Radanika. Die Gefangene des Urwalds. Robert Heymann

Radanika. Die Gefangene des Urwalds - Robert Heymann


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Gesicht und weint.

      Er hat einen Blick, einen kurzen Blick in die furchtbaren Geheimnisse des Lebens und des Todes getan — aber er kann sie nicht deuten.

      Ein Gesicht — —?

      Wahrheit?

      Fieber?

      Vision?

      Nur die Erleuchteten kennen die Grenze. Nur sie haben das Wissen. —

      Doch zurück!

      Zurück in den Urwald!

      3.

      Sekunden nur sind vergangen zwischen dem Sterben im Urwald und dem Gesicht des Engländers. Sekunden. Ewigkeitsflug — —

      Maha, der Leopard, ist tot!

      Fünf Kugeln haben Maha durchbohrt.

      Hingestürzt ist das Weibkind über das getroffene Tier, der Pranken nicht achtend, die im Todeskampfe der geliebten Herrin Wunden schlagen.

      Radanikas laute Klagen lassen den Urwald leise erbeben. Schluchzen erfüllt die Luft. Die Nacht wirft sich wie eine verzweifelte Mutter über Tiere und Menschen. Der Himmel wird dunkel, smaragdgrüne Sterne scheuchen das letzte Veilchenlicht vom Rande des Horizonts. Das wilde Heer der Dschungeln sammelt sich in mörderischem Kampfruf. Tiger, Leoparden, Elefanten und Büffel, Raubvögel und Nachtgetier. Schon schwirren die Vampire, fliegende Hunde, als Vorboten der Rächer um die Köpfe der Schänder der Nacht.

      Zu spät! Zu spät!

      Die Räuber haben sich durch Zeichen verständigt. Sie haben die Beute eingekreist. Plötzlich wirft einer Radanika von hinten zu Boden.

      Aber wie selbst die unschuldige Gazelle, aus letztem Schlupfwinkel gescheucht, den gefürchteten Gegner annimmt und den letzten Kampf mit Todesverachtung auskämpft, so greift die Gestellte jetzt die herkulischen Männer an. Doch sie wird von einem surrenden Seil im Fluge erreicht. Der Strick presst ihr die Arme an die Hüften. Sie stürzt hilflos, schon ringelt das Tau sich um ihre Knie. Wie eine Kokosnuss rollt sie den Männern zu Füssen. Sie reissen sie hoch. Schleifen sie durch Tümpel und Gras. In der Nähe wartet ein Wagen, mit stumpfen breitnackigen Wasserbüffeln bespannt. Peitschen knallen. Die Nacht wird finster, Gram senkt sich über das Land.

      Das Tarai hat seine Königin verloren.

      Denn geheimnisvoll, rätselverrankt, tief und bunt wie der Urwald ist Radanikas Geschichte.

      Die Ballade von der Königin der Dschungeln.

      Die blaue Dämmerung ist schnell in einer milchweissen Sternennacht untergegangen.

      Der alte weibliche Leopard erhebt sich von seinem Lager. Diese riesige Katze aus Java ist ein äusserst seltenes, schönes Exemplar aus der Familie der echten Leoparden. Mit leichten Schritten schleicht sie dahin durch die duftschwere Tropennacht, durch ein üppiges Blütenmeer, durch Bambus und leuchtendgrüne Lianen. Von Zeit zu Zeit macht sie halt und zieht den Windgeruch ein.

      Ein enttäuschtes Miauen tönt ganz leise durch die Stille. Laut genug ist es, um einige Affen aufzuschrecken, die schrille Warnungsrufe ausstossen und plötzlich den Urwald in weiter Runde in Alarm versetzen.

      Mit königlicher Hoheit schreitet die Leopardin weiter durch das honigfarbene Röhricht. Die Flanken zittern wie in heftiger Erregung.

      Plötzlich hebt sie den Kopf.

      Hat Witterung.

      Furchtbare Aufregung bemächtigt sich des mächtigen Körpers. Die Lichter blitzen heiss und tückisch. Langgezogenes Brüllen scheucht alles Leben von den Tränken.

      In langen Sätzen schnellt die alte Leopardin sich vorwärts, erreicht den Waldsaum, stutzt, lauscht, duckt sich dicht auf die Erde.

      Dann spannen sich die eisenharten Muskeln: Die Leopardin hat ihr totes Kind eräugt. Mit einem gewaltigen Satz ist sie an dem Platz, wo sich kurz vorher die Tragödie des Sterbens abgespielt hat.

      Ihr markerschütterndes Heulen kann das Junge nicht erwecken. — Im Scheine der Sterne leuchten die blutigen Flecken auf dem Fell der toten jungen Leopardin wie grosse Blumen. Roter Schaum tropft aus dem Maule.

      Ein dumpfes Röcheln kommt aus der Kehle der Mutter.

