Ich schneie. Pavel Kohout
kompensieren, glauben Sie mir, das verraten immer zwei Verstocktheiten, die aus ihnen hervorquellen: der Nationalismus und der Rassismus. (Was hält sie mir hier für einen Vortrag? Und warum freue ich mich so einfältig über ihre Unschönheit, beweist sie nicht vielmehr, daß sie gefährlichere Eigenschaften haben muß, um derentwillen er sie geheiratet hat?) Viky war auch unter den Emigranten ein weißer Rabe (Viky nennt sie ihn, meinen liebsten Vít’a ...), neunundneunzig von hundert spielten sich um so toller auf, je mehr sie daheim kollaboriert hatten, er blieb objektiv, bis er schon Gefahr lief, von ihnen als Kryptokommunist abgestempelt zu werden, ein Glück, daß seine stille Anständigkeit nicht als Schwäche gilt, sondern im Gegenteil als Charisma, er muß doch auch früher so gewesen sein?»
Sie richtete den Blick auf mich, nicht einmal ihre starken Gläser verzerrten den Ausdruck, den ich gut kannte (woher wohl?), ich fand es nicht mehr heraus, da sie auf Antwort wartete. Trotz der Blockade der Vernunft, die mir gebot, nicht einmal den Anschein einer Konversation zuzulassen (notabene über ihn), bejahte ich es. Das ermunterte sie.
«Sehen Sie! Wer ihn kennt, traut ihm weder Falschheit noch Lüge zu (erzähl das mir, was ich ihm je angetan habe, es sollte ihn in die Versuchung der Bosheit und Leidenschaft führen, damit er mich sündiges Weib nicht als ein Apostel überragte, sondern erpreßbar wurde), merkwürdig, daß ihn so viele Menschen gern haben, und er ist im Grunde allein. (Das Schicksal der Heiligen, mein jüdisches Kindl, am Ende kreuzigt man sie, so wie ihr unsern Herrn.) Auch ich habe lange nicht bemerkt, daß er mich ... daß er gern mit mir ... (kenn ich, kenn ich, mir mußte das hungrige Gabrielchen helfen, womit hast du ihn dir geangelt?) ein Jahr war er ganz der Herr Professor, so korrekt, daß er mit mir nur Englisch sprach, erst meine Krankheit hatte das geändert. (Wollen wir uns zu Tränen rühren?) Nichts Schreckliches, ich erinnere mich längst nicht mehr daran, doch ein paar Monate hat sie mich gekostet. Er bemerkte mein Fehlen, erkundigte sich und bot mir Nachhilfe an, damit mir der Jahrgang nicht verlorenging. Das war seine Liebeserklärung ...»
Die Augen hinter der Brille hafteten weiterhin schüchtern an mir, doch in mir wuchs die Unlust, länger zuzuhören. In dem einen Jahr, das er wieder bei mir war, hatte er über die ganze Zeit in Kanada keine zehn Sätze verloren, und die genügten mir reichlich als unversiegbarer Quell von Trauer und Eifersucht in den Wochen des Wartens. Also geht es doch noch um uns drei? Hatte sie vor, mir mit diesem Unschuldsgesicht (ach! gleicht ja dem seinen!) in meinem Bewußtsein Minen zu verlegen? Ich ertrug es nicht.
«Frau Králová (allein mit diesem Namen verletzt du mich!), ich habe mich freigemacht, wie Sie es gewünscht haben, aber die halbe Stunde ist bald vorbei, und ich darf mich nicht verspäten. Würden Sie mir knapper sagen, inwiefern ich Ihnen behilflich sein kann?»
Sie reagierte auf meine Dreistigkeit mit geradezu beschämender Würde, nickte, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen, die ich endlich ohne die verzerrende Optik sah, nein! grün, wie die meinen! ob mein Liebster an mich denkt, wenn er in diese Augen schaut? (oder an sie, wenn er in meine blickt?) doch was interessiert das jetzt, da sie offensichtlich zum Angriff übergeht.
«Frau Petra, Sie sind wirklich die einzige, die ihm hier helfen kann! (Ihm ...? wobei ...?) Es ist da eine unglaubliche Sache geschehen! (Welche ...?) Man will ihm furchtbar Unrecht tun!» (Wer ...?)
Da sie plötzlich keines Wortes fähig war, ließ ich meine Vorsätze sausen und stellte diese drei Fragen laut. Geistesabwesend schüttelte sie den Kopf.
«Es ist so gemein ... wahnsinnig! Sollte mir so etwas passieren, ich würde vielleicht sterben!»
«Können Sie mir erklären ...»
Sie drückte wieder eine Zigarette aus, setzte sich energisch die Brille auf und nahm sich zusammen, so daß sie mich erneut verwirrte. (Obacht! ist sie nicht die Stärkere in ihrem Bund? Hat er nicht bei ihr gefunden, was er einst vergebens bei mir gesucht hat? Zugesetzt hab ich ihm, daß er sich um mich kümmerte, wie gern wär ich heute seine Amme, zu spät!)
