Das deutsche Herz. Adolf Schmitthenner

Das deutsche Herz - Adolf Schmitthenner


Скачать книгу
und bei deinen Särgen, da erscheint mir all dein Treiben kindisch. Wärest du katholisch —“. „Ich bin’s.“

      Friedrich sah seinen Schwager mit großen Augen an, aber ohne Feindseligkeit.

      „So gehe in ein Kloster. Dein Wesen und Tun entspricht keiner Regel deines Glaubens, sondern nur allein dem Trotz deines Herzens. Komm mit, wir gehen zusammen in mein Haus. Was wird der Hannes für Augen machen, wenn ich ihm sage: ‚Das ist der Junker Leonhard von Sternenf els, der Bruder deiner gnädigen Frau.‘“

      Friedrich lächelte. „Morgen kommt deine Schwester nach Hirschhorn“, fuhr er fort, „sie will dort ihre Niederkunft halten. Was werden ihre schönen Augen leuchten, wenn sie in ihrer Genter Kutsche durchs Tor fährt und ich reite hinter ihr drein am Wagenschlag vorbei und rufe in den Hof hinein: ‚Grüß dich Gott, Schwager! Hast du gut hausgehalten?‘ Du aber trittst heran in ritterlicher Kleidung und hebst sie aus der Kutsche und nimmst sie in deine Arme und küssest die sich Sträubende; ich stehe hinter dir und rufe: ‚Küsse ihn herzhaft, Ursula, es ist dein Bruder Leonhard!‘ Oh, eine solche Freude im Herzen des Kindes wird alles Unrecht sühnen, das im alten Haus geschehen ist, und deine Schwester wird mir einen stolzen Sohn gebären. Von eurer Kindheit redet dann miteinander, von Vater und Mutter, malet alles, dessen ihr euch erinnert, miteinander liebevoll eins ans andre gelehnt, auf goldenen Grund. Und wenn ihr weinen wollt über ihr trauriges Los, dann tut es nicht heimlich, nein, ich weine mit euch. Aber fragen, fragen dürft ihr nicht.“

      Der Junker breitete seine Arme aus und ließ sie traurig sinken. Leonhard hatte seine Arme in die Kutte gewickelt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Jetzt hob er das Gesicht. Ein verbissener Zug lag darinnen.

      Er sah den Ritter durchdringend an und sagte langsam und schwer:

      „Die Beußerin von Ingelheim —“

      Friedrich zuckte zusammen wie von einem Streich getroffen und rief schmerzlich:

      „Welchen Namen nennst du?“

      „Die Beußerin von Ingelheim

      hob ihre schneeweißen Hände —“

      Leonhard hob die flachen Hände in die Höhe. Friedrich schlug die Augen nieder und griff hinter sich. Er wich zurück, bis er an den Schemel stieß, dann setzte er sich nieder. Die Hütte zitterte von der Wucht. Der Hund fuhr wütend auf den Einsiedler los. Friedrich, vornübergebückt, griff nach dem Tier und zog es zurück. Der Hund legte sich knurrend hinter seinen Herrn. Der Junker murmelte etwas vor sich hin, faltete die Hände über seinem Knie und saß da wie ein ergebener Knecht.

      Leonhard maß ihn mit einem triumphierenden Blick.

      „Du bist ein verfluchter Mensch“, sagte Leonhard bitter.

      Friedrich schüttelte den Kopf und lächelte. „Gott hat mich gesegnet“, sagte er leise.

      „Du wirst ohne Leibeserben dahinfahren“, fuhr Leonhard fort.

      „Aus dir spricht ein rachsüchtiger Teufel.“

      „Du warst dabei und hast es nicht gehindert.“

      „Ich war ein Knabe, und sie haben mich trunken gemacht.“

      „Was ist mit ihr geschehen?“ schrie Leonhard außer sich. Er hatte sich auf den Dasitzenden gestürzt und schüttelte ihn an beiden Schultern.

      Mit einem schrecklichen Geheul fuhr der Hund auf und schnappte dem Angreifer nach der Kehle. Leonhard beugte sich zurück. Der Hund war in der Höhe geblieben und zuckte zum zweitenmal vorwärts, noch ehe Friedrich ihn hatte packen können. Da griff Leonhard unter seine Kutte, sein Messer blitzte in der Luft, und der Hund stürzte lautlos zu Boden.

      Friedrich stand vor dem verendenden Tier und sah seinen letzten Zuckungen zu.

      „Es war ein treuer Hund“, sagte er und hob ihn am Halsband in die Höhe. Er trug die Leiche zur Hütte hinaus und warf sie den Abhang hinunter zu dem toten Hasen.

      „Da habt ihr noch etwas, ihr Füchse!“ rief er in den Wald hinein.