      Lange schnüffelt die Leopardin an ihrem Jungen herum. Die gebrochenen Augen in dem grossen, runden Kopf geben ihr letzte Gewissheit. Ihre Vorderpranke hebt eine Hintertatze des Jungen etwas in die Höhe. Sie ist schlaff und leblos wie bei einer erlegten Antilope. Umsonst ist das Klagegeheul der Überlebenden, die sich fassungslos neben den leblosen Körper niederlässt, die glühenden Augen auf das tote Tier geheftet. Umsonst ist ihr schnaubendes Totenlied. Plötzlich aber geht es in abgerissenes Wutgeschrei über. Die Leopardin hat die zweite Fährte entdeckt.

      Das mächtige Tier richtet sich auf. Blickt eine Weile mit irrlichternden Augen in die Richtung, in der die Menschenräuber abgezogen sind. Dann nimmt die alte Leopardin mit fliegenden Flanken die Verfolgung der Menschen auf, die ihr zweites Junges, Radanika, das Menschenkind, mit sich geschleppt haben.

      Schon strömt das Rosenlicht durch das nächtliche Dunkel über den Horizont, bricht auf wie eine Knospe und entfaltet seine grossen Blütenblätter in alle Windrichtungen, dass der weite Himmel davon übersät ist. Da steht die Leopardin auf einer fahlen Felskuppe, prächtig hingemeisselt an die steinerne Wand wie ein Relief an dem uralten Grabe des Ptahhotep auf dem Pyramidenfeld.

      Ganz ruhig liegen die Flanken, obgleich ein nie getaner Lauf hinter dem Tiere liegt, das längst nicht mehr die Geschwindigkeit ferner Jahre hat. Tiger und Panther würden scheu an ihr vorüberziehen, könnten sie die stammverwandte Riesenkatze in diesem Augenblick sehen. Aber schon hat der erste Lichtstrahl die Tiere wieder in ihre Verstecke gejagt. Nur Papageien schaukeln sich auf den Ästen, ein paar Affen sitzen mit neugierigen Augen herum und warten, was werden wird. Sie verfolgen erstaunt die kleine Karawane tief unten auf der Strasse: den verhängten Ochsenwagen, die Hunde, eine Anzahl Männer.

      Die Leopardin, ein majestätisches Tier, fällt durch eine Merkwürdigkeit vor allen anderen Tieren der Dschungeln auf: einen silbernen Reifen trägt sie um den Hals, der hell aufglitzert im Schein des erwachten Tages.

      Dieses silberne Halsband leuchtet in der Sonne, das Tageslicht lässt eine seltsame Inschrift hervortreten. Doch die sensationslüsternen Affen haben keine Zeit, sich länger zu wundern. Atemlos sehen sie auf das Schauspiel in der Tiefe.

      Die Leopardin nähert sich mit mächtigen Sprüngen dem verdeckten Ochsenkarren. Die Männer unten schreien sich Warnungsrufe zu, versuchen, zu ihren Gewehren zu gelangen. Da hier am Rande der Dschungeln sich seit Menschengedenken kein Raubtier mehr gezeigt hat, so haben sie alle Vorsicht ausser acht gelassen und ihre Waffen auf das Gefährt geladen, um, Betel kauend und schwatzend, durch keine Last behindert, sorglos ihre Strasse zu ziehen.

      Das gewaltige Tier hat sich zwischen Wagen und Räuber geworfen. So ist es ihnen unmöglich, zu den Waffen zu gelangen. Aber im gleichen Augenblick stellen sich der Leopardin zwei Feinde entgegen, die mit lautem Bellen und Kläffen ihre Aufmerksamkeit von den Menschen abziehen: zwei Riesendoggen, die den Wagen begleiten.

      Ehe es sich die Leopardin versieht, hängt eine schwarze Dogge an ihrer Flanke und verbeisst sich in die Muskeln. Die andere, buntgefleckt, schnappt mit heiserem Heulen blitzschnell nach der Kehle des Urfeindes. Aber die beiden Hunde haben die Gewandtheit ihrer Gegnerin völlig unterschätzt. Ein einziger Tatzenhieb schleudert die gefleckte Dogge mit aufgerissenen Flanken mehr als zwei Meter weit in den zitronengelben Staub, der sich mit Blutperlen rötet. Die Läufe tragen den tödlich verwundeten Hund noch sekundenlang, doch dann windet er sich in Todesqual und Verenden.

      Den zweiten hat die Leopardin nicht so schnell abschütteln können. Seine mächtigen Fangzähne haben ihr eine starke Wunde gegraben. Nun aber dreht sich das Raubtier mit solcher Geschwindigkeit, dass der verbissene Hund, dessen Zähne das Fell nicht haben aufreissen können, hoch über den bogenförmig gespannten Rücken seines Gegners hinweggeschleudert wird. Das rasende Tier greift noch einmal an. Doch wie es jetzt in die schillernden Lichter und


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