Fußball, deine Fans. Martin Thein
ihr eigenes Ding und nannten sich fortan „Red Devils“. Da ich einer der jüngeren von der „Seerose“ war, fühlte ich mich im Prinzip fast mehr zu denen hingezogen als zu den eigenen Leuten von der „Seerose“. Und ich hatte auch eine Freundin, die bei den „Red Devils“ war. Deshalb war ich eigentlich fast mehr bei denen als bei meinen Leuten. Das waren junge Leute, die hatten einfach mehr meinen Musikgeschmack, die haben ihre Freizeit genau wie ich verbracht. Und sie waren körperlich einfach noch mal eine Nummer fitter.
Ich kann mich noch genau an ein Ereignis erinnern. Es war der Jahreswechsel 1979/1980. Der Fanklub „Seerose“ lud jedes Jahr zu einer legendären Weihnachtsfeier ein. Wir hatten damals bei der Tombola einen Hauptgewinn, in dem Jahr irgendeinen Ghettoblaster. Einer von unseren Jungs hat den gewonnen, hat den ins Auto gelegt und kam zwei Stunden später ganz aufgelöst zurück und sagte, man habe ihm die Fensterscheibe eingeschlagen und den Ghettoblaster geklaut. Die breite Masse war natürlich sofort der Meinung, dass dies nur welche von den Jüngeren, neu Dazugekommenen gewesen sein konnten. So was mache doch keiner von uns. Man muss wissen, dass die Jüngeren von ihnen schon in richtig schräge und obskure Geschäfte verwickelt waren. Da waren Drogenhändler dabei, die ersten Leute waren auch schon im Jugendknast etc. Das war eine ganz andere Nummer als unsere Jungs von der alten „Seerose“.
Gut, die späteren und heute noch aktiven „Red Devils“ streiten das bis zum heutigen Tag kategorisch ab. Das glaube ich ihnen auch, denn in der Gegend haben damals noch ganz andere Leute gewohnt. Aber sie nahmen das zum Anlass, ihr eigenes Ding zu machen. Sie fühlten sich von uns verraten und ungerecht behandelt. Typisches Generationsproblem, besonders und gerade auch bei Subkulturen. Sie spalteten sich von uns ab und machten dann ihren eigenen Fanklub auf, die „Red Devils“. Sie waren die erste und auch jahrelang dominierende Hooligan-Gruppe beim FCN.
Letztendlich bist du zu einer Ikone der „Seerose“ geworden. Was hat dich bis heute dort gehalten?
Die Jungs von den „Red Devils“ haben mich natürlich auch gefragt, ob ich zu ihnen übertreten möchte. Es gab übrigens auch zwei Seerosler, die das gemacht haben. Ich aber habe mir gesagt: Nein, ich bin von der „Seerose“ und das bleibe ich auch. Das ist kein Thema für mich! Vielleicht war es auch so, weil ich damals doch schon ein bisschen älter war und mir die ganze Nummer eine Idee zu gewaltbereit war. Es gab ja kein Spiel, bei dem es nicht richtig geknallt hat.
Seid ihr zusammen mit den „Red Devils“ zu den Auswärtsspielen gefahren?
Ja, wir sind meistens alle zusammen gefahren. Es gab nie eine Konkurrenz, da waren wir gemeinsam in der Sache: „Nur der FCN“. Es kam auch nicht vor, dass die einen in dem und die anderen in dem Waggon waren, das war komplett gemischt. Auswärts waren wir immer zusammen, ein unzertrennbarer und sich gegenseitig schützender Verbund. Das musste auch so sein, denn es gab ja auch Angriffe von anderen Fans auf uns. Aber ab Mitte der 1980er Jahre waren die „Red Devils“ schon die führende Kraft. Das ist der Lauf der Dinge.
Duelle nach Art „Dritter Halbzeit“
Fallen dir noch Beispiele für besondere Auseinandersetzungen ein?
Köln fällt mir hier spontan ein. Ich erinnere mich noch genau, als wenn es gestern wäre. Aus dem Zug raus, raus aus dem Bahnhof, gleich links die 40 Jahre für den Club 51 Rolltreppe hoch Richtung Domplatte. Und dann standen sie schon vor uns, die Kölner Hooligans. Die sind allerdings gleich reihenweise gefallen. Die Kölner hatten zwar quantitativ sehr viele, aber qualitativ war das nichts. Die ersten Erfolge waren schon gigantisch. In den 1980er Jahren begann auch die Freundschaft mit den Schalkern. Zusammen mit denen waren wir ein unglaublicher Mob, der in Westdeutschland seinesgleichen suchte.
Gab es zwischen den Kölnern und den Nürnbergern bestimmte Verabredungen?
