Kein Krieg in Deutschland. Astrid Wenke

Kein Krieg in Deutschland - Astrid Wenke


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      »Willst du hier Wurzeln schlagen?«, fragte Andresen nun. Er lachte. Am Ausgang drängelten sich die Kolleginnen.

      »Agnes«, rief Frida und steuerte direkt auf sie zu. Sie streckte ihr beide Hände entgegen. »Du siehst, die Abteilung steht hinter dir. Ich muss mit dir reden, am besten in meinem Büro. Da sind wir ungestört. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es dir zu sagen: Du warst großartig auf der Pressekonferenz«, Frida hastete mit so flottem Gang den Flur entlang, dass Agnes Mühe hatte, Schritt zu halten. »Morgen bist du zu der Talkshow Marina am Freitag eingeladen. Ein Gespräch mit einem Vertreter der Christen und René Reuter von der OzEmG.«

      »Die Organisation zur Entwicklung des menschlichen Genoms ist zu einer Talkshow eingeladen?«, fragt Agnes verwirrt. »Die werden doch geächtet wegen ihrer menschenfeindlichen Positionen.«

      »Ja«, Frida nickte langsam, »da hat sich viel getan.«

      »Ich kann da nicht hingehen«, Agnes sah Frida direkt ins Gesicht, »wir können diese Organisation nicht als Gesprächspartner anerkennen.«

      »Das geht nicht! René ist ein wichtiger Sponsor unserer Arbeit. Mach unsere Grenzen klar, aber schlag die Tür nicht zu.«

      Agnes stutzte: »Wir werden von der OzEmG gesponsert? Ist das vertretbar?«

      »Geld stinkt nicht. In großen Bereichen decken wir die Interessen der Organisation. Die extremen Positionen müssen wir nicht bedienen. Ich wollte allerdings über etwas anderes mit dir sprechen.«

      Sie zückte ihr Handy und ließ die Bürotür aufspringen. »Setz dich.«

      Agnes setzte sich aufrecht auf einen der unbequemen harten Stühle. Sie spürte Fridas warme Hand auf ihrer Schulter. Agnes dreht sich um und versank in Fridas weiten schwarzen Pupillen. Es war wie damals, als Frida die Leitung der Abteilung übernommen hatte. Es war viel getuschelt worden, als sich herumsprach, dass die Stelle extern besetzt werden würde. Gerüchte verbreiteten sich wie Krankheiten über die Flure. Die neue Chefin sollte beängstigend sein, atemberaubend, irgendwie besonders. Dann hatte Frida alle Mitarbeiterinnen einzeln zu einem persönlichen Gespräch gebeten. Agnes war nach dem Gespräch wie benommen gewesen.

      »Diese Augen! Als wären ihre Pupillen ein Tunnel, der mich ohne Umschweife in ihr Innerstes führt. Sie ist einsam, denke ich. Seltsam, wie warm sich das anfühlt.«

      Robert hatte die Achseln gezuckt: »Vielleicht ist es Sehnsucht. Ein Liebesversprechen aus Sehnsucht. Aber sie wird es nicht einhalten können, verlass dich drauf. Die Frau ist kalt.« Aber Agnes hatte unbeirrt geschwärmt: »Wie sie redet! Klar, logisch, auf den Punkt gebracht.«

      Robert hatte aus dem Fenster gesehen, den Blick in etwas Fernem fest verankert. »Weil sie kalt ist. Sie könnte dir beim Ertrinken zusehen ohne jedes Mitgefühl. In ihr ist die Leere, nichts, was die Klarheit ihrer Gedanken trübt oder ihren Gedanken die Schärfe nimmt. Da ist keine Gefühlsregung, die sie irritiert.« Robert hatte Agnes angesehen, fast hatte er sie mit seinen tiefbraunen Augen gestreichelt. »Lass dich bloß nicht verführen. Logik kann wahnsinnig sein, in sich schlüssig und total verrückt. Ich kenne mich damit aus, glaub mir.«

      »Sie berührt mich sehr«, Agnes hatte schlucken müssen, »es schmerzt.«

      Adrienne war mit dem Fahrrad gut durch den Verkehr gekommen. »Komm rein, komm rein«, forderte Helge sie auf. Sie küsste ihn und griff nach seinem gelben kurzgeschnittenen Schlips. »Du bist mal wieder ausgesprochen hübsch und originell angezogen.«

      »Nicht wahr?«, er senkte den Kopf und bedachte sie mit einem Augenaufschlag. »Setz dich nur, ich hole uns zur Aufmunterung ein frühes Sektchen.« In jeder Hand ein langstieliges und gut gefülltes Glas kehrte er kurz darauf aus der Küche zurück. Vorsichtig, um nur nichts zu verschütten, setzte er sich neben sie.

