Ich schneie. Pavel Kohout
haben mich vor die Wahl gestellt: Entweder ich gehe binnen zwei Wochen in aller Stille dorthin zurück, wo ich hergekommen bin, oder man wird meinen Namen veröffentlichen.»
Die Säuberungsaktion hatte ich trotz meiner Zerrissenheit eher neugierig als empört verfolgt (der Bildschirm verfremdete die Lebensdramen wirklicher Menschen zu einer Art Fernsehspiel). Hier saß jetzt mein ewiger Liebster, lockig und rasiert, und doch ging von ihm nicht der anziehend männliche Duft aus, den ich so mochte, er war bedrückt und litt.
«Aber das ist doch ... (mit Not suchte ich nach Worten) Unsinn!»
«Natürlich ist es das.»
«Du warst doch niemals ...»
«Natürlich nicht.»
«Wie konntest du dann da hineingeraten??»
«Nach diesem traurig berühmten TV-Tribunal weiß wohl heutzutage fast jeder, daß zwei Wege in die Register führten: Entweder warst du tatsächlich ein Spitzel, oder man hat dich mit Absicht eingetragen.»
«Wie, mit Absicht ...? ach ja! (ich erinnerte mich an die Behauptung beschuldigter Abgeordneter, man hat sie ohne ihr Wissen nur so als ob geführt, um Aktivität zu beweisen und vielleicht auch Prämien zu kassieren), aber das ist ja widerlich! (Ich kochte vor ohnmächtigem Zorn.) Weißt du, was ich an deiner Stelle täte? Ich würde die Koffer packen, und ihr könnt mich alle ...» (Sogleich packte mich das Entsetzen: Ich hab ihm soeben geraten, von mir wegzugehen!)
«Das käme einem Geständnis gleich! Alle, denen man für ihren leisen Rücktritt Schweigen versprochen hat, laufen jetzt mit dem Kainsmal herum, denn immer sorgt jemand dafür, daß es publik wird. (Er hat recht! Und bleibt mir ...) Weißt du, wie meine ehrwürdige Universität reagieren würde? Drüben hat man vor kommunistischen Agenten mehr Angst als vor Haien!»
«Dann wehr dich doch!»
«Das tu ich ja grade.»
«Was tust du? (Die Erbitterung flößte mir Kräfte ein, die ich auf ihn zu übertragen wünschte.) Du hockst bei mir. Schreib einen Widerruf oder treib Zeugen auf, oder was weiß ich!»
«Was soll ich widerrufen? Daß ich ohne Zweifel in einem unfehlbaren Register stehe? Aber Zeugen suche ich wirklich, und deshalb bin ich bei dir.»
«Ich werde dir selbstverständlich bezeugen, daß du immer dagegen warst!»
«Petra, das ist kindisch! Ein echter Spitzel hat doch nicht rumgeschrien, daß er dafür war, so einer gab sich viel eher als Dissident aus, das weißt du viel besser als ich.» (Das saß.)
«Ich kannte nur Olin, der war kein Spitzel!» (Dumme Petra, warum kratzt du jetzt an der alten Wunde?)
«Verzeih, davon habe ich keineswegs reden wollen ...»
Mea culpa, verzeihen konnte nur er, Oldřich Luna, der verbotene Bildhauer und Unterzeichner der berühmten Charta, momentan einer der verschrienen Kulturpäpste, der von der revolutionären Welle in die Akademie der Musen geschwemmt worden war, war der letzte gewesen, mit dem ich ihn aus seiner Liebeslethargie aufrüttelte (und darin obendrein einen patriotischen Akt sah). Weitere Liebhaber hatte mein Liebster nicht mehr abgewartet ... doch vorbei ist vorbei, jetzt hatten wir ein anderes Problem, das mir schwer zu schaffen machte.
«Auch so bist du», fuhr er schon fort, «die einzige, die mir helfen kann.»
«Das hat mir schon deine Frau gesagt, aber wie nur?»
«Das Schlimmste ist, daß sie keinerlei Beweisnot haben. Wir beschuldigen doch nicht, behaupten sie, wir konstatieren nur, wer sich geschädigt fühlt, kann das Innenministerium anzeigen und sogar eine Entschädigung kriegen, falls er einen glaubwürdigen Beweis beschaffen kann!»
«Zum Beispiel welchen?»
«Die einzige Chance, die mir bleibt, besteht darin, den sogenannten Führungsoffizier aufzutreiben, der mich dort eingetragen hat, um ihm das Geständnis abzuringen, daß ich keine Ahnung davon hatte.»
