PLATON SIEHT CHEMTRAILS. Kristjan Knall

PLATON SIEHT CHEMTRAILS - Kristjan Knall


Скачать книгу
ganz weit weg. »Was? Wieso?«, frage ich und bereue es eine Nanosekunde später.

      »Es ist typisch männlich, die Welt einzuteilen. Teile und herrsche.«

      »So ein Blödsinn! Kategorisieren ist eine menschliche Eigenschaft! Vielleicht ist sie mehr männlich konnotiert, weil unsere Gesellschaft sich dahin pervertiert hat, aber sind deswegen Kochen, Putzen und Tratschen exklusiv weiblich und damit gut?«

      »Nicht direkt. Aber die Frauen verdienen doch einundzwanzig Prozent weniger?«

      »Schmarrn. Der Gender-Pay-Gap existiert, aber auch wenn die SPD bei ihrer Untergangswahl die falschen einundzwanzig Prozent auf ihrem Plakat abgedruckt hat, sind es in Wahrheit sechs Prozent.«25

      »Kann ja jeder sagen.«

      »Kann auch jeder erklären. Das kommt einfach, weil vorher die unterschiedlichen Berufe außer Acht gelassen wurden. Eine Bankerin verdient genau so viel wie ein Banker, nur werden Männer öfter Banker und Frauen öfter Sozialarbeiterinnen. Der Unterschied in der Bezahlung ist vor allem einer der Berufswahl.«

      »Echt? Das muss ich googeln …«

      »Das steht sogar auf dem gottverdammten BUZZFEED!«

      »Du liest Buzzfeed?«

      »Die machen es richtig, ein guter Artikel und einhundert mal totaler Schwachsinn, der aber wenigstens unterhaltsam und ohne Wahrheitsanspruch ist.«

      »Feminismus ist trotzdem voll wichtig.«

      »Wem nützt das, solche Unterscheidungen hervorzuzaubern? Das nennt man ›falsche Fährte‹ oder ›What-about-ismus‹ und es ist ein mentaler Fehlschluss. Man lenkt vom Thema ab. Feminismus ist schön und gut, wenn er produktiv ist und Frauen aus dem Mittelalter befreit. Aber wer hat etwas davon, wenn die Gesellschaft gespalten ist? Wäre es besser, wenn Frauen auch ruchlose Manager werden? Auftragsmörder? AfD wählen?«

      »Nee …«

      »Das ist wieder so ein Spin-off von: Du musst doch etwas glauben. Wissenschaft und Technik sind böse und hart, so mit Zahlen und so. Reden ist viel einfacher, nicht wahr? Jede Verschwörungstheorie ist eine Abwandlung von dem, was Dramatheoretiker von Ronald B. Tobias über Blake Snyder bis Christopher Booker als Urhandlung ansehen: das Gilgamesch-Epos.26 Hattest du das in Geschichte?«

      »Ich hab Genderstudies belegt.«

      »Gratulation. Es ist die gleiche Geschichte wie Beowulf oder David gegen Goliath. Ein böser Feind kommt in die Idylle, der Underdog nimmt den aussichtslosen Kampf auf und bezwingt ihn mit einem unvorhergesehenen Kniff. Dem Kiesel des David.«

      »Empowerment!«

      »Genau. Wir lieben diese Geschichte. Wir lieben auch den Underdog und den Bösen, der in der Realität nicht in Reinform vorkommt. Aber das Leben ist kein strukturiertes Drama. Es ist brachialer Zufall. Und unser Kategorisierungszwang erzeugt Verschwörungen, um damit klarzukommen. Der rechte Radiomoderator Alex Jones …«

      »Das Schwein!«

      »Das auch. Der sagte, ›wenn du so was wie Captain America siehst, dann ist es fast, als hätte ich das mitgeschrieben!‹ Er erkennt nicht, dass die Realität keine Erzählung ist.27 Wahrscheinlicher ist, er ignoriert es, weil er Dammpflaster verkaufen will. Für ihn ist das ein Geschäft.28 Dennoch: das Menschliche, das Einzige, was wir noch einige Zeit den Computern voraus haben werden, in der Kombination von Geschichten und Fakten.«

      »Nein.«

      »Was nein?«

      »Einfach nein. Sag ich jetzt einfach so. Du solltest mal zum Yoga, um deine inneren Spannungen loszuwerden.«

      »Was? Was ist denn das wieder für ein esoterischer Bullshit? Yoga ist nichts weiter als eine Erfindung von Turnvater Jahn und einem indischen Anwalt vor hundert Jahren!«29

      Ich sehe, wie ihre Flickentruppe mich umringt, aber das ist mir egal. Ich trinke, wenn es sein muss, auch den Schierlingsbecher.