«Ich schaff es kaum. Jedenfalls nicht in so kurzer Zeit.»
«Ich kann mich ein bißchen verspäten ...» (Es ist ihr gelungen, mich auf die Folter zu spannen.)
«Nein.»
Ihre Fältchen wirkten auf einmal nicht mehr sorgenvoll, sondern kompromißlos, diese bebrillte magere Frau war alles andere als ein armes Ding! Ich war gereizt: Will sie Katz und Maus mit mir spielen, ehe sie mit der Pranke zuschlägt?
«In diesem Fall begreife ich nicht, warum Sie mich hergebeten haben!»
Ihre Antwort klang, als attestierte sie mir Sklerose.
«Er wollte doch allein mit Ihnen sprechen. In der Nacht ist er nicht dazugekommen, und am Morgen bezweifelte er, ob alles noch einen Sinn hat, doch ich weiß, Sie sind seine Chance, deshalb habe ich mich entschlossen, Sie persönlich zu bitten: Nehmen Sie sich Zeit für ihn! Ich handle hinter seinem Rücken, doch mehr wage ich nicht. Ich bitte Sie dringend, treffen Sie sich mit ihm!»
Hoffentlich saß ich nicht mit offenem Mund da, dieser Wunsch verschlug mir den Atem. Ist das nun eine jüdisch schlaue Falle, die über mir und ihm in flagranti zuschnappen sollte, oder sucht sie in ihrer tiefen Unwissenheit und Not Hilfe gerade bei mir, die ich ihr ihn langsam, aber sicher ausspanne? Instinktiv neigte ich der zweiten Variante zu, doch davon wurde mir nicht besser. (Ein anderer Teil meines Wesens freute sich dabei schändlich, daß er wirklich Sehnsucht nach mir haben mußte, wenn er mit ihr zusammen war ...)
«Ich ... verstehe zwar nicht, sage natürlich nicht Nein. Und wann ...?»
«Er konferiert den ganzen Tag mit amerikanischen Wirtschaftsleuten und wollte den Abend zu Hause mit uns verbringen (o weh!), er kann das jetzt selten (ich warte mehr als du!), aber das hier hat Vorrang, sagen wir um acht?»
«Und wo?»
«Vielleicht bei uns auf dem Barrandov-Hügel, wir haben da einen Teil einer kleinen Villa gemietet, ich und die Kleine werden Sie nicht stören ...»
Nein, niemals! meinen Liebsten inmitten seiner Familie zu sehen (womöglich sogar auf der Couch zu sitzen, wo er sie umarmt), brr! Sie spürte meinen Widerstand.
«Es ist weit draußen, ich weiß, doch wegen der Umstände wäre ein Treffen im Privaten besser geeignet.»
«Dann wieder bei mir zu Hause», bot ich an. (Und kam mir noch schäbiger vor, als sie in den Grenzen ihrer Möglichkeiten aufstrahlte.)
«Sie hätten nichts dagegen? Das wäre das einfachste, doch Ihre Tochter ist krank ...» (Nein, diese Augen konnten nicht lügen, mein edler Liebster hat ihr Gábinas Schande verheimlicht.)
«Es war zum Glück falscher Alarm. Im übrigen hat sie ihr eigenes Zimmer.»
Und sie wird leider zu Hause sein, meine Vergewaltigte, so daß der Herr Gemahl diesmal keusch heimkehren wird, es sei denn ... es sei denn: Er hat sich nur eine Geschichte ausgedacht, die es uns ermöglicht, öfter zusammen zu sein! (Falls dem so wäre, was schert mich dann meine Tochter, sie lebt schon längst nach ihrem Gusto, hat den tanzenden bloßen Hintern des Bademeisters Jarek verkraftet, soll sie also von der Liebe meines Lebens erfahren, letzte Nacht hat er Eindruck auf sie gemacht, vielleicht stoppt er ihren freien Fall ... allerdings, allerdings: Vít’a stürbe vor Scham, und vor allem, vor allem: Er war eines Betrugs nicht fähig!) Ich erhob mich lieber.
Sie sprang auf, als verließe die Lehrerin ihre Klasse.
«Ich bin Ihnen so dankbar!»
«Wofür?»
«Ich glaube, Sie werden ihm helfen. (Ach, wahnsinnig gern, falls er will, doch wenn er fragt, wie es mir geht, werde ich zuallererst schreien, Ich brenne!) Viky hat mir gesagt, daß Sie schon immer eine praktizierende Katholikin waren. (Sie reichte mir eine kleine und ungewöhnlich kühle Hand.) Für mich gibt es nur einen Gott. Ich werde ihn bitten, daß er Sie segnet.»
Ich schleppte mich zur Metro in der Befürchtung, daß sie dadurch eher Seinen gerechten Zorn über mich heraufbeschwor.
Zu Hause fand ich statt der Tochter einen Zettel vor.
«Mikan