«Und wie kann ich dir dabei ...» (Bevor ich ausgeredet hatte, wußte ich es schon.)
«Als wir nach meiner Rückkehr das zweitemal zusammen waren, hast du mich mit der letzten deiner Beichten beehrt. Ich habe nie begriffen, warum du mir jeden Liebhaber auf einer Silberschüssel präsentierst ...»
«Macht es dich nicht froh, daß du der einzige bist, den ich nie belügen wollte?» (Vergebens schob ich weg, was nicht zu verhindern war, und vernebelte dabei noch den wahren Grund.)
«Vielleicht wären wir ohne diese Wahrheiten besser zu Rande gekommen, für mich haben sie aus jeder deiner Aventuren eine Affäre gemacht, aber das ist passé, und vielleicht hat die Vorsehung das so gewollt. Du hast nämlich letztens auch einen erwähnt, der dir gestanden haben soll, daß er bei ihnen war.»
«Josef Beneš... (instinktiv wehrte ich mich) mit dem hast doch du mich bekannt gemacht!» (Leider hat er mich mit allen bekannt gemacht, bis auf Olin.)
«Ja, aber er blieb für mich immer der Handelsingenieur, der mir als Reserveoffizier zu den Freistellungen verholfen hat, damit ich zu dir durfte, deshalb haben wir danach auch weiter Kontakt gehalten.»
«Das zwischen ihm und mir hat viel später angefangen, nachdem du weg warst ...»
«Hast du gesagt. Aber auch, daß er dein ernstester Fall war ...»
«Wir haben uns nach seinem Geständnis getrennt!»
«Aber nicht deshalb, doch wegen Gábina. Deiner Meinung nach war er ein ehrlicher Mensch, mit dem du hättest leben können, er hat dir anvertraut, daß er sich dort um allerlei bemühte.»
«Vít’a, ich war damals schrecklich allein, doch höchstwahrscheinlich hätte ich mich auch ohne Gábina rechtzeitig zurückgezogen!»
«Warte, hör zu! Über den Anstand dieser Leute mögen wir uns zu Recht unser Teil denken, doch jetzt kann er ihn beweisen. Wärst du bereit, oder besser: wärst du imstande, dich noch einmal mit ihm zu treffen?»
Ich erschrak. Und versuchte, es ihm auszureden.
«Die Staatssicherheit war der reinste Krake! Wie groß kann die Hoffnung sein, daß gerade er dich auf die Spur des Lumpen bringt, der die Eintragung gefälscht hat?»
In keinem unserer vergangenen Kriege (und für diese geistige Überlegenheit habe ich ihn am meisten bestraft) hatte er so gereizt die Stimme gehoben.
«Kapierst du immer noch nicht?? Er war es!!»
Den Rest dieses wahnsinnigen Abends über drehten wir uns im Kreis, versuchten vergeblich, die Geschichte neu zu ordnen, die wir, jeder auf seine Weise, genau zu kennen meinten. In jedem Fall gab es dabei eine erschütternde Schlußpointe:
Der Mann namens Josef Beneš, zunächst sein Bekannter, dann unser gemeinsamer Freund und am Ende mein Liebhaber und Fast-Ehemann, hatte im Agentenregister festgehalten, daß Ing. Viktor Král am 23.Dezember 1980 geheimer Mitarbeiter der Staatssicherheit geworden war, nachdem er sich schon zuvor als Informant bewährt hatte. Daraus leitete die Durchleuchtungskommission ab, daß Vít’as Flucht ins Ausland fingiert gewesen war, um draußen weiterhin als Agent wirken zu können.
Als mir das vollständig bewußt wurde, begann ich so zu zittern, daß er Angst um mich bekam und beinahe einen Arzt gerufen hätte. Der Rum, den ich in Gábinas Nachttisch aufstöberte, stellte mich wieder auf die Beine. An seiner Stelle würde ich sterben! (Wer hats gesagt? Seine Frau ...)
«Wie habt ihr euch kennengelernt? (Ich verhörte ihn, damit wir irgendwo den Anfang des Verrats aufdeckten.) Wann seid ihr euch nähergekommen? Worüber habt ihr am meisten gesprochen? Hat er nach irgendwas besonders oft gefragt? Ist dir nichts aufgefallen? Hat er nie etwas von dir verlangt? Wie offen seid ihr miteinander gewesen? Hat er vielleicht geahnt, daß du abhauen willst?»
Er kramte in seinem Gedächtnis nach präzisen Antworten.
«Er war bei dieser Militärübung die einzige sympathische Charge. – Uns beide