Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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mich gewundert, daß ein Bild von Mann keine Frau hatte, hab ihn sogar ein bißchen für einen warmen Bruder gehalten, als er dir als einer der wenigen nicht hinterherhechelte ... dadurch wurde er mir freilich noch sympathischer! – Nie haben wir Privates zwischen uns ausgetauscht, da war er genauso wie ich, nur einmal hatte er bemerkt, daß mir nicht wohl war ... nach der Sache mit Herrn Luna. Damals hielt er mir einen sonderbaren Vortrag über einen Typ von Frauen, der zu allem fähig ist, wenn er zu wenig Liebe erfährt. (Hat er seine Maria gemeint? Erklärt das ihren schrecklichen freien Fall?) – Ich ahnte nicht, daß ich dortbleiben würde, selbst als ich in Wien aus dem Zug stieg. Erst dort wurde mir klar, daß ich weg mußte, noch vor deinem nächsten Ausreißer ...»

      Ach, du warst im Recht und hattest recht, daß du rund um die Welt wieder bis zu mir zurückgeflüchtet bist, die inzwischen geläutert ist.

      «Aber sag du (jetzt verhörte er mich), wann hat er sich nach meiner Flucht gemeldet? Hat er sich nach mir erkundigt? Hat er was von mir gewußt? Warum hat er dich so plötzlich haben wollen, nachdem vorher nichts lief? Hattest du den Eindruck, er hegt ein besonderes Interesse? Ist dir manchmal etwas Merkwürdiges an ihm aufgefallen? Und wie hat er sich so leicht mit deinem Abgang, nur wegen der Tochter, abfinden können? Hat er noch mal von sich hören lassen? Habt ihr euch auch später getroffen? Steht ihr immer noch so zueinander, daß du ihn zur Wahrheit bewegen könntest?»

      Auch ich bemühte mich angestrengt um Genauigkeit.

      «Nicht gleich, vielleicht ein halbes Jahr später, er wollte wissen, was mit dir los ist. – Er hatte gehört, du wärst weg, aber dein Institut hat doch ausposaunt, es handle sich um eine langfristige Dozentur. Einmal hat er mich gefragt, dann nie mehr, ich hielt es für taktvoll. – Später hat er gesagt, er habe mich von Anfang an haben wollen, doch du wärst ein Freund gewesen. Auch so dauerte das monatelang, du warst für mich lange so etwas wie ein Keuschheitsgürtel, ich weiß, was du denkst, aber ich war irre, ich wollte nur dich! (Genau wie jetzt!) – Interesse? Allein für mich ... ein so versessenes hab ich noch nie erlebt, entschuldige, aber gerade Frauen des besagten Typs, die zu allem fähig sind, schlagen meistens über die Stränge, um sich zu vergewissern, daß sie fest am Zügel geführt werden. – Verdächtig war er mir nicht, auch nicht als Mann, er hatte altmodisch hohe Ansprüche, aber wenn er sich einmal gehen ließ... war er alles, nur nicht warm (hör auf, Petra!), verzeih, wir wollen doch wissen, wie er ist! Über Arbeit haben wir uns nicht unterhalten, so wie früher keiner in diesem Land, du hast einmal gesagt, er sei Ökonom, ich habs zur Kenntnis genommen. Daß er mir plötzlich anvertraute, wem er diente, erklärte er damit, daß er seine künftige Frau nicht hinters Licht führen wollte, das empfahl ihn mir mehr als sein illusorischer Glaube, er könnte Schafe von der Wolfshöhle aus scheren. – Nachdem Gábina ihre Raketen abgefeuert hatte, waren wir noch ein paarmal zusammen, doch dann ging das einfach nicht mehr, er ließ die Anrufe sein und ich auch. – Ein Signal gibt er aber nach wie vor: Jedes Jahr im August kriege ich Rosen, ja, im August! zum Tag unserer Trennung. – Ich weiß nicht, ob er noch da wohnt, wo er gewohnt hat, doch ich weiß, wie ich ihn finden kann: über seine Familie. Ich werde ihn ganz einfach fragen, ob er auch mich geführt hat!»

      Der Gedanke daran brachte mich auf die Palme, so daß der Rum mich erneut ruhigstellen mußte. Auch Prinzessinnen haben Kinder (zitierte Viktor den Klassikerspruch), auch ein Geheimer kann sich bis über die Ohren verlieben, doch er denke, ich würde ihm nicht helfen, wenn ich den Mann gleich beschimpfe.

      «Die Absurdität dieser Zeit besteht darin, daß die Opfer staatlicher Erpressung zum zweitenmal in die Teufelsmühle geworfen werden, während die Müller und Erpresser private Detektivbüros aufmachen. (Wie erregt er war, sah ich daran, daß er sich pustend die Stirn kühlte, wie manchmal beim Lieben vor dem Finale.) Ihm, Petra, und das ist das Perfide an der Situation, kann es nämlich total wurscht sein, ob er seinen Betrug zugibt oder nicht, um ihn wird überhaupt nicht gespielt. Es sei denn, du wecktest sein besseres Ich, und er möchte bei dir in gutem Angedenken bleiben!»

