Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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sie ihm ihr nächtliches Erlebnis entweder verschwieg oder anders präsentierte, sonst müßte ich zu dem Schluß kommen, daß eine Vergewaltigung längst nicht mehr den Ruf hatte, den ich kannte, und auch nicht das Gewicht, das ich ihr beimaß. Bei ihrem Verehrer war Gábi, wie dem auch sein mochte, im Kurs gestiegen, nach Karlsbad hatte er sie letztens nur für den Sonntag mitgenommen. Ich vergaß es und beschloß, etwas zu essen, nicht etwa, daß ich Hunger oder Appetit verspürt hätte, sondern mit Rücksicht auf meinen Körper, der seit gestern sehr viel auszuhalten hatte. Allerdings: Den Kühlschrank hatten mir die lieben Kinderlein total leergefressen (Gábis Ehemänner, ja! sie wird wohl mehrere verbrauchen, werden mich in alle Ewigkeit verdammen, sie könne weder einkaufen noch kochen, weder waschen noch bügeln, nur ...... und das hat sie noch dazu woanders gelernt), übriggeblieben war nur ranzige Butter und (warum dort?) ein harter Brotkanten. Ich brühte mir einen weiteren Türken, holte die raffiniert im Bücherschrank (wo mein bildungsscheues Kind nie ranging) versteckten Reservezigaretten und versuchte in Ruhe zu erraten, worauf es der Jüdin ankommen könnte.

      So viele Leute haben ihn gern! Man will ihm furchtbar Unrecht tun! Das reimte sich doch überhaupt nicht zusammen. Ist diese Schickse etwa (eine Idee, die ein anderes Licht auf alles warf) verrückt? Ja, rappelig! Von üppiger Phantasie geplagt. Wahr ist, ich habe ihn nie nach ihr gefragt, aber ist es nicht komisch, daß er von sich aus nie über sie gesprochen hat? (Wogegen ich ihm wie in alten Tagen meine gesammelten Aventuren aus totalitärer Zeit auftischte.) Gerade dieses sein Schweigen hatte in mir das Bild einer alttestamentarischen Liebespriesterin hervorgerufen, die ihm im Unterschied zu mir Plebejerin Pharaonengenüsse verschaffte. Sein unerwartetes und ungewöhnlich leidenschaftliches Geständnis empfand ich zwar als meine erstaunliche Erhöhung, sie aber auch weiterhin als eine gleichwertige Rivalin. Die persönliche Begegnung hat dieses Bild gleichzeitig widerlegt und bestätigt.

      Ich habe mich selten in Menschen getäuscht. (Meine Probleme und Niederlagen kamen daher, daß die Menschen sich in mir täuschten.) Vor allem weibliche Natur entschlüsselte ich fast fehlerfrei (Márová – das Barometer für die Lehrerinnen, Zitat: die dankbaren Mitschüler; Petra – das Radar für die Chefin, Zitat: die staunenden Kollegen aus vorrevolutionärer Zeit), gescheitert war ich nur an der eigenen Brut (eine ewig junge Geschichte). Vanessa Králová verunsicherte mich zweifach: daß sie so ganz und gar nicht meiner Vorstellung entsprach und weil ich selbst nach einer halben Stunde intensiven Beobachtens aus ihr nicht klüger geworden war.

      Neben dem Umstand, daß sie mir ‹nichtjüdisch› vorkam (freilich: was weiß ich von Juden? ich respektiere sie als einen der drei Pfeiler Prager Kultur, verurteile ihre Verfolgung, schreibe ihnen aber auch die Verantwortung für die zunehmende Arroganz des Staates Israel zu) und nicht besonders hübsch (nur: was besagt das? da man mir von klein auf Hübschheit zusprach, war ich es gewöhnt, sie an mir zu messen, für einen anderen kann sie die Schönheit in Person sein und ich eine Sammlung Fettpölsterchen!), hatten mich Zweifel an ihrer Sensibilität und ihrem Intellekt befallen.

      Falls ihrem (meinem! also unserem ...?) Geliebten tatsächlich eine wirkliche Gefahr drohte, war sie nicht fähig, mir, von der sie entschiedene Hilfe erwartete, ihre Angst begreiflich zu machen. Und schon ganz hatte sie bei dem Versuch versagt, mir klarzumachen, was man von mir erwartete, denn sie hat im Grunde (ich will sie nicht ständig miesmachen, doch warum ihr mehr zubilligen, als sie hat?) nur wirr dahergeredet.

      Immerhin, immerhin: Wofür, weshalb, weswegen hatte er sie denn dann geheiratet??

      Es war drei Uhr nachmittags, als ich mir bewußt wurde, daß er hier, wenn ich weiterhin so Kaffee trank und rauchte, abends statt des weiblichen Gegenteils seiner Gattin, für das ich mich hielt, ein armseliges Wrack vorfinden würde. Ich stellte den Wecker auf sieben, um Zeit zu haben, mich wieder in einen brauchbaren Zustand zu versetzen, legte ein Kissen übers Telephon, deckte mir das andere auf den Kopf und versank schließlich in Bewußtlosigkeit.

