Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


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war stärker als die beste Absicht, einem Mann zu glauben, mit dem ich gerade eine so tolle Zeit erlebte.

      «Wie konnte dir das bis heute durchgehen?»

      «Eine logische Frage. Als erstes habe ich sie mir selbst stellen müssen: Wie lange läßt ein so mächtiger Apparat mit sich spielen? Er ist zum Glück ein Abbild der Gesellschaft, er wimmelt von Nichtstuern und produziert Ausschuß, doch zum Aufspüren eines Räubers im eigenen Hühnerstall taugt er allemal. Drum habe ich gelernt, in jeder Sekunde an das zu denken, was ich nicht darf.»

      «Und was darfst du nicht?»

      «Etwa größere Bissen zu nehmen, als man schlucken kann. Oder Emotionen nachzugeben. Ich ließ die Finger von allem, was ein anderer bei uns gleichzeitig abdeckt, wie es dort heißt. Dafür mißbrauche ich in vollem Maß die Vorteile, die das eiserne Gesetz der Konspiration gewährt: Bestimmte Fälle darf aus Gründen der Geheimhaltung nur einer verfolgen. Wenn nötig und möglich, enden sie bei mir im Aus. Damit meine Erfolgsquote nicht verdächtig absank, im Gegenteil, damit sie mich zu weiteren selbständigen Aktionen legitimierte, deckte ich ein paarmal als erster auf, was sich nicht mehr verbergen ließ, oder aber schob die Schuld solchen zu, die dadurch ohnehin nicht noch mehr zu belasten waren. (Er bemerkte meine tiefen Zweifel.) Ja, das ist der Preis, den du selbst einschätzen mußt, Petra. Ich versuche, die blinde Gerechtigkeit durch eine überlegte zu ersetzen, darin sehe ich meinen bescheidenen Dienst am Volk. Und mein Einstand für die Ehe besteht darin, daß ich mich dir in die Hand gebe. Du bist empfindsam, du machst doch Gedichte, ich habe die Hoffnung, daß du mir glauben wirst.»

      Irgendeine Straßenbahn fuhr, irgendwo schlug eine Turmuhr irgendeine Zeit, und ich war keines Gedankens fähig (in meine Netzhaut prägte sich für immer eine dramatisch zerrissene Wolke ein, die unterm Mond über dem ‹Fausthaus› schwebte), wir gingen und gingen ohne ein Wort um das endlose Oval des Parkwegs herum, die wenigen Zentimeter Abstand zwischen uns schienen unüberbrückbar wie eine Staatsgrenze.

      «Möchtest du lieber zu Hause schlafen?» fragte er irgendwann. «Ich bring dich mit dem Taxi hin.»

      Ich schüttelte den Kopf (es wäre nur ein peinlicher Krampf gewesen). Ihm war sichtlich wohler ums Herz, er hakte mich leicht unter, so wie wir bis zum Frühjahr immer gegangen waren, brachte mich zu sich zurück und ging duschen, um mir Zeit zum Einschlafen zu lassen. Wie durch ein Wunder (war es eins? ich war erschöpft an Leib und Seele) gelang mir das im Nu.

      Um zehn wachte ich auf. An der Thermoskanne mit Kaffee in der Küche lehnte ein Zettel. Bin mittags zurück. Wenn du noch da bist, fahren wir nach kladno.

      Eine Stimme drang an mein Ohr. Vor meinem Tisch stand die üppige Teekönigin. Mühsam fand ich in die Gegenwart zurück.

      «Ob Sie noch einen Wunsch haben.»

      «Nein, ich bin zufrieden ...»

      «Eigentlich habe ich schon zu.»

      Halb sieben, ob er mir auch nicht weggelaufen ist? Hastig raffte ich mich zusammen. Die drei heißen Jasmintees (wann hatte ich sie bestellt?) kosteten mehr als ein opulentes Abendessen, bis zum Gehalt blieb mir in der Börse ein Hunderter. Mein Liebster hat mir teure Kleider gekauft, ich aber muß mir am Montag Geld leihen für Zigaretten, für Kaffee und eigentlich auch fürs Brot.

      «Also bist dus!» sagte er zur Begrüßung. «Die Beschreibung paßte nur auf dich.»

      Er hatte die Tür aufgemacht, als ich die letzten drei Stufen noch vor mir hatte, mußte also nach mir Ausschau gehalten haben.

