Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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wie ich ihn in der Kantine immer wieder sah, mein schimpflicher Fehltritt von gestern, mit der Miene heuchlerischen Bedauerns.

      «Seien Sie mir nicht böse ...»

      Meine ganze Wut, die ich seit gestern hatte zurückhalten müssen, auf die Schänder, auf die Geheimen und auf die Gattinnen, hatte endlich das passende Opfer gefunden.

      «Daß Sie sich nicht schämen! Mich wie eine Hure zu behandeln und obendrein wie ein Spitzel zu belauern! Wagen Sie sich mir noch einmal zu nähern, und ich ruf die Polizei!!»

      Wie eine Furie stürzte ich ins Haus, schloß ab, machte aber kein Licht, die Beine versagten mir den Dienst, ich ließ mich auf die unterste Stufe fallen und fragte mich, woher ich für all das die Kraft nehmen sollte.

      3

      Wider Erwarten schlief ich wie eine Tote. Mit neuer Energie war auch die Hoffnung wieder aufgetankt, überschlafen schien das Problem meines Liebsten lösbar, wenn ich nur den richtigen Druck ausübte. (Die Wahrheit siegt, doch das kostet Mühe! Zitat: Masaryk jun.) Noch einmal rief ich meinen Chef an, um mir frei zu nehmen. Da es Freitag war, gab er sich gekränkt.

      «Warum haben Sie mir nicht schon gestern klipp und klar gesagt, daß Sie sich ein langes Wochenende machen wollen? Mit mir kann man doch reden!»

      Er hatte seine allgemein verhaßte Vorgängerin nur mit Hilfe der Wende abgelöst, sie waren einander praktisch gleich (obwohl im Dienst der scheinbar katholischen Presse, hatten sie noch vorletztes Jahr die Unterschriftenaktion der Katholiken für Glaubensfreiheit verurteilt), doch kein anderer hatte Lust, den öden Papierkram zu machen, und er buckelte wenigstens nett vor uns allen.

      «Ich hab familiäre Sorgen, die waren nicht vorauszusehen.»

      «Rufen Sie von Ihrer grünen Bleibe an?» versuchte er, mich plump zu fangen.

      «Dafür hat meine Gage bei Ihnen bisher nicht gereicht, nein, ich rufe von zu Hause an und bin sofort da, wenns sein muß.»

      Meine Gereiztheit zeigte Wirkung, er begann zu scharwenzeln.

      «Mein Gott, das war ein Scherz, Herr im Himmel, bleiben Sie dort, wie Sie es für nötig halten, Sie sind die einzige, die auf Vorrat arbeitet.»

      «Danke», schloß ich in Rage, «und Sie sollen den Namen Gottes nicht in einem fort eitel nennen.»

      Josef Beneš hat nie im Telephonbuch gestanden (daß mich das nicht gleich damals stutzig gemacht hat, wozu hat ein gewöhnlicher Betriebsökonom eine Geheimnummer nötig?) und war längst aus meinem Adreßbuch getilgt. Da jedoch sein immerwährender Blumenstrauß auch letztes Jahr gekommen war, muß er die Revolution jedenfalls glimpflich überstanden haben. Es schien also geraten, es zuerst mit der mir bekannten Adresse zu versuchen.

      Daß Gábina sich melden könnte, dazu war es noch zu früh, und zu meiner Angst um sie noch weit, und die Überzeugung, daß ich meinem Liebsten helfen würde, wuchs. (Meine Stimmung besserte sich erheblich bei der Feststellung, daß der blöde Biß über Nacht violett geworden war und auf seine Art attraktiv wirkte.) Ich war imstande zu überlegen, was eine Frau anziehen soll, die selbst nach Jahren Eindruck auf ihren einstigen Liebhaber machen und den Staatssicherheitsmann in ihm zur Einkehr bewegen will. Der Fenstertest bewies, daß es wieder spürbar wärmer geworden war und ich in voller Frühlingsmontur ausrücken konnte. (Ein anderes Geschenk meines Liebsten war ein lilafarbenes Seidencomplet; zu den pluderigen türkischen Pantalons gehörte ein knapp zuknöpfbares Jäckchen, das als Korsett fungierte.)

      Die Wahl hatte mir jedenfalls gutgetan, ich schwebte durchs Treppenhaus abwärts, als ginge ich zu einem Rendezvous, was psychologisch vorteilhafter war, als sich von dem Gedanken nerven zu lassen, daß mir höchstwahrscheinlich ein häßlicher Konflikt bevorstand. Fast überraschte es mich, daß draußen weder ein Sportcabriolet wartete noch ein junger Elegant seinen Diener vor mir machte. Ich nahm ungern zur Kenntnis, daß ich eine zwar wahnsinnig, dafür aber nur heimlich geliebte Bürgerin mittleren Alters und Einkommens war (fünfhundert Kronen über dem von der Regierung garantierten Minimum), und begab mich wie immer per pedes apostolorum zum nächsten Verkehrspunkt.