      »Das kannst du so nicht sagen, das ist rassistisch.«

      »Wieso sollte das rassistisch sein? Sind unpassende Tatsachen jetzt politisch? Was ist das für ein verqueres Tabudenken?«

      »Ordner! Hier ist ein Rassist!«, ruft jemand. Bevor ich mich umdrehen kann, packen mich zwei Armpaare in neongelben Jacken von hinten. Die Demokraturkrake.

      »So, jetzt reicht’s!«, sagt einer.

      »Mit Meinungsfreiheit?«, frage ich. Aber sie schleppen mich schon weg.

      Ich werde unter eine fette Linde gesetzt, anscheinend der richtige Ort für Dissens. Gut eigentlich, ich hasse Laufen. Das ist was für arrogante Opfer, wie Achilles. Ob die Menschen in dieser Zeit erfahren werden, wie man Zellen verjüngt? Oder soll ich noch fünfhundert Jahre warten? Fünfhundert Jahre mehr Schwachsinn? Soll ich mich jetzt schlecht fühlen, weil ich es ihnen nicht verraten habe?

      Andererseits, will ich mit solchen Vollidioten wirklich meine Zukunft verbringen? Oder werden die Vollidioten der Zukunft noch schlimmer? Die Menschen hassen Unsterblichkeit. Aber sie können sie nicht halb soviel hassen, wie es ihr scheißegal ist. Was sie meistens vergessen ist, dass Unsterblichkeit keine Notwendigkeit ist, sondern eine Möglichkeit. Ein Taxi rauscht vorbei. Ich könnte mich davor werfen. Ein »Kehrpaket« der Straßenreinigung fährt der Demo hinterher und dann beginnt wieder der Krieg des Verkehrs. Die Wirtschaft rollt weiter. Sinn ergibt sie auch nicht, aber wenn ihre Opposition sich mit Verschwörungstheorien selbst zerlegt, kann sie noch Jahrzehnte weiter marodieren. Wenn es in der Welt sonst nichts Schönes mehr gibt, dann doch den Gedanken an Selbstmord. Schade nur, dass das hier verboten ist. Die da oben wollen es anscheinend so.

      Selbstwirksamkeit: AfD

      Ich gehe den Müllsammlern hinterher. Mache ich nicht das Gleiche? Sammle ich den mentalen Müll der anderen?

      »Wat los, Kolleje, wieso ziehste sone Flunsch?«

      Einer hat mich bemerkt. »Viel Glück und viel Fegen« steht auf seinem orangefarbenen T-Shirt. Es erinnert mich an das siebente Gebot des V. Parteitags des Staatssekretärs Walter Ulbricht in Berlin: »Du SOLLST stets nach Verbesserung deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festlegen.«30 Arbeit war damals wie heute Freiheit. Aber heute wird wenigstens Lustigkeit mit Steuergeldern finanziert. Entmannt ihn hinreichend, verzweifelt stülpt sich seine Goldkette aus dem Kragen. Aufgedunsenes Gesicht, die Augenschlitze wie eine chinesische Großmutter, grobe Finger, die das ganze Leben als Schaufelimitate missbraucht wurden.

      »Menschen eben.«

      »Die da voone, wa? Ja, det isn Pack. Deswejen wähl ick AfD. Damit sich ma wat ändert.«

      »Sind Sie ein Nazi?«

      »Wat, ick?« Er sieht sich theatralisch um. Gesten, die über Jahrzehnte an klebrigen Theken einstudiert sind und sich zu einer Charakterpampe verfestigt haben. »Nee, ick doch nich. So wat sacht man ooch nich. Dit verletzt meen …«

      »Safe Space?«

      »Jenau! Dit is nur Protest, damit sich ma wat ändern tut. Ick fadiehn hia kaum jenuch zum Leben und meene Miete is viermal mehr als zu Ostzeiten. In Westmark … zehnmal? Und in Ostmark noch viel mehr!«

      »Und du wählst AfD, damit die Armen noch ärmer werden?«

      »Wat, wieso?«

      »Steht im Parteiprogramm.«31

      »Ach, det gloobe ick nich.«

      »Na, dann ist ja gut. Hitler wollte bestimmt auch nur das Beste.«

      »Der is faalsch fastandn wordn. Eijntlich wa dea n Linka, hört ma ja schon an NationalSOZIAList. Immerhin hat der ma wat jemacht!«

      »So kann man es auch sehen. Töten ist machen.«

      »Ach, Quatsch, det is doch alles jelojen. Und det faletzt außadem wiedo meen sefspeß. Ick bin ja


Скачать книгу