Du musstest nicht viel verabreden. Es war ja klar, wann wir am Bahnhof in Köln ankommen. Und da haben sie schon auf uns gewartet. So war das eigentlich fast überall. Damals hat es ja nahezu kein Spiel ohne Auseinandersetzungen gegeben. Die Polizei hat dann immer mehr aufgerüstet und hat auch versucht, die Fans frühzeitig zu trennen. Das ist ihnen natürlich nicht immer gelungen. Zu der Zeit gab es auch noch Jagdszenen mitten im Stadion. Keine Kameras, dafür sehr viel Platz, da die Stadien fast nie ausverkauft waren.
Das klingt ziemlich nostalgisch und gewaltverherrlichend …
Was heißt gewaltverherrlichend? Ich erzähle die Geschichten nur, wie sie sich damals ereignet haben.
Hast du denn nie darüber nachgedacht, dass da einige Sachen aus dem Ruder gelaufen sind?
Klar habe ich das. Was glaubst du, warum ich mich seit 25 Jahren beim sozialpädagogischen Fanprojekt Nürnberg engagiere. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was die Jungs im Alter von 13 bis 15 Jahren bewegt, was sie antreibt, durch Deutschland zu fahren und ihre Abenteuerlust beim Fußball auszuleben. Fußball, Gruppendynamik, Reisen und Gewalt, das geht manchmal miteinander einher.
Als ich älter wurde, habe ich mir mal gedacht, dass ich meine Erfahrungen, vor allem auch die schlechten, an die jungen Leute weitergeben sollte. Deshalb engagiere ich mich auch schon seit mehr als 25 Jahren in der Jugend- und Sozialarbeit, fahre deshalb auch zu fast jedem Auswärtsspiel.
Du sprichst hier nur über die Nürnberger Verhältnisse. Ist der Prozess der Etablierung einer eigenen Hooligan-Szene in anderen Städten ähnlich verlaufen?
Ja, das kann man so sagen. In den meisten größeren Städten gab es zu dieser Zeit eine Hooligan-Gruppe. Es gab damals praktisch kein Bundesligaspiel ohne Hooligan-Ausschreitungen. Das wurde nur medial nicht so ausgeschlachtet wie heute.
Wie ging das dann eigentlich mit der „Seerose“ weiter?
Die Mitglieder der „Seerose“ haben sich nach wie vor weiter getroffen. Das Lokal gab es nach dem Abriss nicht mehr. Wir sind dann ein paar Meter weiter gezogen, haben uns dort regelmäßig vor dem Spiel getroffen. Fast alle sind weiterhin auch auswärts gefahren, der Zusammenhalt war da. Mit der Zeit und dem Alter haben wir dann nicht mehr die ganz großen gemeinsamen Aktionen gemacht. Auch mit dem Kickern und Flippern jeden Abend bis in die Puppen war es vorbei. Wir haben uns samstags am Spieltag getroffen.
Sicherlich haben auch einige von euch Familien gegründet. Sind dadurch nicht viele der „Seerose“ ferngeblieben?
Doch, schon einige. Es gab in den 1990er Jahren tatsächlich eine Phase, in der viele eine Familie gegründet haben. Sie bekamen Kinder und hatten nicht mehr die Zeit, überall mitzureisen. Auch das Geld wurde knapper. So zog sich auch der eine oder andere zurück, das muss man ganz klar sagen. Die sind zwar immer noch ins Stadion gegangen, aber waren dann irgendwo in einem anderen Block, allein mit ihrer Familie. Erst so 1997/98, als wir in die 3. Liga abgestiegen sind, da waren viele plötzlich wieder da.
Fanszene im Hier und Jetzt
Was empfindest du, wenn du nach diesen Erlebnissen an die augenblicklich sehr intensiv geführte Gewaltdebatte denkst?
Das ist eigentlich ein Witz. Es ist lächerlich und auch ein Stück weit verlogen. Mir wird oft vorgeworfen, dass ich das Ganze verharmlose, aber ich frage dann, was ich verharmlosen soll. Ich weiß, wie es früher war, und wenn ich das mit heute vergleiche, dann ist das für mich eben harmlos. Wir hatten damals die schrecklichsten, diffamierendsten Gesänge, da hat sich niemand drum gekümmert. Und stell dir mal vor, wir konnten in den 1970er und 1980er Jahren das komplette Feuerwerkssortiment mit ins Stadion bringen. Das war kein Problem. Da gab es Stifte, die aussahen wie Kugelschreiber. Vorne konnte man wahlweise einen Vogelschreck (das nannte man damals so, weil es dafür eigentlich gedacht war) – also Böller – oder eine Feuerwerksrakete draufsetzen und dann in die Luft schießen. Wir haben im Fürther Ronhof den ersten Spielabbruch im deutschen Fußball provoziert. Als dem Schiedsrichter eine Leuchtrakete genau vor die Füße flog, hat er das Spiel der zweiten Liga (Saison 1972/73) abgebrochen. Unfassbar, wenn ich heute darüber nachdenke. Aber so war das damals halt.
Wie erlebst du diesen schon seit Jahren anhaltenden