      Das Haus befand sich am Ende der Straße oberhalb des Krankenhausgeländes, wo ein Unschuldslamm, auf Gabriele getauft, das Licht der Welt erblickt hatte (mein damals noch geliebter junger Gatte hatte eine solche Menge herrlicher Sträuße angeschleppt, daß Ärzte und Schwestern ihn einstimmig zum vorbildlichen Vater des Jahres erklärten, später gestand er mir fröhlich, ihm habe das gesamte Grünzeug für eine gute Flasche ein früherer Schulkumpel besorgt, der im Krematorium Blumen zu vernichten hatte). Den ganzen ‹Josefs-Sommer› hindurch war ich mit schlechtem Gewissen an der Geburtsklinik vorbeigegangen, im Grunde hatte ich von vornherein gewußt, was daraus wird, und hatte trotzdem in einer Art Besessenheit (heute unverständlich, ja: abstoßend!) darauf hingewirkt, daß Gábis Beziehung zu mir in die Brüche ging.

      Das einfache Mietshaus aus den Dreißigern wirkte auch heute noch moderner als die Plattenbauten, die man danebengestellt hatte, seit ich nicht mehr hiergewesen war. Die Tür der Eckterrasse (auf die wir in jenem gleich doppelt heißen Juli bei Dunkelheit nackt hinausgetreten waren, um uns abzukühlen) sah mit ihrem weißen Vorhang, der das Rollo ersetzte, anders aus. Ich rechnete fast damit, daß er nach dem Umsturz die Adresse geändert hatte; statt Schwalben flogen jetzt überall enttarnte Geheimpolizisten herum, für die es plötzlich so gut wie keine warmen Länder mehr gab, so daß sie aufgescheucht wild durch das eigene schwirrten.

      Sein Pech: Er hatte mir einmal sein Nest verraten, das garantiert keine Deckadresse war, dort mußte man immer über ihn Bescheid wissen, eine ganze Familie konnte nicht verschwinden, und vor allem bei seiner Schwester hatte ich eine Chance. (Josef ist der letzte der Gerechten in diesem Verein! erklärte sie damals, hatte sie dabei an die Partei gedacht oder auch an seine ‹Firma›?) Bevor ich von daheim weggegangen war, hatte ich wie durch ein Wunder die Telephonauskunft erreicht und mir alle Nachmittagsbusse nach Kladno aufgeschrieben.

      Jetzt starrte ich am Fuße des Treppenhauses ungläubig auf das Mieterverzeichnis mit dem Namensschild Josef Beneš.

      Der Aufzug war nun mit einem Schloß versehen, ich stieg also langsam bis unters Dach hinauf, um nicht außer Atem zu geraten, und klingelte noch im Gehen, ehe die Furcht mich überkam. Unterwegs hatte ich mir ausgerechnet, daß er dreiundsechzig sein mußte, Polizisten durften eher in Pension, und diese Sorte hatte man soeben haufenweise dorthin abgeschoben, jetzt glaubte ich fest, er würde mir öffnen. Das Treppensteigen bestätigte mir für heute eine solide Kondition (trotz der leichten Rum-Indisposition hatte ich in der Früh geturnt, so wie er es mir einst beigebracht hatte: Solche tollen Titten muß man in Trab halten, sie haben auch ihre Muskeln!), doch vor allem trieb mich ein gerechter Zorn.

      Er war nicht zu Hause, aber ein verhältnismäßig junges Frauenzimmer schaute aus der Nachbartür (früher hatte eine taube Alte da gewohnt, deshalb brauchten wir uns keinen Zwang anzutun) und musterte mich auf eine Weise, wie sie niederen Schichten eigen ist (Zitat: meine selige Mama, sie meinte damit eine ganz bestimmte Art primitiver Gehässigkeit). Da sie keine Anstalten machte zu grüßen, klingelte ich erneut. Länger hielt sie das Schweigen nicht aus.

      «Der Herr Ingenieur ist auf Arbeit!»

      «Guten Tag (ich tat, als sei sie gerade aufgetaucht), wann pflegt er zu kommen?»

      «Je nachdem. Mal so, mal so. Was wollen Sie von ihm?»

      Hätte ich seinen Geschmack nicht gekannt, der kaum so abstumpfen könnte, könnte ich denken, sie habe was mit ihm. Doch ich brauchte eine Information.

      «Ich komm nach Jahren mal wieder vorbei und hätt ihn gern was gefragt. Ist er noch nicht im Ruhestand?»

      «Doch, schon», sagte sie eine Spur freundlicher, «aber er ist weiter für eine Firma tätig.»

      Das schürte meine Wut. (Viktor: Wir werden von neuem in die Teufelsmühle geworfen, und sie ...)

      «Hat er vielleicht ein Detektivbüro aufgemacht?»

      «Er? Warum gerade ein Detektiv ...» (Wozu Rücksicht nehmen? Soll man allgemein ruhig über


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