Ich schneie. Pavel Kohout
ja, das ja, aber er hat den Kram dort hingeschmissen, na, und sie haben ihm bald was angehängt, wie sie das immer gemacht haben, bis zur Revolution hat er in Bory bei Pilsen gesessen. (Nein ...!) Jetzt wollten sie ihn zurückhaben, er hat ihnen aber gesagt, nicht mal mehr im nächsten Leben. (Sie lachte rachsüchtig, während ich staunte.) Jeden Morgen holen ihn irgendwelche Australier mit dem Auto ab, für die macht er den Buchhalter und so. Gegen sechs kommt er, soll ich was ausrichten?»
«Nein ... ich schau wieder vorbei ...»
Ich grüßte und ging wie im Traum hinunter, bis die Sonne mir bewußt machte, daß ich auf der Straße stand. Josef – ein Dissident? So hat er mich doch nicht belogen? Und was bedeutet das für Viktor? Es war Mittag, mindestens sechs Stunden lang konnte mir keiner Antwort geben. Ich mußte etwas unternehmen, die lange Anspannung konnte mich aus dem Tritt bringen. Bei diesem Gedanken sehnte ich mich nach einer Kirche.
Ganz in der Nähe stand eine, in der ich zuletzt als Kind gewesen war, offenbar mit Papa, er war der Geschichtenerzähler der Familie, nur von ihm kann ich die lebhafte Erinnerung an den Baumeister haben, der sich des kühnen Gewölbes wegen mit dem Teufel verbündet hatte (wie so viele schöpferische Geister während der gerade erst beendeten Okkupation, doch die hatten nur Fürze hinterlassen). Selbst die so teuer bezahlte Kuppel machte heute keinen Eindruck auf mich (ich dachte an den Dom von Kuttenberg, den bestimmt Engel errichtet hatten), deshalb wendete ich den Blick davon ab und sprach mein Leibgebet.
«Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme. Vergib mir meine Schuld, wenn ich auch kaum jemals meinen Schuldigern vergeben kann. Bewahre mir mein Töchterlein Gabriela, das ich so kümmerlich erzogen habe, immerhin habe ich aber versucht, sie zu einer Christin zu machen, vielleicht wird der Samen aufgehen, inzwischen halte die Hand über sie, mein Dummes, um Jesu Christi willen, sende Deine Schutzengel zu ihr, auf daß ihr niemand mehr ein Leids antue. Und beschütze mir jetzt vor allem andern meinen Allerliebsten, darum bitte ich Dich um alles in der Welt. Ich bin eine Sünderin, immer wieder gerate ich in Versuchung, doch Du hast mir die Gabe der Liebe verliehen, und mit ihr, Herr, Du mein Gott, liebe ich ihn! Ich bete, ich will besser werden und bemühe mich wenigstens, niemandem Schmerz zuzufügen und besonders lieb zu seiner Frau zu sein, denn schließlich, und darin liegt meine Strafe! rette ich ihn für sie ... Bewahre uns alle in diesem verkommenen Lande vor dem Bösen, denn Dein werde das Reich hier und die Macht und die Herrlichkeit bis in Ewigkeit. Amen.»
Kaum war ich zu Ende, kam aus dem nahen Beichtstuhl eine putzmuntere Alte mit prallvoller Tasche, Zufriedenheit im Gesicht, als habe sie einen besonders günstigen Einkauf getätigt. Die Gelegenheit erhellte mich, und ich fiel buchstäblich über den Geistlichen her, der ebenfalls aus dem mit reichem Schnitzwerk verzierten Kabäuschen trat.
«Hochwürden, dürfte ich auch ...»
Der stämmige Mann mit einem bäurisch runden Gesicht betrachtete meine Türkenhose.
«Ist das notwendig ...?»
Offensichtlich erfaßte uns beide Scham, mich wegen meiner wahrlich unpassenden Kleidung, ihn seiner Reaktion wegen, die einer Abweisung gleichzukommen schien.
«Verzeihung, ich meine nur, ob Sie ein paar Minuten warten könnten, ich habe eine unaufschiebbare Unterredung. (Dann bat er mich nahezu.) Sie können unterdessen in sich gehen ...»
«Ja, gern ...»
Ich hatte Zeit, und noch wichtiger: Ich konnte die Begegnung mit dem neuen Pfarrer meiner Kirche hinausschieben. Vergebens zwang ich mich zu christlicher Demut, doch mit den Kirchen erging es mir wie mit den Theatern, in manchen schien selbst der Geist zu fehlen, und das lag an der Person des Protagonisten, im gegebenen Fall des Geisteshirten.