      Ich betrat eine stehengebliebene Zeit. Hier hatte sich anscheinend überhaupt nichts verändert, vor allem er nicht. Sein nach wie vor dichtes Haar war schon vor Jahren interessant meliert gewesen (was hätte ich, meinte ich einmal neidisch, für deinen Ton bei der Friseuse blechen müssen), schon jetzt, Anfang Mai, war er bereits braungebrannt (natürlich: er lief ja passioniert Ski! er hatte es mir beizubringen versprochen, doch dazu war es nicht mehr gekommen ...), anders war nur, daß er mich nicht küßte (warum eigentlich nicht? heute ein Allerweltsgruß), sondern mir seine angenehm große Hand reichte (jene, die mich immer von rechts liebkost hatte) und mich in das einzige Zimmer führte.

      «Nimm Platz. Siehst prima aus.»

      Sein Blick verhehlte nicht im geringsten, was er an mir unverändert am meisten bewunderte. Diese Natürlichkeit steckte mich an, die Spannung war verflogen, als setzten wir ein gestern unterbrochenes Gespräch fort.

      «Du kannst dich auch nicht beklagen.»

      «Richtig», sagte er lachend, «ich wüßte nicht, bei wem.»

      Womit er mir mitteilte, daß er allein war. Und sogleich wechselte er das Thema.

      «Möchtest du einen Tee?»

      «Nein, vielen Dank, ich hab grade ein Meer von Jasmin ausgetrunken.»

      «In unserer neuen Teestube? Heut war ich ausnahmsweise nicht da, schade, dann hätt ich dich eine Stunde früher getroffen!» (War er auch ein Charmeur gewesen? Ich habs vergessen.)

      «Warst du nicht Kaffeetrinker?»

      «Und wie! Aber als der Arzt mir klarmachte, ich dürfte mir nur ein einziges Laster erlauben, hab ich mich für den Alkohol entschieden.»

      Für den ‹Weißen Bären›? fragte ich nicht. Ich dachte nicht daran, an unseren Sommer zu erinnern.

      «Ich hörte, du sollst für die Australier arbeiten.»

      Er wies mit dem Kopf auf die Nachbarwohnung und verzog den Mund.

      «Sie ist dem A neben dem Kennzeichen nicht gewachsen! Nein, es steht für Austria, ich bin dem Generalkommissar der österreichischen Industrie behilflich, sich in den hiesigen Steuervorschriften zurechtzufinden, in denen sich nicht mal unser Finanzminister auskennt.»

      «Brauchst du dazu keine Sprachen?»

      «Ich spreche Deutsch und zur Not Englisch. (Auch das hast du mir damals verheimlicht? lag mir auf der Zunge.) In den letzten Jahren habe ich allerlei gelernt, ich hatte dazu mehr Zeit.» (Ohne dich, wollte er vielleicht sagen? Mir kam die seltsame Information in Erinnerung.)

      «Sie hat mir gesagt, du wärst eingesperrt gewesen.»

      «Ja. Meine Chefs haben mir in ihrer Wut nach sowjetischem Muster ein Manko im dienstlichen Devisenkonto produziert.»

      «Aber warum waren sie wütend? (Ich versuchte herauszukriegen, was die Sache meines Liebsten beeinflussen könnte.) Hast du gekündigt?»

      «Von dort weg durfte man nur ins Krematorium. Ich hab lieber die Charta unterzeichnet.»

      «Du?? (Moment ...) Aber die war doch lange vorher!»

      «Unterschriften wurden weiter angenommen. Siebenundachtzig waren sie mir schon dicht auf den Fersen, drangewesen wäre ich so und so. Ich wollte nicht irgendwo in Sibirien verrekken, deshalb wählte ich den Ausstieg aus der Anonymität. Ich unterschrieb die Charta als einziger Geheimoffizier, obendrein zu ihrem zehnten Jahrestag. Zuerst steckte man mich in einen geschlossenen Pavillon, ich hatte nämlich irgendwann einen Nervenzusammenbruch gehabt (hast du vergessen, daß ich das weiß? ich hatte das vergilbte Photo der beiden Fallschirmspringer im Blickwinkel, und wer ist die Frau daneben? nein! ich ...), doch die Ärzte hatten schon ihren Gehorsam aufgekündigt, zu meinem Pech, denn so kam ich um ein Pflaster von zwölf Jahren nicht herum. Dann hatte ich Mordsglück mit der ‹Sanften Revolution› und riß nur anderthalb davon ab.»

      Anscheinend schüttelte ich ziemlich ungläubig den Kopf, denn er setzte verdrossen hinzu.

      «Du bist die einzige, die das nicht hätte überraschen müssen, du hast meine Absichten gekannt. Offenbar hast du mir schon damals nicht geglaubt.»

      «Das ist nicht wahr! Ich hab am Sinn deines Handelns gezweifelt, nicht an deiner Ehrlichkeit. Sonst wäre ich keine Minute länger bei dir geblieben!»

      «Geblieben bist du überhaupt nicht ...»

      «Du weißt genau, warum! Die Tochter wollte mir aus dem Fenster springen, ich


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