Geist Gottes - Quelle des Lebens. Heinrich Christian Rust
und Religionen. Bereits im AT finden wir Ansätze für ein Verständnis, welches das Geisteswirken auch bei nichtjüdischen Menschen oder Völkern erkennt und erwartet. Der Perserkönig Kyros, der die Exilierten aus Babel wieder heimziehen lässt, wird als Werkzeug Jahwes gesehen, als ein vom Geist Gottes Gesalbter (Jer 27,4–11; Jes 4,5). Herausragend ist ebenso die Aussage im Prophetenbuch Maleachi. Dort wird nicht nur gesagt, dass die Völker eschatologisch zu Jahwe umkehren werden, sondern dass jetzt schon in allen Völkern, in anderen Religionen und Kulturen Jahwe unbewusst verehrt wird. „Auf der ganzen Welt werde ich verehrt, an allen Orten bringen mir die Menschen Opfergaben dar, die mir gefallen, und lassen den Rauch zu mir aufsteigen. Ja, alle Völker ehren mich, den allmächtigen Gott“ (Mal 1,11).49 Vielleicht hatte Paulus diese Aussagen vor Augen, als er vor den Athenern von dem allumfassenden Urgrund sprach und den „unbekannten Gott“ verkündete, durch den allein wir leben und handeln (Apg 17,28). Die Schlussfolgerungen im 1. Johannesbrief können in ähnlicher Weise verstanden werden: Gott ist die Agape-Liebe (1Joh 4,8.16) und alle menschliche Agape-Liebe stammt aus Gott (1Joh 4,7). Folglich ist jeder, der liebt und Gerechtigkeit tut, aus Gott gezeugt (1Joh 2,29). Missionale Pneumatologie spürt das Wirken des Geistes Gottes auch in anderen Kulturen und Religionen auf, um Menschen auf die Quelle dieser Liebe in Jesus Christus hinzuweisen. Zudem ist bei allem Bemühen um eine komparative und dialogische Religionswissenschaft daran festzuhalten, dass in Jesus Christus die Liebe Gottes erschienen ist und er der Weg zum Vater ist.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) formulierte hierzu Folgendes: Alles, „was sich an Gutem und Wahrem bei ihnen (den anderen Religionen und Kulturen) findet“, ist „Gabe dessen, der jeden Menschen erleuchtet“ (LG 16). Damit vertritt Vatikanum II religionstheologisch einen Inklusivismus, der davon ausgeht, dass die volle und endgültige Offenbarung in Christus erfolgt ist, aber andere Religionen und Kulturen auch Wahres und Heiliges enthalten können.50 Missionale Pneumatologie spürt diese Werte des Wahren und Heiligen in anderen Religionen und Kulturen auf und weist zugleich auf den Ursprung und die Quelle des Heils in Christus hin.51 Christen sind überzeugt, dass das Wort Gottes in Jesus Christus die tiefste und vollkommene Offenbarung ist. Ohne Orientierung an Jesus, der von dem Geist der Liebe, der Güte und Gerechtigkeit geprägt ist, können wir nicht erkennen, ob irgendwo der Geist Gottes sich manifestiert. Wenn etwas der Botschaft von Jesus widerspricht, dann kann es nicht vom Geist Gottes stammen. Der notwendige interreligiöse Dialog und der Dialog der Weltanschauungen wird bereichert durch eine komparative Theologie, die auch spirituelle Erfahrungen mit einbezieht und sich nicht nur auf doktrinärer bzw. wissenschaftlicher Ebene bewegt.52 Die Pneumatologie eröffnet somit neue Zugänge zum notwendigen interreligiösen Dialog.
b.Der Geist Gottes in alttestamentlicher Zeit
Gottes Geist wirkt nicht nur in der Schöpfung, sondern sein Wirken wird auch im Leben des alten Bundesvolkes bezeugt. Der Geist Gottes wirkte in der Väterzeit. Von Joseph wird berichtet, dass er durch den Geist Gottes Träume und die Fähigkeit der Traumdeutung bekam (1Mo 41,38). Erst in der Richterzeit begegnet jedoch ein gezielter Gebrauch des Begriffs der Ruach Gottes.53 Hier werden Menschen durch den Geist Gottes mit Kraft zugerüstet, die ihnen geradezu Unmögliches ermöglicht (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 14,6; 16,10; 1Sam 11,6). Der Geist Gottes kommt über die erwählten Personen und erfüllt sie mit großer Energie und Weisheit. Dabei verschweigt das biblische Zeugnis nicht, dass es sich hierbei um fehlerhafte Menschen handelt. M. Welker konstatiert über diese charismatischen Führungspersonen der frühen Zeit: „Nicht nur unvollkommene, endliche, sterbliche Menschen, sondern auch Außenseiter, Zweifler, Misstrauische, Machtbewusste, die auch vor Bedrohung und Erpressung ihrer Mitmenschen nicht zurückschrecken – so werden die „frühen Charismatiker“ von den biblischen Texten gekennzeichnet.“54
Diese ersten Zeugnisse vom Wirken des Geistes Gottes berichten von einem unerwarteten Eingreifen Jahwes und von der Erneuerung der Einmütigkeit des Volkes. In all diesen frühen Bezeugungen der Erfahrung des Geistes Gottes geht es primär um die Wiederherstellung von Ordnung, Einheit und Solidarität. Er befähigt einzelne Frauen und Männer im Volk Israel, Leitung zu übernehmen. Als Mose 70 Männer ausgewählt hatte, die ihn in der Leitung unterstützen sollten, wurde ihnen der Geist Gottes verheißen (4Mo 2,16f). Josua, der Nachfolger von Mose, wurde ebenfalls mit Gottes Ruach erfüllt (1Mo 27,18–23; 5Mo 34,9). In der folgenden Königszeit wird von David berichtet, dass der Geist Gottes auf ihn kam, als Samuel ihn salbte (1Sam 16,13). Die Psalmgebete bezeugen das Bewusstsein der Wirkung des Geistes Gottes in der individuellen Spiritualität (Ps 51,13; 143,10).
