Winterzeit im Wichtelwald. Tania Eichhorn
einverstanden?“
Pinka schaute nachdenklich in die Luft. „Du hast recht, Lux. Jeder sieht die Gefahr. Dann lass uns einfach ein paar Tage zu Hause bleiben und erst nach draußen gehen, wenn es wieder aufhört zu schneien.“
Die Nacht wurde eisig kalt. Im Ofen knisterte das Feuer und eine dicke Eisschicht belegte die Fenster der kleinen Wurzelhöhle.
Wie am Abend besprochen, durften die Kinder auch am nächsten Tag nicht nach draußen.
„Ihr dürft die nächsten paar Tage von der Schule zu Hause bleiben. Es wäre zu gefährlich, euch durch den Wald ins Wichteldorf zu schicken“, sagte Pinka frühmorgens, als Flora und Phio wie gewohnt bei Sonnenaufgang aufstanden.
„Ja, und ich muss in die Vorschule gehen?“, fragte Phio enttäuscht.
„Aber nein“, entgegnete Pinka, „natürlich bleibst du auch daheim.“
Mit einem lauten „Juchu!“ sprang Phio durch die Wurzelhöhle und freute sich über die unverhofften Ferien.
Flora allerdings, die sehr gerne zur Schule ging, reagierte eher schmollend. „Nicht einmal zur Schule darf ich gehen? Aber dann lerne ich doch nichts! Und ich sehe Margarita nicht“, sagte sie mit beleidigtem Gesichtsausdruck.
„Du wirst sehen, wir werden es uns hier gemütlich machen“, versuchte Pinka ihr kleines Wichtelmädchen zu beruhigen. „Und du kannst ja trotzdem lesen und schreiben. Frau Sommer wird sich bestimmt freuen, wenn du ihr zeigst, was du alleine zu Hause geschafft hast. Und ich bin mir sicher, du wirst ein paar Tage ohne Margarita aushalten.“
Nur ungern akzeptierte Flora die Entscheidung ihrer Mutter, aber was sollte sie tun? Und so wurde in den nächsten Tagen viel gebastelt, gespielt und natürlich gebacken.
Außerdem hatten die vier Wichtel endlich einmal Zeit zu musizieren. Flora spielte auf ihrer Flöte erste Winterlieder, Phio trommelte dazu und Pinka zupfte eher unbeholfen auf der Mandoline.
„Ich freue mich schon, wenn uns Opapa besuchen kommt und wirklich schöne Lieder spielt. Meine klingen eher wie das quietschende Mühlrad unten am Bach“, meinte Pinka und streckte ihre verkrampften Finger aus. Phio grinste schelmisch, doch Flora erwiderte versöhnlich: „Du spielst sehr schön, Mama.“ Pinka bedankte sich mit einem Lächeln und stimmte ein weiteres Lied an.
Auch Lux unterstützte das Familienorchester mit seiner tiefen Bassstimme, doch nicht immer traf er die richtigen Töne. „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, oder?“, brummte er, wenn ihm die schiefen Blicke der anderen auffielen, doch er trällerte voller Überzeugung weiter. Und eigentlich störte es auch niemanden, denn das Allerschönste war, dass sie gemeinsam sangen und spielten.
Vor allem die Kinder genossen es, dass Lux viel Zeit zu Hause verbringen musste. Endlich hatte er die Muße, mit Phio an einem Geschenk für Pinka zu basteln und mit Flora den Tisch in ihrer Schlafkammer zu reparieren.
So vergingen einige Tage. Die ganze Familie hatte ihren Spaß und doch wurden die Kinder langsam zappelig. Immer öfter kam es nun wegen Kleinigkeiten zum Streit. Flora stieß versehentlich Phios Turm aus Bauklötzen um, Phio stibitzte heimlich Floras Farben, Pinka fiel eine Masche der Strickarbeit hinunter und Lux war es einfach nicht gewohnt, ständig in der Wurzelhöhle zu sein, und sehnte sich nach frischer Luft.
Vor allem aber Phio wurde oft ungeduldig und wütend, denn er mochte es gar nicht, wenn er bei einem Spiel verlor. Und Flora hatte irgendwann einfach keine Lust mehr, zu singen oder zu basteln, und langweilte sich in ihrer Kammer.
Mittlerweile war die kleine Wichtelfamilie schon seit über 14 Tagen in der Wurzelhöhle eingeschneit. Alle wollten hinaus in den Wald, die Kinder, um mit ihren Rodeln zu flitzen oder um einen Schneewicht zu bauen, die Wichteleltern, um einen romantischen Spaziergang durch die glitzernde Winterlandschaft zu machen und die Rehe zu besuchen. Alle konnten nur noch daran denken, was sie machen wollten, wenn es endlich zu schneien aufhören würde.
