Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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beschloß sie, ihn dafür zu hassen. Ich nahm das als Strafe Gottes und verließ ihn schweren Herzens. (Doch auch aus Vernunft: Ich hatte bereits erfahren, was er war, und wer weiß, wie ich damit fertig geworden wäre.) Ich bemühte mich, das Familienporzellan in der Büßergestalt einer aufopfernden Mutter zu kitten, ich war in den besten Jahren, und die Männer (in diesem Alter lange genug verheiratet und reif für die erste Scheidung) balzten und röhrten, doch ich hatte mich so auf meine Mission (sogar eine christliche, denn ich begann mit der belagerten Kirche zu leben und nahm die Tochter mit) versteift, daß ich alles in allem nur drei erhörte (mehr aus Furcht, schnell dahinzuwelken). Mit einem war ich ein paarmal in seinem Wochenendhaus, mit dem anderen einmal (leider nicht keinmal!) im Hotel (im sozialistischen Prag mit dem Risiko verbunden, als Nutte zur geheimen Mitarbeit gezwungen zu werden) und mit dem dritten, einem Kollegen, (ich erröte vor Scham noch heute) gerade im Büro meines Chefs, beschwipst nach einer Fete, mit der er zum Glück seinen Abschied vor der Versetzung ins heimatliche Ostrau feierte. Auf dem Höhepunkt meiner ‹Askese› entdeckte ich, daß Gábina seit einem Monat nicht mehr in die Schule ging.

      Ein letztes Mal war das durch ein paar klassische Ohrfeigen in Ordnung gebracht worden, mit der Androhung, daß man sie als arbeitsscheue Person in eine Besserungsanstalt stecken würde, sie wußte, daß ‹die› dazu fähig waren. Rasch rechnete sie sich aus, die kleine Bestie (gerieben wie der Papa), daß ihr nichts drohte, solange ich die Entschuldigungszettel unterschrieb, und das tat ich natürlich, was blieb mir übrig? Als sie das erste Mal morgens heimkam, verdrosch ich sie blindlings. Daraufhin verschwand sie glatt ein ganzes Wochenende, und als sie gnädig erschien, küßte ich sie vor Glück wie von Sinnen ab. (Ich mußte, vom Heulen entstellt, einen erschütternden Anblick geboten haben, denn in Zukunft kam sie zwar immer seltener nach Hause, weckte mich aber wenigstens meistens per Telephon auf, um mir beim Gedröhn von Baßgitarren und Drums mitzuteilen, daß sie bis dato am Leben war.)

      Allein und leer sagte ich nicht Nein zu dem Bademeister im Stadion Podolí, wo ich in jenem Sommer gleich von der Arbeit hinwanderte. Er war auf natürliche Art männlich, nicht dumm, genauso alt wie ich und auch geschieden. Da er im Schwimmbad nur eine primitive Kabine hatte und daheim seine Mutter hinter der Tür gelauscht haben soll, nahm ich ihn bald zu mir mit; Gábina ließ sich dort zu jener Zeit überhaupt nicht sehen, war verliebt in irgendeinen Drummer aus dem Underground. (Ganz Prag schien ein einziger Underground zu sein, der trotzdem die Kommunisten am Ruder beließ!)

      Jarek hat mich wieder zu einem normalen Dasein gebracht und konnte es gut mit mir; eines Nachts mußte ich aufschreien, plötzlich Licht, und auf der Zimmerschwelle meine Tochter, wider Erwarten zu Hause aufgetaucht, Mami, was hast du?? mit großen Augen starrte sie dabei Jareks bloßen Hintern an, und dieser Kerl ohne Abitur und Kinderstube wandte den Kopf zu ihr um, Sie lebt gerade, Mädchen, schlaf ruhig weiter! Sie hat mir seinetwegen nie Vorhaltungen gemacht, hatte sogar Respekt vor ihm, doch zu spät: Im Herbst stürzte auch bei uns die bolschewistische Bruchbude endgültig ein, und im Frühling kehrte Viktor wieder, mein teurer Herrscher, der Zweite, Echte und Letzte.

      Seit jenem Novembertag, an dem der Alptraum aus und vorbei war, hatte ich auf seinen Anruf gewartet. Plötzlich wußte ich, daß er diesmal seine Lebenssicherheit in mir finden würde. Ich bin Petra! wiederholte ich für mich vor dem Einschlafen wie närrisch, und das heißt Felsin ...! Jarek schrieb mir traurige Briefe (er erwies sich damit keinen Dienst: sie klangen kitschig), und die ahnungslose Gábina erklärte überraschend, ich sei ein Scheusal, das keine Liebe zu schätzen wisse. Dann (erst im Mai!) rief Viktor an und kam.

      Zum erstenmal forderte ich meine Tochter auf, zur Nacht nicht heimzukommen, und ließ sie im Glauben, es gehe um die Versöhnung mit Jarek. An Viktor hatte ich während der Zeit der Trennung so gut wie nie gedacht, nach dem ersten Schock habe ich ihn verdrängt, aus Selbsterhaltungstrieb! Und jetzt gab es da auf einmal eine Beziehung, die über ein halbes Leben andauerte, beinahe zwanzig Jahre! (Die zehn Nulljahre verwandelten sich in den Gesang von Odysseus und Penelope ...)

