Ich schneie. Pavel Kohout

Ich schneie - Pavel Kohout


Скачать книгу
(falls er ihr von der Nacht berichtet hat), wohin das führt ...

      «Ich halte Sie nicht länger als eine halbe Stunde auf», fuhr sie eindringlich fort, als drehte sie mir eine Lebensversicherung an, «glauben Sie mir, es hängt ungemein viel davon ab, ich weiß, daß Sie ihm sehr nahegestanden haben ...»

      Dieses betonte Perfekt brach den Zauber, mit dem sie mir per Draht Saft und Kraft genommen hatte, meine Starre wich dem Entschluß, den angebotenen Waffengang anzunehmen, gut, wenn du willst, dann führ ich dir nicht nur vor, warum ich ihm nahegestanden habe, sondern warum ich ihm weiter nahestehe und immer nahestehen werde, falls ich es mir nicht freiwillig anders überlege! Es ging auf neun, Gábina wacht nicht vor Mittag auf, ich brauche eine Stunde, um wie ein Phönix aus der eigenen Asche zu steigen.

      «Ich kann um halb elf im Slavia sein.»

      Ich gedachte, das Café mit gebührender Verspätung zu betreten, damit sie gewahr werde, wie sich die Hälfte der Männer nach mir umdreht (ein weiteres Zeichen meines Abstiegs).

      «Ginge es nicht irgendwo im Park ...? (Ehe ich mich widersetzen konnte, stimmte sie zu.) Gut! Wo ist das? (Dann kennt sie Prag überhaupt nicht? Meine Erklärung unterbrach sie jedoch.) Ach, ich weiß schon ungefähr. Und wie erkennen wir uns?»

      Du erkennst mich daran, hatte ich Lust zu sagen, daß ich seinen Skalp am Gürtel trage!

      «Ich werde einen dunkelroten Pullover anhaben», sagte ich und fragte mit Absicht nicht, wie ich sie erkennen sollte.

      Im Winter hatte er ihn mir aus London mitgebracht, so mächtig und grobgestrickt, daß er fast auch ohne mich Form hielt. Ja! hatte mein Liebster mir dazu erklärt, er hat mich an eine Rüstung erinnert, ich wollte, daß er deine Schätze für mich schützt! so romantisch sprach er und drückte mich herrlich an sich, während draußen das Taxameter für die Fahrt zu seiner Jüdin tickte. Ich blieb allein mit dem Pullover, und es fiel mir nichts Besseres ein, als das kratzige Ding wie ein Büßerhemd über den bloßen Leib zu ziehen und dem Mann, der in diesem Augenblick bestimmt auch seine Angetraute beschenkte (und umarmte), die ewige Treue zu schwören, die ihn mir schließlich für immer zurückbringen würde.

      Ja nun: Versprechen – Verbrechen, Wahrheit – Narrheit, ich stand nicht einmal diese lächerliche Prüfung auf die kurze Dauer durch, und nun begebe ich mich in dieser nutzlosen Brünne auch noch zu einem Rendezvous mit der Frau des gerade frisch betrogenen Spenders, um ...

      Um was eigentlich??

      Aber natürlich: um ihn dem Schoß der Familie zurückzugeben, der ich ihn ums Haar entführt habe. Meine Pein wird barmherzig gelindert durch das selige Gefühl, daß ich die Kraft gefunden habe, einer Todsünde zu widerstehen und damit dem Teufel selbst. Endlich wird mir dann die Pforte aufgetan, die zu durchschreiten ich begehrt habe, seit ich mich erinnern kann, doch zu allem hat eine verkommene weltliche Macht sie mir verrammelt. (Geh in ein Kloster, Ophelia! Ja, ich werde gehen und nicht den Verstand verlieren, im Gegenteil, ich werde das Heil erlangen.)

      Das darf es schon wieder geben, die gottesfürchtigen und nützlichen Orden, die man so sehr zur Ader gelassen hat, warten auf neues Blut, und meines ist immer noch frisch genug. Christus habe ich von Kindesbeinen an geliebt, noch weit vor Viktor und sogar vor meinem schönen jungen Ehegatten (für Ihn habe ich mein erstes Gedicht geschrieben: ‹Lieber Gott, ich flehe Dich auf Erden/laß mich Deine Schwiegertochter werden ...›), höchste Zeit, daß ich Seine Braut werde. Ihm werde ich jetzt treu sein bis zum Tode, und Er wird mich vor dieser idiotischen Welt bewahren, wird seinem verlassenen und verwirrten Schaf Petra Márová den Frieden bringen.

      Ich legte ruhig und hochbefriedigt den Hörer auf, badete ohne Panik zu Ende, zog mich an (es blieb auch so bei dem herausfordernden Pullover, sie sollte nicht den Eindruck gewinnen, daß ein armseliges Wesen vor ihr kapitulierte), kämmte und schminkte mich (puderte auch den rubinroten Knutschfleck, obwohl er verborgen blieb), so daß ich besser aussah als kaum je zuvor. In andauernder Hochstimmung betrat ich pünktlich um halb elf das Lokal, ohne Nervosität und ohne jegliche Ansprüche. (Nach dem befreienden Entschluß war mir kein Mensch mehr eine Show wert.)