      Er bimmelte zweimal Punkt acht. Mein Gehirn hatte rechtzeitig wieder die nötige Drehzahl erreicht, während meine Nerven erst zu sich kamen, so daß ich ihn ohne Lampenfieber empfangen konnte. (Der Schlaf hatte bei mir schon immer den nötigen Abstand erzeugt; jeden Lehrstoff, jeden Vorwurf eines Gedichts, Freude und Enttäuschung, alles Wesentliche wollte ich stets überschlafen. Das müßte auch heute funktionieren.) Ich beließ es bei den Klamotten von heute früh (mein Liebster schätzte es am meisten, wenn ich die Rüstung ablegte). Das morgendliche Vorhaben, auf ihn zu verzichten, wurde längst vom Gefühl der vereinten Zärtlichkeit und Leidenschaft abgelöst, wie sie nur er in mir zu wecken verstand.

      Begehrend umarmte und küßte er mich, doch gleich empfand ich einen Bruch: Er umschloß meine Brüste nicht. Das war immer der Schalter zum Wechselstrom, der uns auch nach seiner Wiederkehr aus Kanada wie einst von der Begrüßung bis zum Abschied in seinem Kraftfeld hielt, selbst im Schlaf ließen wir uns nur beim Umdrehen kurz los, worauf der hinten Liegende sogleich fest den Vorderen umschlang. (Woran ich in den letzten Wochen des Wartens am stärksten litt, war weniger die Vorstellung, wie er sich mit ihr feurig liebte, sondern wie er, mit ihr verflochten, erlöst durch den Schlaf glitt.)

      Daß er kein Liebessignal aussandte, bestätigte die Außergewöhnlichkeit der Begegnung. Er führte uns (gewollt? ungewollt?) in die Vergangenheit zurück, als wir unsere Beziehung nach dem allerjüngsten meiner Seitenflüge von Punkt Null an zu erneuern begannen. (Der befremdliche Unterschied bestand darin, daß heute ich der Fixstern war, der die Rückkehr des Meteors erwartete!) Er überbrückte die anfängliche Leere (was hatte sie verursacht?) mit Fragen nach Gábinas Zustand, ich machte dazu zwei türkische Kaffees (zerspringt mir das Herz? auch eine Lösung!) und nahm mit ihm sittsam (wie vor einem Jahr, als er zurückkehrte) am runden Tischlein in meinem Zimmer Platz, um also endlich zu erfahren, worum es ging.

      «Ich war geschockt, daß Vanessa mit dir gesprochen hat ...» (Er begann geradezu beim Urschleim.)

      «Auch ich ...»

      «Ich hoffe, es war dir nicht allzu unangenehm ...»

      «Sie behauptete, es ginge um was Ernstes.»

      «Das stimmt ... aber ich hatte vielmehr Angst ...»

      «Hab keine, sie hat nichts erfahren, was sie vielleicht nicht schon von dir weiß.»

      Meine erwachenden Nerven suchten Schutz in einer Schroffheit, die ihm von jeher die Rede verschlug. Das war jetzt nicht das richtige, rasch nahm ich mich zurück.

      «Ich hab begriffen, daß es nicht um uns zwei ... also um uns drei geht! Aber willst du mir nicht endlich sagen ...»

      «Weißt du, was ein Agentenregister ist?»

      Der radikale Themenwechsel fand mich völlig unvorbereitet.

      «Nein ...»

      «Das sind die angeblich unfälschbaren Listen von zivilen Zuträgern der ehemaligen Staatssicherheit.»

      Sogleich sprang mir die Fernsehübertragung aus dem Parlament ins Gehirn. Vor sechs Wochen hatte sie das ganze Land gespalten, als zehn Abgeordnete, die angeblich in diesen Listen figurierten, nachdrücklich und ziemlich überzeugend deren Glaubwürdigkeit bestritten.

      «Ich weiß schon ...»

      Auch mein Chef und meine Kollegen, die ihr Mäntelchen stets nach dem Winde wehen ließen, hatten sich ihren Emotionen überlassen und mal die Abgeordneten, mal die Parlamentskommission verdammt. Mich lähmte, daß ich abwechselnd beiden Seiten glaubte. Keiner verzichtete auf sein Mandat, und ich dachte erstaunlicherweise weniger an die Wähler als an ihre Frauen. (Ob sie die Wahrheit kennen oder in gleichem Zwiespalt leben müssen? Ein Wahnsinn!)

      «Also, ich stehe drin.»

      «Wo drin?»

      «In diesem garantiert vertrauenswürdigen Register.» (Das kann doch nicht ...)

      «Als was?»

      «Als Spitzel. Der Terminus technicus lautet: Geheimer Mitarbeiter.» (Nein ...!)

      Von seinem gestrigen Anruf bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht einmal entfernt an diese absurde Variante gedacht.

      «Das meinst du ernst?»

      «Ernst


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