Eines Morgens hörte man ein lautes Schreien aus Floras Zimmer.
„Au, du tust mir weh!“, schrie Flora.
„Nein, lass mich! Das gehört mir!“, entgegnete Phio. „Immer nimmst du meine Sachen!“
„Das ist nicht wahr!“
„Ich hab das gehabt!“
Ratsch ...
Die Wichtelmama stolperte verträumt aus dem Bett hinüber zu Floras Kammer. Da lagen die beiden Wichtelkinder am Boden und jeder hatte ein halbes Buch in der Hand.
„Was um alles in der Welt soll das hier? Es ist noch nicht einmal die Sonne aufgegangen und ihr weckt uns mit eurer Streiterei auf?“ Die Wichtelmama wurde zornig, als sie das zerrissene Buch sah. „Jeder geht jetzt in sein Bett! Über das Buch reden wir später. Und glaubt bloß nicht, dass das keine Folgen hat!“ Wütend verließ sie die Kammer, um wieder in ihr Bett zu kriechen.
Die Kinder warfen sich noch einen letzten wütenden Blick zu, bevor sie zurück unter ihre Decken wanderten.
„Was ist denn mit den Kindern los?“, fragte der Wichtelpapa.
„Ach, sie haben um mein altes Märchenbuch gekämpft. Das liegt jetzt halbiert in Floras Zimmer ... Gut, dass ich noch müde bin, sonst wäre ich explodiert vor Zorn.“
„Nimm es nicht so tragisch, Liebling, die Kinder müssen schon seit über zwei Wochen in der Wurzelhöhle bleiben. Da kann es schon vorkommen, dass man schlechte Laune bekommt. Ich mache uns ein gutes Frühstück, dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
Der Wichtelpapa stapfte in seinen dicken Fellpatschen in die Küche, entzündete ein Feuer im Herd und begann, den Tisch zu decken. Auch Phio konnte es im Bett nicht mehr aushalten und schlich sich aus seiner Kammer hinüber zur Kochstelle.
„Papa?“, begann er zaghaft. „Es tut mir leid, dass Mamas Buch kaputt gegangen ist.“ Dicke Tränen kullerten ihm über das Gesicht. „Das wollte ich nicht. Flora hat es mir nicht zurückgegeben ... ich habe es doch gehabt!“
„Ach, mein kleiner Phio, ihr solltet nicht streiten, schon gar nicht um Dinge, die euch noch nicht einmal gehören. Mama ist traurig, dass das Buch kaputt ist. Am besten wird es sein, du entschuldigst dich bei ihr.“
„Aber ... aber ... Mama ist sicherlich furchtbar böse. So wie Flora. Die ist auch böse. Sie hatte einen ganz roten Kopf.“
„Phio, du entschuldigst dich nachher bei Mama. Und Flora sollte das auch tun.“
„Aber ...“
„Nichts aber! Du solltest dich auch mit deiner Schwester wieder vertragen.“ Der Wichtelpapa bestrich das frische Haselnussbrot mit Schwarzbeergelee und rief ein lautes „Frühstück!“ durch die Wichtelhöhle.
Mit Anlauf stürmte der kleine Phio vorher noch schnell in die Schlafkammer seiner Mama, kroch unter ihre Decke und murmelte ein leises „Entschuldigung, Mama“.
„Ja, mein Phio, schon gut“, sagte Pinka und nahm ihren kleinen Wichtelbuben in die Arme. „Wir werden versuchen, das Buch zu reparieren. Komm, lass uns frühstücken gehen.“
„Ja, Mama, ich hab einen riesengroßen Hunger.“
Zusammen gingen sie in die Küche, wo es wunderbar nach frischem Zichorienkaffee und geknuspertem Brot duftete.
„Lasst uns heute einen kleinen Spaziergang nach dem Frühstück machen, ja?“, meinte der Wichtelpapa.
„Aber was ist mit dem Schnee? Ist es nicht zu gefährlich?“, wunderte sich Pinka.
„Hast du es nicht gesehen? Heute ist ein Sonnentag. Und wir alle brauchen dringend etwas frische Luft. Eine kleine Abkühlung würde unseren beiden kleinen Hitzköpfen nicht schaden.“
„Ja, da hast du recht. Aber wo ist eigentlich Flora?“, fragte die Wichtelmama.
„Flora!