      Mich begrüßten hier nie gesehene Reihen leerer Tische, besetzt waren nur die Logen an den Fenstern, und Tschechisch vernahm man kaum, die Rentner und Studenten also auch da aus ihrem Paradies mit dem Feuerschwert der Preisfreigabe vertrieben (folglich auch durch Zutun meines ... nicht mehr Liebsten? aber ja, er war es noch, so wahr, wie ich immer noch die ungeläuterte Sünderin blieb). Ich durchquerte den weitläufigen Raum mit meinem Paradeschritt (durchgedrückte Knie in langsamer Kadenz machen dich unheimlich sinnlich! Zitat: der gute Olin, als er mich ins Bett kriegen wollte, aber was das betrifft, hat er wohl nicht gefaselt), und die meisten Männerköpfe drehten sich meinem Gang entsprechend um. Geradeaus blickend (ich suche nicht, ich bin gesucht), strebte ich zu den Fenstern auf der Moldauseite, in der Absicht, mich niederzulassen, mir eine anzuzünden und abzuwarten, wer da käme.

      Als sich vor mir eine unauffällige Frauensperson erhob, verlangsamte ich höflich den Schritt, um sie vorbeizulassen, doch statt dessen sprach sie mich an.

      «Frau Petra?»

      Unter den Frauen ihres Alters, die hier herumsaßen, hätte ich nie und nimmer auf sie getippt. Meinen Liebsten hatte mir ein mageres Mädchen mit kurzem mausfarbenem, nicht besonders gutem Haar abspenstig gemacht. Die mächtige Rivalin, das Gespenst meiner schlaflosen Nächte, in denen ich ihn mir eifersüchtig in der betörenden Umarmung einer leidenschaftlichen Tochter Judäas ausmalte, trug eine starke und viel zu wuchtige Hornbrille, die trotzdem nicht ihre Runzeln um Augen und Mund verdeckte (ich, die über zehn Jahre Ältere, habe fast noch keine!), das ganze Gesicht wirkte müde (vielleicht hatte sie auch nicht geschlafen oder hatte es nicht geschafft, sich anzuhübschen), was ihr elegant unauffälliges Kleid noch betonte. (Und ein teures, das sieht man gleich, auch aus London oder Paris ...) Sie drückte im Aschenbecher ein wievieltes dünnes Zigarettchen aus und versuchte mich anzulächeln.

      «Ich weiß noch immer nicht, wie Sie richtig heißen, Viktor hat neben Ihrer Nummer nur Petra stehen ...»

      «Márová.»

      Damit setzte ich mich. Ihr Anblick konnte täuschen, doch selbst in dieser Ausgabe war sie nicht minder gefährlich, ich hatte nicht die Absicht, mit ihr zu plaudern. Sogleich erschien ein junger Ober, um die Bestellung entgegenzunehmen.

      «Sonderbar!» bemerkte sie (Einfalt oder Ironie?), «ich habe ihn nicht herbeiwinken können.»

      Wieder entschuldigte sie sich, daß sie mich belästige, und wieder ließ ich das unkommentiert. Ohne Sinn rührte ich im Kaffee, der fast im Handumdrehn erschienen war, und wartete gespannt, womit sie herausrücken würde. Noch davor zog sie nervös eine weitere Zigarette heraus, und als ich nach den meinen griff, bot sie auch mir eine an, ich verneinte, selbstverständlich, aber dem Feuer konnte ich nicht ausweichen und verstand so, daß ich vor ihr mein Feuerzeug nicht mehr zücken durfte. (Er hatte uns mit einander sehr ähnlichen beschenkt ...)

      «Viktor hat wenig Freunde hier (unauffällige Einkreisung über vier Ecken?), ich glaube, er hat nie besonders viele gehabt, er ist so verschlossen ... (du solltest mal erleben, wenn er sich öffnet!) doch von Ihnen hat er immer furchtbar nett gesprochen ... (aber nein! was?) er hat Sie als Mensch geschätzt und als (na??) Tschechin (was ist das?), nun ja, Ihre, wie man so sagt, zivile Haltung ... (was hatte ich damals für eine Haltung? die gleiche wie fast jeder hier: Die Bolschewisten sind Schweine, doch die bleiben mit den Russen ewig da, also: sich fürchten und stehlen, auch wenn Papa Masaryk, der von der Nation das Gegenteil verlangte, sich im Grabe umdreht!) und er ist überzeugt, daß auch Sie die seine gekannt haben. (Natürlich, ich kannte und kenne alles an ihm und in ihm ... fast alles!) Das ist es, weshalb er Sie gestern gesucht hat und warum ich mit Ihnen sprechen möchte. (Moment ... also geht es ihr gar nicht um ...) Frau Petra, ich bin in Bratislava geboren, doch von meinem dritten Lebensjahr bis letztes Jahr habe ich im kanadischen Vancouver gelebt, das ist ein anderer Planet, auf dem wohnen glückliche Kinder, die niemals einen Krieg oder Tyrannei erlebt haben. Meine hiesige Erfahrung ist gleich Null, vielleicht nur dank meinem Judentum ... ich bin Jüdin, wissen Sie? (ja, diese mystische Herkunft flößt mir bereits ein Jahr Minderwertigkeitskomplexe ein, doch dafür hapert es mit der Schönheit


Скачать книгу