      Gegen halb eins in der Nacht waren wir am Ende. Alles Wesentliche war mehrmals ausgesprochen, durchgekaut und abgewogen, hinzuzufügen war nichts mehr. Mir brannten die Augen, daß sie tränten, erst jetzt nahm ich wahr, daß die meines Liebsten vom Rauch meiner Zigaretten rot wie Kaninchenaugen waren. (Aber das erleidet er wohl zu Hause auch!) Als ich das Fenster aufmachte, schien daraus ein blauer Schleier zum dunklen Himmel hochzuwehen. Voll ungewohnter Gier nach frischer Luft beugte ich mich über den Sims. In der ganzen Winter-Gasse (ein Phänomen: der Schriftsteller Zikmund Winter hat seine Straße von den Habsburgern über Masaryk, Hitler und Stalin bis zum Havel halten können, was vielmehr von seiner Unschädlichkeit zeugte!) war nur mein Fenster erleuchtet, die befreite Stadt verhielt sich noch immer wie ein okkupiertes Dorf. Nach allem, was ich hier im Lauf von nur vierundzwanzig Stunden erlebt hatte, erschien mir das verständlich.

      Es hatte sich stark abgekühlt, und ich durfte mich gerade jetzt nicht erkälten. Ich streckte mich nach den Fensterflügeln, dabei gewahrte ich ein Geräusch und eine Bewegung, auch einen Schatten erblickte ich in der Straßenschlucht, der sich in die Türnische des Mietshauses gegenüber drückte. Die Vorstellung, daß sich dort ein Liebespaar aneinander wärmte, brachte mir meine Tochter in Erinnerung, die höchstwahrscheinlich gerade mit ihrem gerissenen Mikan in dem wieder weltberühmten Badeort die Liebeswonnen genoß (von der Pharmazeutik geschützt), während ich ...? Mich beschlich das gewohnte Gefühl von Verlassenheit, aus dem ich sogleich durch die Freude gerissen wurde, daß hier zwei Schritte von mir mein Allerliebster saß!

      Ich schlug recht unachtsam das Fenster zu und hätte fast das Rollo abgerissen. Ich drehte mich um. Er schaute mich an. (Ich niesele! wollte ich ihm sagen, doch das mußte er selbst sehen.) Ich löschte die große Lampe, knipste die kleine an (Liebeslicht nannte er es, bei ihm hatte er seine Scham verlernt), kniete vor ihm nieder (mein Ritual) und legte seine Hände auf mein Herz.

      «Hör auf, dich zu quälen. Ich tu, was ich kann. Ich liebe dich!» (Endlich drückte er mich so fest, daß es wunderbar schmerzte.)

      «Und ich dich. Und ich dich. (Dann lockerte er den Druck.) Verzeih ... ich kann heute nicht.»

      «Macht nichts.» (Ich log tapfer.)

      «Stört dich das sehr?»

      Auf einmal war ich froh, daß er gerade heute nicht das Mal fremder Liebe auf meiner Haut erblickte, es wäre der denkbar schlechteste Augenblick dafür.

      «Nicht doch!»

      «Ich verlange so viel von dir und kollabiere selber!»

      «Was sagst du da! Mir ist, als wäre ich mit der Keule geschlagen, wie muß dir da erst zumute sein?»

      «Du bist meine einzige Liebe, Petruška!»

      Mit dieser Koseform ging er schon immer äußerst sparsam um. Tränen schossen mir in die Augen.

      «Und du meine. Und du meine.»

      Und du wirst der Meine sein, denn ich, allein ich werde dich ganz und gar von diesem Unflat säubern, selbst wenn ich diesen Josef ... (was? na, sag es, sags!) ja, umbringen sollte!

      Die Treppe hinunter gingen wir schweigend und mit verschlungenen Fingern, so wie ich ihn einst hinausbegleitete (den Familienfreund, der bis dahin brav geholfen hatte, das Töchterchen zu baden), als wir meinen jungen Gatten in Abwesenheit betrogen hatten. (Als ich mich bald dazu bekannte, hatte mich dieser mit dem Vorschlag schockiert, wir sollten die Ehe ‹jeder auf seinem Gleis› weiterführen; danach hatte ich schon leichten Herzens unsere ersten Koffer mit seiner wie immer sorgfältig gewaschenen und gebügelten Wäsche gepackt.) Mein Körper war erschöpft wie nach dem Lieben, doch in ihm frohlockte kein befreiter Geist. Zu der Spannung war die Angst getreten.

      Sein japanisches Auto stand diesmal direkt vor meinem Haus. (Natürlich: mit Erlaubnis seiner Frau.) Müde küßten wir uns, und er fuhr zu den Höhen von Barrandov, heim zu ihr ... (Ach, weh!) Die Arme über meinem verlassenen Busen gekreuzt, sah ich ihm stumpf nach, als mich plötzlich ein nahes Hüsteln aufschreckte. Aus dem Schatten der Hausnische vis à vis taumelte – er.

      «Guten Abend ...»

      An der Hauptstraße glühten noch die großen roten Teller am Wagen meines Liebsten,


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