Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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wo hat er dir ... wo hat er dich ...»

      «Im Taxi.»

      «Um Christi willen, hat dich denn der Fahrer nicht beschützt?»

      «Das war doch er. Der Zigo.»

      «Gábinka, ich bitte dich, sprich so, daß wir es verstehen!»

      Sie drehte die Augen zu Viktor und sagte ohne Umschweife.

      «Erst zu Hause, joo?»

      «Ich hab dir gesagt, Viktor ist mein ... (Achtung!) unser alter Freund, deshalb hab ich ihn gebeten, mich zu fahren!»

      Sie machte Augen, als wollte sie ihn röntgen, er schien sie mehr zu interessieren als der flüchtige Gewalttäter. Ich kannte allzugut ihre Blicke, mit denen sie ein für allemal ihre Noten vergab, ein Ungenügend hatte mich Josef gekostet, ich wollte ähnlichem vorbeugen.

      «Er war lange Jahre in Kanada, ist dort Professor für Ökonomie geworden und arbeitet hier als Regierungsberater.»

      Eindruck machte auf sie erst seine Frage.

      «Sie möchten wohl nicht Anzeige erstatten, wie?»

      «Ich denk nicht dran.»

      Ich verstand die beiden nicht.

      «Einen Taxler, der Zigeuner ist, finden sie doch sofort!»

      «Beim hiesigen Zustand von Polizei und Presse ist es nicht ausgeschlossen, daß ihr Name veröffentlicht wird, obwohl sie nicht volljährig ist. Und wenn sie gegen diesen Lumpen vor Gericht aussagt, kann ihr das der ganze Clan heimzahlen. Sie sollte ausschlafen und sich morgen normal untersuchen lassen, als wäre sie bei einem Jungen gewesen, den sie nicht gut kennt.»

      Alles in mir sträubte sich, doch das Opfer sagte anerkennend.

      «Super.»

      Es mußte mir genügen, daß sie immer noch meinen Arm um sich duldete (sonst entwand sie sich mir längst wie eine Schlange, wenn mich mütterliche Zärtlichkeit übermannte). Auf dem Rückweg schwiegen wir alle drei, und mir fiel ein, daß uns beide, Mutter wie Tochter, das männliche Geschlecht zur gleichen Zeit gezeichnet hat. Und da ich davon in meinem Alter so mitgenommen war, würde sie da nicht für alle Tage geschädigt sein? In meinen Armen schlummerte der Fratz, den ich (wenn auch schlecht, doch von den nassen Windeln über die komplette Garnitur der Kinderkrankheiten bis hin zu den Menses) selbst aufgepäppelt habe, und die Vorstellung, daß ein Zigeuner sie roh nimmt, war mir ungeheuerlich. (Bin ich deswegen eine Rassistin?)

      Nach ein paar Minuten waren wir bei uns, ich mußte Gábi erneut wecken, doch sie verabschiedete sich von Viktor ohne eine Spur von Ruppigkeit.

      «Danke!» sagte sie sogar, was ich von ihr höchst selten zu hören bekam.

      «Ahoj ...» konnte ich noch zu ihm sagen, «und verzeih!»

      Das Wasser in der Wanne war immer noch fast heiß (vorhin müssen meine Sinne total abgestumpft gewesen sein, die beiden Anrufe hatten mich vor dem Verbrühen gerettet), ich hievte mein teures Gabrielchen hinein und seifte es mit dem Waschlappen wie vor Urzeiten ab. Auch das ließ sie sich gefallen. Natürlich suchte ich dabei nach Spuren von Gewalt an ihrem Körper, doch nirgendwo auch nur ein blaues Fleckchen (geschweige denn ein Knutschfleck). Sie hielt die Augen geschlossen, so hatte sie von klein auf gebadet (wie ihr junger Vater, der schlief in der Wanne, frühstückte, las, lernte für das Staatsexamen, zog mich manchmal auch im Morgenrock herein, um mich im klatschnassen Frottee zu lieben).

      Lange hatte ich keine Gelegenheit gehabt, sie mir so gründlich anzuschauen. Mein Mädel war dabei, sich in ein reifes Weib zu verwandeln, ihre Brüste hatten schon fast meine Kurve (der Rodin-Konus, Zitat: Olin), die zuletzt diesem langen Lulatsch heut nacht den Kopf verdreht hatte, ach, Mädchen, daß du nur nicht so endest wie deine Mutter ... nein! wie könnte sie? aus dem Wasser ragte das junge Gesicht ihres Vaters heraus, der auch unter dem neuen Regime weiterhin erfolgreich war, indem er schlaumeierisch vorgab, ein ebenfalls vergewaltigtes Opfer des alten zu sein. (Nur, nur: Wo ist diese erbliche Gerissenheit heute nacht geblieben??)