Seit Jahren schon bestand meine Hauptbuße darin, daß ich bei einem alten Pfarrer beichtete, der zum Glück zwar nicht jenem erbärmlichen Kollaborateursverein ‹Pacem in terris› angehörte, dessen Fragen mich aber (Gott strafe mich nicht) an mein einziges (allerdings ausreichendes!) Verhör bei der Staatspolizei erinnerten. Nichts war ihm genug, er erkundigte sich nach peinlichen Einzelheiten (mit welchem unsittlichen Gedanken ich konkret gesündigt, wie oft genau ich Unzucht getrieben hätte), und ihm mußte und wollte ich, im Unterschied zu den Widerlingen, Rede und Antwort stehen. Er war es auch, der mich gezwungen hatte, da ich mich nie an alles erinnerte, auch ein erotisches Tagebuch zu führen. Zweifellos wollte er damit bewirken, daß ich mir mein Tun selber gehörig verleidete, doch er ahnte nicht, daß sich das auch gegen ihn richtete, ich konnte mir nicht helfen! Das wagte ich nicht, ihm auch noch zu beichten, und deshalb verspürte ich (Gott verzeih mir!) Erleichterung, als ihn krankheitshalber ein anderer Priester ablöste. Meine Hoffnung zerstob während der ersten Messe: Der Nachfolger gestikulierte gewaltig und artikulierte übertrieben (wie ein Operntenor), er kam mir aufgeblasen vor, und so schob ich die Begegnung im Beichtstuhl vor mir her.
Jetzt aber konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren, geschweige denn in mich gehen, mich störte der halblaute Streit in der Sakristei, bis ich ihm, ob ich wollte oder nicht, zuzuhören begann. Er kam mir wie ein hier unangebrachter politischer Streit vor, der Pfarrer lehnte wiederholt die neue Leitung ab und behauptete, die alte war in Ordnung und konnte noch Jahre bleiben, was ein unbekannter Baß das Spiel mit dem Feuer nannte. Daß ein so banaler Zank hier Vorrang vor der Beichte bekam, befremdete mich, deshalb erhob ich mich, um zu gehen, doch da tauchte auch schon der Priester auf und eilte herbei.
«Verzeihen Sie, aber ich hab die Elektriker hier, wir stellen auf zweihundertzwanzig um, und nun tun die so, als würden wir eine neue Kirche bauen.»
«Entschuldigen Sie, ich kann ein anderes Mal ...»
«Nein, nein! Bitte, kommen Sie, die machen es jetzt unter sich aus, ich bin hier doch für Sie da!»
Er verschwand, um sogleich hinter dem dichten Gitterwerk des Beichtstuhls nur noch Stimme zu sein.
«Wann waren Sie das letzte Mal zur Beichte?»
«Vor Ostern ...»
«In diesen fünf Wochen haben Sie nicht allzuviel sündigen können?» (Hat er doch nur Angst, daß ihm die Handwerker davonlaufen?)
«Ich habe mich fortwährend gegen das sechste und neunte Gebot vergangen!»
«Haben Sie ohne habgierige oder niedrige Absichten gehandelt, wie auch ohne das Bedürfnis, anderen Schaden zuzufügen?»
«Ja ...»
«Dann beten Sie zehn Ave-Maria für die armen Seelen im Fegefeuer!»
Die feierliche Erregung, die sich bei den Beichten meiner bemächtigte, stellte sich nicht ein, dafür der Verdacht, daß er mich dank meiner modischen Hosen zu den verhätschelten Zierpuppen zählt, die nur Unzucht treiben und Gott auf die Nerven fallen, gerade wenn es um die Illumination Seines Hauses geht. (Ich hatte einen Tadel erwartet, Erläuterung, Zuspruch und zumindest den ganzen Rosenkranz!) Er hat alles mit einer unverhofften Frage gerettet.
«Tragen Sie wirklich Verlangen, sich von Ihren Sünden abzuwenden?»
«Ja! Ich will schrecklich gern in Gnade leben, verliere aber immer wieder die Kraft!»
«Wollen Sie weiter, meine Tochter! Gott ist gütig zu jedermann, der sich nachhaltig müht, mehr zu wollen, als er kann. Oft belohnt er einen solchen mit der Erkenntnis, daß er mehr kann, als er wollte. Meiden Sie die Versuchung, und wann immer sie von sich aus an Sie herantritt, beten Sie, bis Sie sich überwunden haben. Ich erteile Ihnen die Absolution im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Gehen Sie hin in Frieden.»
Er eilte zu seinen Elektrikern zurück und hatte mir dennoch die Hoffnung wiedergegeben. Ja, so leicht ist das, es genügt zu gehorchen. Ich werde Viktor reinigen und ihn dann bitten, mir als Gegenleistung dadurch zur Reinigung zu verhelfen, daß er mich nie mehr anruft. Ich betete und spürte geradezu körperlich, wie die Leidenschaften von mir abließen und aus den Steinchen von Großmutters Rosenkranz kühlend die Gnade in mich einging.
Den Rest der Zeit verbrachte ich in einer Oase, auf die ich gestoßen war, als mich mein immer noch nicht gelöschtes Sodbrennen nötigte, ein Eckkneipchen zu betreten. Ich hatte die