Ich schneie. Pavel Kohout
Er meinte doch den Rücksitz. Und packte mich mit den Fingern am Ellbogen, kräftig waren die wie ne Kneifzange, aber ich hab trotzdem gesagt, Hör zu, zick nicht rum, da steh ich nicht drauf! und er, Komm schon, wirst sehn, ich hab lauter gute Beurteilungen, zick du lieber nicht rum, das tut dir sonst bloß weh. Na, da bin ich rübergestiegen und er mir nach.»
«Warum bist du nicht weggelaufen?»
«So schlau war er auch. Du bist garantiert nicht volljährig, hat er gegrinst, die Tür hat ne Kindersicherung. Na, und dann hat er mich, na ja.»
«Wie hat er ... (die Frage wollte erst nicht aus mir heraus, dann drängte sie sich aber doch aus Mund und Seele) wie hat er dich ausgezogen ...?»
«Na, er hat mich nur oben aufgemacht, den Slip hab ich mir lieber selber ausgezogen, ich hatte doch den neuen an (sie zeigte auf die Wäsche neben der Wanne), er hätte ihn kaputtgerissen, stimmts?»
«Hast du Schmerzen gehabt?»
«Nee, nur bißchen Angst, daß er vielleicht so n Kaputter ist, drum hab ich nicht rumgezickt, na, und er hat vor mir eigentlich nur angegeben, hat Eindruck machen wollen, war gleich fertig.»
Ich stieß die Frage hervor, die mich die ganze Zeit quälte.
«Hat er wenigstens aufgepaßt?»
«Wie?»
«Ich meine ... (Gott, wie sagt man das?) er ist doch hoffentlich am Schluß nicht bei dir geblieben ...»
Die Augen meines jungen Gatten blickten mich an, spöttisch, mitleidig.
«Mami, er hat mich doch vergewaltigt.»
«Ja, aber ... hatte er wenigstens einen Schutz?»
«Was für n Schu ... ach so! Du bist noch nie vergewaltigt worden, stimmts? (Ich muß blaß geworden sein, ich spürte, wie mir die Hände eisig wurden, und entdeckte plötzlich in ihren Augen eine ungewöhnliche Sorge.) Was ist dir, Mami?»
«Wenn aber nun was passiert ist, Gábi ...?»
«Was denn?»
Es rächte sich an mir, daß ich die Sexualerziehung meiner einzigen Tochter feige allen Winden überlassen habe, mir fehlte nicht nur das Elementarvokabular, sondern vor allem ihr Vertrauen. (Vor der Wanne kniend, begriff ich endlich, daß ich kein Kind mehr hatte. Ich faselte.)
«Du weißt doch, daß so was nicht ohne Folgen bleiben muß!»
«Joo. Drum nehm ich doch die Pille.»
Da fiel mir ein: Ich nicht!
2
Mich weckte das Telephon.
Seit zwei, als ich Gábi zu Bett gebracht hatte (sie fiel sogleich in Schlaf, der den Gerechten zugeschrieben wird, doch sie war es auch, sie konnte für mich das Vorbild einer unverlogenen Moral und gesunden Vernunft sein), versuchte ich vergebens meinem Bewußtsein zu entrinnen. So wach, als wäre es Mittag, schrieb ich ein paar verzweifelte Verse ins Tagebuch (‹Drei Paukenschläge / auf meine Seele / oh, Herr / laß Deine Schlegel nicht mehr fallen / denn vierter Schlag ist der / mit Schicksalskrallen›) und zog dann wieder einmal die Bilanz meines Lebens.
Ich fand keinen lichten Punkt darin. Die Jugend entschwunden, die Ehe begraben (das einzige, was mich nicht verdrießt), die Tochter ein unbekanntes Mädchen, das Talent vernachlässigt, der Fleiß faul geworden, der Job zum Vergessen (ein mieses Gehalt und geistige Onanie), und mein Liebster überläßt mich (am Ersten Mai, wenn Liebeszeit!) pollutionierenden Bürschlein, um Zeit für seine heilige Familie zu haben ... Moment, was wollte er eigentlich heut nacht von mir? Ich hatte ihn in den Wirbel unseres Mißgeschicks hineingezogen und ihn mit einem bloßen Ahoj! weggeschickt.
Bis zur Morgendämmerung dachte ich mir ein halbes Dutzend Gründe für seinen Besuch aus, vom herrlichsten, der mir gleich nach dem Anruf eingefallen war (Sie weiß alles, ich komme für immer zu dir zurück), bis zum katastrophalen (Sie weiß alles, wir müssen uns für immer trennen). Den Schlaf hatte ich abgeschrieben, und nach zwei Türkischen stieg ich vor Erregung wie Erschöpfung allmählich in einen Zustand der Schwerelosigkeit auf. Alles purzelte mir durcheinander, mit Sicherheit wußte ich nur, daß ich heute nicht zur Arbeit gehen würde.