      «Gábina, schläfst du?»

      «Nee.»

      «Dann sag mir um Gottes willen, was passiert ist!»

      «Ich habs dir doch gesagt.»

      «Ich bitt dich, ist für dich eine Vergewaltigung ein ganz normales Ding?» (Das berührte sie erstaunlicherweise.)

      «Nee, aber ... es ist peinlich.»

      «Ich bin doch deine Mama!»

      «Was soll ich dazu sagen? Wir sind mit Mikan in der Droschke gefahren, und er ist halt früher ausgestiegen, na.»

      Mikan, ursprünglich vielleicht Milan oder Michael, war ihr letzter ‹Fund›, wie sie es nannte, ein Architektensohn, vor der ‹samtenen› Revolution Architekturstudent, momentan Geldwechsler (billige Ausrede: Ich räche mich, weil sie uns die Revolution geklaut haben!), doch ich vertraute auf die Langzeitwirkung eines guten Stalles.

      «Hat er dich allein fahren lassen?»

      «Na, er wohnt unterwegs, hats näher gehabt.»

      «Für den Umweg reichts bei ihm wohl noch!»

      «Warum sollte er Geld rausschmeißen?»

      «Fragst du? Vielleicht, daß dich keiner vergewaltigt, mein Gott!»

      «Im Taxi wird normalerweise nicht vergewaltigt.»

      «Jesus Christus (sie hatte mich wieder soweit, daß ich den Namen Gottes fast in jedem Satz eitel nannte), hast dus nicht gerade erst erlebt?»

      «Bis jetzt ist das keiner passiert, die ich kenn.»

      «Es hat doch wohl gereicht, daß ein Zigeuner am Lenker saß. Den Umfragen nach überfallen einen in Prag heutzutage hauptsächlich die Zigeuner.»

      «Aber nicht die Taxler.»

      «Du weißt ganz genau, daß es so etwas wie ein erhöhtes Risiko gibt. Ein Mädchen kann doch heute nicht in der Nacht allein mit einem Zigeuner fahren, selbst wenn er ein Taxler ist, ist dir das auch jetzt noch nicht klar?»

      «Ich weiß doch gar nicht, ob er ein Zigeuner war.»

      «Jungfrau Maria, das hast du doch gesagt!»

      «Na, ausgesehen hat er so, aber er kann auch n Jugo sein.»

      «Egal, was er gewesen ist, wie ist es also passiert?»

      «Na, er hat den Weg über Strahov-Hügel genommen, das macht n Fünfziger weniger, Mikan hat mir vor ihm n Hunderter gegeben, stimmts? Und wir haben uns ganz prima unterhalten.»

      «Über was?» (Ich suchte einen Schlüssel zu dieser Ungeheuerlichkeit.)

      «Über neue Diskos. Er hat mir gesagt, da gibts ne Superdisko in nem Zelt auf m Weißen Berg, ob wir dort nicht mal reinschauen wollten.»

      «Und du?»

      «Joo.»

      «Bist du noch bei Trost gewesen?»

      «Aber Mami, das war doch n normaler Junge! Und Mikan war wieder mal irre eifersüchtig auf einen da, wo wir waren, bestellte aus m nichts ne Droschke nach Hause, so hab ich null Bock auf ihn gehabt, stimmts?»

      «Weiter! Was war mit der Diskothek?»

      «Zu war sie. Und er hat gesagt, egal, fahren wir eben anderswohin! ist wieder n Stück runtergefahren, und auf einmal waren wir auf irgendnem unbebauten Weg, der war auf m Hang zwischen Gebüsch zu Ende, und ich sagte, du bist mir n schöner Kutscher, wenn du nicht mal Bescheid weißt.»

      «Du hast ihn geduzt?»

      «Sag ich doch, er war jung, keine fünfundzwanzig. (Wie mein Beißer ...!) Und hat mich auch geduzt.»

      «Weiter, weiter!»

      «Na, und da hat er gesagt, Wer hat dir gesagt, daß ich nicht Bescheid weiß?


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