      Als er wieder in die Hütte trat, schaute ihm Leonhard entgegen.

      „Ich bin meiner Mutter ihr Wolfshund“, sagte er, und die weißen. Zähne sahen hinter den Lippen hervor.

      Friedrich schaute ihn mit einem langen Blicke an, der langsam an seiner Gestalt niederglitt.

      „Alles vergeblich“, sagte er traurig. „In dir atmet ein rachsüchtiger Teufel. Wenn du einmal zu deiner Mutter kommst drüben in der Ewigkeit, dann verleugnet sie dein irdisches Tun.“

      „Ich weiß es besser“, erwiderte Leonhard. Er kniff die Lippen aufeinander, während ihn Friedrich erwartungsvoll ansah.

      „Ich glaube meinem Meister.“

      „Wer ist dein Meister?“ fragte Friedrich verwundert.

      „Ich habe drei Meister gehabt“, erwiderte Leonhard und verzog höhnisch die schmalen Lippen. „Mein erster Meister war der Wasenmeister von Hirschhorn. Bei ihm fand ich einen Unterschlupf, wenn mich die Herren von Hirschhorn aus dem Graben jagten, die Hunde auf mich hetzten und mit der Wallbüchse nach mir schossen.“

      „Das war der tolle Hans, mein Ohm“, rief Friedrich schmerzlich, „und meine wilden Vettern!“

      „Aber diesen Meister meine ich nicht. Er lehrte mich nichts weiter, als wie man Aas verlocht, und er schlug mich grausam. Als ich wußte, daß meine Mutter tot ist, entlief ich ihm. Mein zweiter Meister war ein Zigeunerhauptmann. Ich kam ihm in die Hände in dem großen Wald jenseits des Neckars und lebte bei ihm sieben Jahre. Er lehrte mich, mit Messer und Schlinge umzugehen, zu stehlen wie ein Fuchs, zu rauben wie ein Marder, zu fliehen wie ein Reh und mich wütend einzubeißen wie ein Wolf. Als man seinen goldenen Becher in meiner Tasche fand, entschlüpfte ich und kam zu meinem dritten Meister. Das war ein Einsiedler im Schwarzwald, nicht weit von Lahr, bei Schloß Hohengeroldseck. Er fand mich im Wald, nahm mich in seine Hütte und machte aus mir einen Menschen. Das Ave und den Rosenkranz hat er mich gelehrt und hat mir vom heiligen Leonhard erzählt. Er war ein Schreiner und wies mich, wie man den Hobel führt und Särge macht. Als es mit ihm zum Sterben ging, fragte er mich: ‚Was wirst du tun, wenn ich tot bin?‘ — ‚Ich warte an der Landstraße, bis jemand kommt, der mit mitnimmt.‘ Er schüttelte den Kopf und sah mich lange an. ‚Besinne dich‘, sagte er; ‚hat dir Gott keine Aufgabe gegeben?‘ — ‚Ich wüßte etwas‘, sagte ich und lüpfte dieses Messer in der Scheide. Mein Meister legte mir seine zitternde Hand auf den Arm. ‚Das ist Gottes Wille nicht, sondern des Teufels Wille‘, sagte er. ‚Denke an den heiligen Leonhard. Aber ich weiß etwas, das Gott von dir will: suche deiner Eltern Grab und bete bei ihren Gebeinen. Willst du das tun?‘ Ich versprach es ihm in die Hand. Da war er zufrieden. ‚Es ist gut‘, sagte er, ‚wenn ein Mensch weiß, was er tun soll, dann geht er einen geraden Weg.‘ Als er tot war, hab’ ich’s ihm noch einmal ins Ohr hinein versprochen, nicht zu rasten und zu ruhen, bis ich der Eltern Grab gefunden habe.“

      „Sieh meine Burg als deiner Mutter Grab an“, sagte Friedrich, „und suche nach den Gebeinen deines Vaters.“

      „Deine Burg ist groß; ich will mit meinen Händen die Stätte decken, wo die Mutter liegt.“

      Friedrich kehrte sich zur Tür.

      Ehe er schied, wandte er sich noch einmal um und sagte: „Schone deine Schwester!“

      „Ich suche sie nicht“, sagte Leonhard.

      „Kann ich dir etwas geben? Für deine Hütte, deinen Haushalt?“

      „Ich bedarf nichts.“

      „Für dein Handwerk? Brauchst du Bretter?“

      „Ich habe, was ich brauche.“

      „Die draußen liegen, sind so kurz. Ich will dir von der Säge zu Langental lange heraufführen lassen.“

      „Ich mache auch Kindersärge“, sagte Leonhard mit einem stechenden Blick.

      7


Скачать книгу