Ich konnte Gábi nicht allein lassen, vielleicht finden wir gerade nach diesem Erlebnis eine gemeinsame Sprache und schieben die Trennung hinaus (mein Alter lauert nur darauf). Auch wollte ich nicht riskieren, so schnell mit meinem unmündigen Liebhaber zusammenzuprallen, noch hatte ich keine Idee, wie ich mich dann verhalten würde; soll ich den Blick über ihn wie über eine Landschaft gleiten lassen (damit ihm die Lust vergeht, sich mir zu nähern) oder ganz unpersönlich auf seinen Gruß antworten (damit er den Eindruck bekommt, er hätte mich gestern nur geträumt)? Vor allem aber wollte ich hier am Telephon warten, bei den Anzeigen rief mich der vorsichtige Viktor nie an, und bestimmt wird ihm der Gedanke kommen, daß ich bei der Tochter bleiben würde.
Mein Chef hatte am Telephon keinen Muckser getan, daß ich mir den heutigen Tag vom Urlaub abziehen müßte, offenbar glaubte er, ich strafte ihn für seine zudringliche Anmache auf dem Dampfer, und wollte keine weitere Lektion in katholischer Sittsamkeit provozieren; schließlich und endlich, erklärte er großzügig, sei ich stets vor ihm am Platz und ginge erst nach ihm heim (er ahnte nicht, daß ich die allgemeine Teuerung ausglich, indem ich während Gábinas Touren dort bei Berufswärme und Betriebslicht las und dichtete). Schließlich (seit Mitternacht der dritte Versuch) stieg ich in die Badewanne und schlief im Nu darin ein.
Diesmal rettete mich das Klingeln möglicherweise vor dem Ertrinken.
Gábinas Bekannte schliefen am Vormittag aus, meine wußten, daß ich auf Arbeit war, der Anrufer konnte also nur er sein. Ich dachte nicht ans Badetuch, hinterließ eine Wasserspur und machte auch den Hörer naß.
«Ja!»
«Hallo», sagte eine Frauenstimme, «könnte ich mit Frau Tarantová sprechen?»
«Sie meinen Fräulein Tarantová», sagte ich (den prächtigen Namen meines Ehegatten hatte ich längst meiner Nachfolgerin überlassen, die den einstigen Kraftmeier erpreßte, bis er mir leidtat, Gábina hingegen hatte ihn aus Rachsucht behalten, Soll die feine Stiefmutter sich doch grün und blau ärgern!) und dachte ängstlich, man sei meinem Faultier wegen Schmarotzertums auf den Fersen (ein Reflex aus der Zeit der Totalitären).
«Nein, ich meine ihre Mutter.»
«Das bin ich. Aber ich heiße anders.»
«Sind Sie Petra ...?» (Was redet die so seltsam?)
«Ja, wer ist da?» (Halt! Das war doch slowakisch!)
«Ich heiße Králová. (Nein! Sie! Vanessa die Seine!) Ich bin die Frau von Professor Král, Viktor Král, wissen Sie? (Ich weiß, nur weiß ich nicht, was du weißt, und schon gar nicht, was du wissen willst, so daß ich absolut keine Ahnung hab, was ich dir sagen soll! Sie wartete aber meine Antwort nicht erst ab.) Mein Mann hat gestern dringend mit Ihnen sprechen wollen, doch Sie hatten wohl andere Sorgen. Heute früh ist mir klargeworden, daß er sich ein zweites Mal nicht trauen wird, und da habe ich mich selbst dazu entschlossen.»
Stumpf sah ich zu, wie sich zu meinen Füßen ein Wasserfleck auf dem Läufer ausbreitete, ich fand mich im Spiegel genauso wie gestern, als er anrief, und auch die Wanne, die Waschmaschine, das unberührte Bett – falls das immer noch derselbe Traum ist, ist es nicht genug damit?
«Sind Sie da?» fragte sie gleich ihm.
«Ja.»
«Ich habe Sie nicht gehört.»
«Ich habe nichts ... (ich riß mich von diesen Refrains los) ich höre Sie ...»
«Es ist für Sie gewiß ungewöhnlich, so früh von einem unbekannten Menschen gestört zu werden, aber ich habe einen so gewichtigen Grund, daß Sie bestimmt Verständnis dafür hätten. Ich rufe ohne Viktors Wissen an und bitte Sie dringend um ein Treffen.»
Da haben wirs! Sie wird mich