ganzen Leib. Ich habe niemals mehr die Rede darauf gebracht.“

      „Woher wußtest du denn das, was du deinem Oheim sagtest, daß alle drei an einem Tage ihr Ende gefunden haben?“

      „Vergib, ich vergaß, dir dies zu erzählen. Hinter jedem der drei Namen stand ein Kreuzlein und dabei das Datum ihres Todes. Bei allen dreien war es derselbe Tag und derselbe Monat und dasselbe Jahr.“

      „Sag ihn an!“ rief Friedrich und schaute in der größten Spannung sein Weib an.

      „Der achte April.“

      „Also die Osterzeit!“ sagte Friedrich leise.

      „Ja. Ich erinnere mich deutlich, daß ich an jenem Tage mit meinem Brüderchen Leonhard die ersten Veilchen gesucht hatte. Eine weite Strecke des Wegs hielt ich das Sträußchen in der Hand. Als ich es verloren hatte, schrie ich so heftig, daß der Knecht abstieg und mir große Waldveilchen brach. Habe ich dir’s nicht erzählt?“

      „Und nun noch das Jahr“, sagte Friedrich. Sein Wort klang mehr wie ein düsterer Abschluß, als wie eine Frage der Wißbegierde.

      „Anno 1589.“

      Des Junkers Hengst sprang auf die Seite. Friedrich hatte sich hoch aufgerichtet und sah in die Wiesen hinüber. Er ritt fort, ohne zu bemerken, daß sein Weib stillhielt.

      „Friedrich!“ rief sie ihm nach. Er wandte sein Pferd und ritt langsam zurück. Sein Gesicht war sehr bleich und sehr ernst, seine Haltung war straff. Mit unsäglicher Traurigkeit und in überströmendem Erbarmen sah er sein Weib an.

      „Friedrich!“ rief sie ihm entgegen, „siehe, die Kinder von Zwingenberg wollen uns grüßen.“

      Im grünen Eingang einer Schlucht stand ein Häuflein von Knaben und Mädchen. Sie schwenkten grüne Maien und riefen um die Wette:

      „Heil dir, lieber Herr! Heil dir, liebe Frau!“ Dann stellten sie sich in eine Gruppe und sangen Johann Heermanns schönes Lied:

      „Mit Jesu fangʼ ich an,

      Mit Jesu will ich enden;

      Was ich nur immer tu’,

      Wohin ich mich mag wenden,

      Soll meiner Augen Ziel

      Nur einzig Jesus sein:

      In meinem Herzen nichts

      Als Jesus wohn’ allein.“

      Friedrich hatte die Hände gefaltet und saß andächtig im Sattel, als der Gesang schon eine Weile zu Ende war.

      „Der Herr dankt euch“, sagte Ursula freundlich zu den Kindern. „Ich freue mich, daß ihr euern Herrn so liebhabt und daß ihr so schön singen könnt.“

      Sie winkte ein Mädchen zu sich heran.

      „Was hast du in deinem Körbchen?“

      „Eier! Unsre Hühner haben ausgelegt; sie fliegen alle Morgen in die Wolfsschlucht und verlegen ihre Eier. Aber wir haben alle sieben gefunden.“

      „Weisʼ einmal her.“

      Das Kind hob das Körbchen in die Höhe.

      „Frischgelegte Eier! Wer von euch Buben hat ein Messer im Sack?“

      Drei hoben den Finger in die Höhe und riefen: „Ich!“

      „Wessen Messer ist am saubersten?“

      Zweie der Knaben schauten sich verlegen an. Der dritte aber war wie der Blitz in das rieselnde Bächlein gesprungen, wusch die Klinge seines Messers und rief während dieses Geschäftes: „Meines ist das sauberste!“

      „Auf jeden Fall bist du der fixeste.“

      Der Knabe brachte das Messer. Die Schneide blinkte wie Fensterglas in der Abendsonne.

      Ursula sah das Bübchen aufmerksam an.

      „Bist du nicht der Schnelläufer, der von Lindach hierher gesprungen ist?“

      Der Knabe nickte stolz mit dem Kopf.

      „Bist du von Lindach oder von Zwingenberg?“

      „Ich bin von hier. Wir wohnen oben gerade vor dem Schloß, seit unser Haus abgebrannt ist.“

      „Ihr armen Leute! Euer Haus ist abgebrannt?“

      Der Knabe nickte betrübt mit dem Kopf, und in dem Tone, in dem man zu sagen pflegt: „Selten kommt ein Unglück allein“, fügte er hinzu: „Wir haben daheim auch noch ein kleines Wickelkind.“

      „Oh! Das will ich sehen! Sage deiner Mutter, ich besuche euch heute. Und nun nimm dein Messer und köpfe ein Ei. Kannst du es tun?“

      „Oh gut!“

      „Nun komme du, mit der blauen Jacke, halte das geköpfte Ei.“

      „Und du mit dem Messer, wie heißest du noch?“

      „Lips!“

      „Lips, du machst es mit einem zweiten Ei geradeso.“

      „Junker Hirschhorn!“ rief sie ihrem Gatten zu.

      Er war rastlos im Schritt auf und nieder geritten.

      „Wir nehmen jetzt die beiden Eier. Das sind unsre Becher. Mit denen stoßen wir an, und trinken sie aus auf alle Kinder in Zwingenberg.“

      Die Kinder schauten lachend zu.

      „Nun aber müssen wir auch unsre Zeche zahlen, lieber Herr. Was kosten die Eier?“

      „Die kosten nichts.“

      „Ich gebe dir für jedes einen Weißpfennig.“

      „Das ist zuviel“, sagte das Mädchen. „So teuer sind sie nicht.“

      „Nimm nur! Und halte dein Körbchen her.“

      Sie schüttelte den Inhalt des grünseidenen Beutelchens über die Eier und legte dann das geleerte darüber.

      „Verteile das unter die Kinder in Zwingenberg. Das Beutelchen selber gehört dir.“

      „Wie sollen wir’s verteilen?“ fragte das Mädchen.

      „Wie ihr wollt“, sagte Ursula traurig. „Fragt euern Lehrer.“

      Sie winkte den Kindern Abschied zu und ritt zu ihrem Gatten. Je länger sie mit den Kleinen gesprochen hatte, desto mehr drückte sie die unbezwingliche Schwermut ihres Gemahles, die sie fühlte, obgleich sie ihn nicht ansah.

      Sie ritt dicht an seine Seite und sagte zu ihm:

      „Ich habe dir noch etwas zu erzählen, das wird dich sicherlich froh machen. Ich weiß es ganz gewiß.“

      Ihre Augen strahlten.

      „Ich sag’ es dir, wenn wir allein sind. Heute noch, und hier noch. Zuletzt kommt das Beste.“

      „Das Beste?“ fragte er langsam und sah sein Weib traurig an.

      Sie ritten unter der Burg hin längs der Straße, an deren


Скачать книгу