Das Wirken des Geistes ist allerdings nicht nur auf einzelne Führungspersonen beschränkt – das ganze Volk Israel sollte mit der Ruach Gottes im Einklang leben. In Notzeiten erinnerte sich das Volk an die Wirksamkeit des Geistes, um darin Trost zu finden: „Der Geist Gottes führte das Volk und brachte sie schließlich ins Land Kanaan. Hier durften sie sich niederlassen wie eine Herde, die von den Berghängen hinunter in ein grünes Tal kommt. So hast du, o Gott, dein Volk damals geführt, damit dein herrlicher Name geehrt wird“ (Jes 63,14). Nach der Rückkehr aus dem Exil in Babylon spricht der Prophet Haggai die Verheißung des bleibenden Geistes über dem Volk aus. „Ich halte, was ich euren Vorfahren versprochen habe, als sie aus Ägypten zogen. Mein Geist bleibt bei euch. Habt also keine Angst!“ (Hag 2,5). Serubabel erhält den Zuspruch, dass nicht „Heer oder Kraft“, sondern die Ruach Gottes die ersehnte Befreiung wirken wird (Sach 4,6; LU).
Unmissverständlich wird das vielfältig bezeugte prophetische Wort im Alten Bund als eine Wirkung des Geistes Gottes gedeutet. Propheten erhielten auf unterschiedliche Weise eine Offenbarung von Gott, die ihr natürliches Denk-, Vorstel-lungs- und Sprachvermögen übersteigen. Ebenso vermittelte der Geist Gottes ihnen den Mut und die Autorität, diese Offenbarungen weiterzugeben und zu verkündigen. Dabei finden wir ein geradezu Ekstase auslösendes Wirken, wobei der Prophet eine Erfahrung mit der transzendenten Wirklichkeit Gottes macht.55 Der Geist Gottes kommt auf eine Person und gibt Inspiration (vgl. u. a. 4Mo 11,25; 1Sam 10,6.10; 1Kön 18,22; 2Kön 1,15; Jes 1,8; Hes 1,3; 3,12; 37,1). Die alttestamentlichen Propheten werden als Menschen des Geistes beschrieben (Hos 9,7; Mi 3,8).
Die frühen biblischen Zeugnisse berichten nicht nur von dem Geist Gottes, der aus Not rettet und der Orientierung und Geschlossenheit im Volk Gottes vermittelt. Gott kann auch einen „bösen Geist“ oder einen „Geist der Verirrung“ senden (Ri 9,23; Jes 19,2f; 1Sam 16,14ff). Es bedarf der prophetischen Einsicht und Offenbarung, um einen Lügengeist vom Geist Gottes unterscheiden zu können. Das Problem bei der Unterscheidung der Geister wird eindrucksvoll in der Vision Michas, des Sohnes Jimlas, zum Ausdruck gebracht (1Kön 22; 2Chr 18). Micha stellt sich mit seiner prophetischen Offenbarung und Deutung gegen ein Heer von über 400 Lügenpropheten. Allgemeine Prüfkriterien, wie sie etwa M. Welker herausstellt und auf die heutigen Erfahrungszusammenhänge zu übertragen versucht, sind hier nur sehr zurückhaltend zu hören, zumal die neutestamentliche Prophetie sich wesensmäßig von der alttestamentlichen unterscheidet.56 Die Propheten klagen darüber, dass Israel dem Geist Gottes Widerstand leiste. Allerdings sehen sie einen Tag kommen, an welchem die Ruach Jahwes eine neue Zeit einführen wird. Die zerfallene Hütte Davids (Am 9,11) wird wieder aufgebaut werden. Das wird durch einen Nachkommen Davids geschehen, auf dem der Geist Gottes ruht. „Der Geist des Herrn wird auf ihm ruhen, ein Geist der Weisheit und der Einsicht, ein Geist des Rates und der Kraft, ein Geist der Erkenntnis und der Ehrfurcht vor dem Herrn“ (Jes 11,2). Diese Verheißung fand in Jesus Christus ihre Erfüllung (Joh 1,32; 3,34). Wenn vom Nachkommen Davids, vom Sohn Davids, die Rede ist, wird damit die königliche Seite des vom Geist Gottes Gesalbten hervorgehoben. Daneben gibt es die Verheißungen vom leidenden Gottesknecht. Hier wird ebenso bezeugt, dass auf diesem Gottesknecht der Geist des Herrn ruht (Jes 42,1; 61,1f). Der erwartete messianische Geistträger verband die Erfahrung der Gerechtigkeit Gottes mit der umgesetzten Gerechtigkeit der Thora (Gesetz), konkret in der Kombination von Recht, Erbarmen und Gotteserkenntnis.57
Jesus verband in seiner Person die beiden Seiten dieser verheißenen Messiasgestalt: Er war der angekündigte Spross aus Davids Stamm und der leidende Gottesknecht. In der Messiaserwartung der spätjüdischen Zeit dominierte die Vorstellung vom königlichen und mächtigen Messias,