      Ich hatte seine geliebten gefüllten Eier zubereitet, zwei Flaschen Würztraminer gekauft, den wir beide früher so mochten, doch kaum benetzten wir unsere Lippen, da riefen wir besessen die Vergangenheit zurück, die uns wie ein fortwährender Feiertag erschien. (Erinnerst du dich? Weißt du noch? Hast du nicht vergessen?) In einer Stunde gingen wir den gleichen Weg wie einst in den ersten Jahren und verfielen einander von neuem. Alles Trübe war vergessen, wir befanden uns wieder, genauso unbewußt, begierig, erregt und staunend, am Beginn und wanderten wie damals von Scham zu Zärtlichkeit, von Zärtlichkeit zu Verlangen und weiter bis zu einer Leidenschaft, wie ich sie nur mit Josef erlebt hatte.

      Diesmal liebte ich jedoch, und die begeisterten Sinne trugen mich über die Grenze des bislang Unentdeckten.

      Bald sollte ich begreifen, daß dies auch die Grenze war, an welcher der Glückstaumel endete und eine endlose Qual begann.

      Viktor, mein ewig Geliebter, verhehlte nicht, daß ihn dieser schwerelose Nachtflug zerrüttet hatte. Nicht ich, sondern er, der nur dem Taufschein nach Katholik war, wirkte beim Morgenkaffee als Gefangener einer Todsünde. Er war bleich und sprach heiser, als er mir schilderte (ohne Vorwurf, eher so, als legte er Studenten die Grundsätze der monetären Politik dar), um wieviel verzweifelter er nach jedem meiner Seitensprünge gewesen war (und ich weiß bis auf Olin längst nicht mehr, wie sie hießen), bis er sein Heil nur noch in der Republikflucht sah; daß ihn in der ersten Zeit drüben am meisten der Gedanke zermürbt habe, mich im Leben nie mehr wiederzusehen; wie er ein paar Jahre lang außerstande gewesen sei, mit jemandem zu schlafen (und ich habe mich hier wenig später mit seinem Kameraden getröstet, der sich alsdann schön entpuppte – lieber nicht dran denken!), bis sich in seinem ersten Dozentenjahr eine junge Slowakin für seine Vorlesungen eingeschrieben habe (ach! eine leidenschaftliche Nation!), der Sproß einer jüdischen Arztfamilie aus Bratislava, die nach achtundsechzig geflohen war, und wie er sie nach kurzer Bekanntschaft geheiratet habe (ist sie so schön, so klug und so leidenschaftlich? nein, nicht fragen: Besser in trügerischer Hoffnung leben, als vor furchtbarer Wahrheit beben ... Zitat: Karel Jaromír Erben, unser Märchendichter), wie sie dann beide aber gewartet hätten, bis auch sie mit der Uni fertig war (ich hab mein Studieren geschmissen), so daß ihr Kind, eine Tochter, erst ein Jahr alt sei (und ich hab dir keinen Sohn geschenkt).

      Freilich hätte ich ihn gleich wegschicken müssen, doch mir fiel aus Kummer nichts Besseres ein, als den Kaffee kalt werden zu lassen, vor ihm niederzuknien, mir aus dem Nachtgewand (ich hatte es zum Frühstück angezogen) meine beiden Ballaste zu nehmen, die er letzte Nacht so wie früher nicht hatte sattküssen können (seine Jüdin hatte vielleicht so was nicht zu bieten ...?), und sie auf den Händen gleichsam aufzutragen wie damals, wie damals. Augenblicklich wurde er rot (ich hatte vergessen, wie sehr das Licht ihn immer störte, und das Zimmer war von Morgensonne erfüllt), doch das Angebot war stärker als die Scham, er kniete vor mir nieder und legte sein Gesicht auf mein Herz und saugte sich an mir fest wie ein kleines Kind, so wie einst, so wie einst, ich weiß nicht, ob für eine Minute oder eine Stunde. Irgendwann begannen wir uns erneut zu lieben und weinten am Schluß beide vor Lust, vor Liebe, vor vollkommenem Glück.

      Wie im Traum schieden wir voneinander, er vergaß, mir seine Telephonnummer zu geben, wir machten nichts aus, doch es war klar, daß er sich noch heute, spätestens morgen melden würde. Nach drei Tagen zerschmetterte mich die Erkenntnis, daß er, seinem Wesen getreu, Kanadier, Professor, Ehemann und Vater bleiben und nie wieder der Meine sein würde.

      Etwa einen Monat später, als ich schon fest glaubte, er sei übers Meer zurück, rief er an, erkundigte sich wie immer, ob er nicht störe oder mich aufhalte und wie es mir gehe. Ich wollte wie vor Jahren schreien, Ich vereise! (den Zustand unserer Seelen teilten wir uns früher in Bildern mit, die ihnen näher kamen als banale Wendungen), doch leider Gottes schrieb man Heute, mein Liebster gehörte einer (gewiß) jugendlichen, (offenbar) feurigen schönen Frau, die er obendrein (bestimmt) anbetete, weil sie ihm eine kleine Königin der Juden und Christen geboren hatte, und ich sagte klopfenden Herzens, Gut, danke der Nachfrage. Er sei ausnahmsweise abends allein, teilte er mir erregt mit, ob er mich besuchen dürfe? (Bei einem anderen hätte ich den Hörer hingeschmissen.) Aber natürlich! erfuhr er von mir (Gábina hatte mir einen hingeschmierten Bescheid hinterlassen, sie sei mit irgendwem irgendwohin gefahren und komme irgendwann wieder), und ich machte


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