      »Auf die Liebe! Und nun erzählst du, was los ist mit euch beiden.«

      Adriennes Schultern begleiteten einen tiefen Atemzug. »Es hat angefangen, als diese Frida die Abteilung übernommen hat. Ich hasse sie.«

      »Frida, die diabolische Abteilungsleiterin! Ein leckeres Schnittchen! Immer noch eifersüchtig?«

      Adrienne lachte. »Abgründig. Diese Frida ist abgründig. Sie berührt Agnes auf eine Art, die nicht zu ertragen ist. Es ist nicht gut.«

      Helge saß nur da mit ihrem Sektglas. Jetzt zog sie die Augenbrauen hoch und betrachtete kokett ihre gelb lackierten Fingernägel.

      »Agnes hat etwas schrecklich Verlorenes.« Adriennes Finger krümmten sich und kratzten an der Handfläche.

      »Ich weiß.«

      »Manchmal träume ich, wie Agnes ganz allein in einem unendlich weiten, unendlich schwarzen See schwimmt. Sie ertrinkt beinah. Sie streckt die Hand nach mir aus und ich greife sie und ziehe sie an Land.«

      »Rührend«, Helge tupfte die Augen mit einem gelben Seidentuch. »und nun badet Frida mit ihr.«

      »Nein, Frida hat das Schwarze getrunken. Sie ist bis zum Hals damit abgefüllt. Sie zeigt es Agnes. Agnes läuft ihr hinterher. Sie will das Schwarze haben. So steigen sie einander hinterher auf einen hohen Berg. Auf der Spitze zeigt Frida mit großartiger Gebärde über das Land. Hier auf dem Gipfel sei der Ort der Erkenntnis, behauptet sie. ,Wir überblicken die Welt. Von dieser Warte erschließt sich alles, was das kleine Gewimmel im Tal niemals begreifen wird.‘ Dann kotzt Frida das Schwarze aus. Es stürzt den Berg hinunter, reißt Bäume mit sich, Tiere, Städte, Menschen, alles. ,So ist das Leben‘, sagt Frida.«

      »Lass mich raten«, Helge klimperte mit den Augenlidern, »jetzt retten sie gemeinsam die Welt.«

      »Die Menschen sind dieser Welt auf Dauer nicht gewachsen«, erklärte Adrienne mit ernstem Gesicht. »Sie müssen vollständig gentherapiert werden.«

      Helge warf sich kreischend in eine Sofaecke. Nein«, japste sie. »Und damit kommt sie durch? Da bin ich doch spießig mit meinem konventionellen BusenImplantat.«

      »Ich würde auch lachen. Aber ein Großteil der Medien ist bereits auf die neue Linie eingeschwenkt: Gentherapie, die Technik der Zukunft

      »Warte mal«, Helge horchte. Was ist das für ein Geräusch?«

      Gerade hatte es sich angehört wie das Sirren eines Mückenschwarms, jetzt schwoll der Lärm an, wurde zum Dröhnen. Dann brachen Hubschrauber in den Himmel ein, schwarze Ungetüme mit um sich schlagenden Rotoren. Sie steuerten direkt auf das Fenster zu. Kurz bevor das Glas splitterte, drehten sie ab. Adrienne sah einen der Piloten lachen. Sie rissen Spruchbänder hinter sich her mit roten harten Buchstaben: Wer die Gentherapie verweigert, verseucht das menschliche Genom.

      Auf der Straße skandierten Menschen: »Nein zum Elend, nein zum Leid – Krankheiten vererben, das geht zu weit.«

      Adrienne und Helge waren zum Fenster geeilt und beugten sich vorsichtig hinaus. Dort unten schnellten Fäuste wie auf Befehl gemeinsam in die Höhe.

      Wieder lärmte ein Hubschrauber vorüber: Eine Demonstration der Organisation zur Entwicklung des menschlichen Genoms.

       OzEmG

      Adrienne und Helge standen reglos, bis der Lärm verebbte. Adrienne brach das Schweigen: »Was geht hier vor?«

      Helge fältelte seine Stirn.

      »Unsere Redaktion hat keine Meldung über eine Demonstration bekommen.«

      »Das war eine Spontandemo. Die wittern Morgenluft wegen Agnes’ Äußerungen auf dem Kongress. Und irgendjemand hat diese Demo genehmigt.«

      »Was ist das? Wer hat das genehmigt?«

      Vor dem Fenster des Francis-Crick-Hochhauses flogen schwarze Hubschrauber. Sie kreisten um das Gebäude, so dicht, dass die Spruchbänder gegen die Mauern klatschten.

      Frida stellte sich neben Agnes. »Sie haben Kontakte. Sie haben Kontakte, darum haben sie Geld, sie haben Geld, darum haben sie Kontakte. Demokratie ist eine


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