1492 - das geheime Manuskript. Peter Gissy

1492 - das geheime Manuskript - Peter Gissy


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mich bis zum Tisch vorgedrängt hatte, sah mich der Schreiber mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Und wer bist du?«

      Ich nannte meinen Namen: »Bruder Pedro Gucci aus dem Franziskanerkloster La Rábida.«

      »Aha, du bist also Bruder Pedro.« Er lächelte. »Ich heiße Miguel. Wir werden Schiffskameraden auf der Santa Maria sein. Dort liegt sie.« Er zeigte auf das größte Schiff am Kai. Ein paar Seevögel flatterten gerade vom Mast auf und stürzten sich kreischend auf die Fischreste, die an der Meeresoberfläche schwammen. »Kapitän, der Mönch ist gekommen«, sagte er mit lauter Stimme.

      Das kantige Gesicht des Edelmannes war unbeweglich, als er mich grüßte. Er nickte und wandte sich ab. Miguel lehnte sich vor, seine Augen funkelten. »Sieh dich vor Kapitän Vincente Pinzon vor. Er ist heute nicht bester Laune.« Miguel verbarg seine Neugier nicht. »Ist das deine erste Seereise?«

      »Ich habe noch nie ein Schiff betreten«, antwortete ich.

      Als wir in diesem Augenblick weit entfernte Schreie hörten, drehten wir uns um. Ein Trupp Soldaten kam aus einer Gasse. Sie trieben ein paar zerlumpte Kerle vor sich her, die mit einem langen Seil aneinander gebunden waren. Ihnen folgte eine pfeifende und johlende Menschenmenge. Hinter mir rief Miguel: »Die Gefangenen sind da, Señor Pinzon!«

      Einer der Gefesselten musste gestolpert sein. Ich sah einen Soldaten, der seine Peitsche hob und senkte. Auf den scharfen Knall folgte ein Schrei. Einige in der Menschenmenge hoben Steine hoch und begannen, sie auf die Soldaten zu werfen, die mit ihren Waffen auf die Massen einschlugen.

      »Die Helden von Granada!«

      »Gebt Königin Isabella einen Kuss von mir!«

      Es war bedrückend.

      Irgendwo jenseits des Lärms hörte man Hufgeklapper. Ein geschlossener Wagen rollte näher. Von innen rief jemand etwas, worauf der Kutscher sich vorbeugte, seine Peitsche schwang und die Menschenmenge zu meiner Erleichterung auseinander trieb.

      Ich erkannte die Stimme sofort.

      In der Kutsche saß der Mann, den Königin Isabella und König Ferdinand von Spanien unter ihren persönlichen Schutz gestellt hatten. Der Mann, der mehr als jeder andere mein Leben beeinflusst hatte.

      Christoph Kolumbus.

      Sein grimmiges Gesicht erstrahlte, als er mich sah.

      »Pedro! Bist du es wirklich?«

      Mir wurde warm ums Herz und ich hob die Hand zum Gruß.

      So trafen wir uns wieder.

      In Gedanken kehrte ich zu dem Abend zurück, als wir uns das allererste Mal begegnet waren, er und ich.

      Zwei

      August im Jahre des Herrn 1486.

      Ich treffe den Admiral zum ersten Mal.

      Manuel, López und ich standen in der Dunkelheit und suchten Schutz vor dem Regen. Über unsere Köpfe schossen Blitze. Es war, als ob der Leibhaftige selbst mit seinem Karren unterwegs sei. Der Wolkenbruch verwandelte den Boden in einen klebrigen Matsch, den wir mit uns herumtrugen, wohin wir auch gingen.

      Das Unwetter ließ die Wände des Klosters erzittern. Die Vesper war gerade vorbei. Die Mönche verließen die Klosterkapelle. In ihren Sandalen schritten sie, die Kapuzen über ihren Köpfen, den östlichen Gang entlang in ihre Zellen. Ich sah Bruder Antonio an Prior Juan Pérez Vorbeigehen, der ihn mit gefalteten Händen im Schein der Lampen segnete. Ein Donnerknall ließ lange Schatten über die Steinwände huschen. Windböen zerrten an unseren Kleidern. Ein weiterer Blitz zerriss die Luft. Ein Schatten fiel auf das Steinpflaster.

      Aus irgendeinem Grund fand ich, dass der Prior angespannt aussah.

      »Jungen«, sagte Juan Pérez mit seiner tiefen Stimme, »hört ihr nicht, dass jemand an der Tür ist?«

      Wir bekreuzigten uns rasch, eilten geduckt aus der Kapelle und erreichten den Stall, bevor ein neuer Blitz in der Dunkelheit aufschien. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich, dass Bruder Pérez uns mit langen Schritten folgte. Die Mönchskutte flatterte um seine Beine.

      Der Fremde, der eingetreten war und nun mit dem Koch Dios sprach, machte keinen besonderen Eindruck auf uns. Die nassen Haare hingen ihm in die Stirn. Als er sich verbeugte, fielen Regentropfen auf den Boden. Die eng anliegende Hose war voller Dreck.

      An seiner Seite stand ein Junge, der seiner Größe nach höchstens fünf Jahre alt sein konnte. Trotz der späten Stunde war der Junge noch wach, sah jedoch sehr müde aus.

      Der Fremde zog den Hut.

      »Guten Abend, Freunde.«

      Die Stimme klang weich, seine Sprechweise war von seltsamer Leichtigkeit. »Mein Sohn Diego und ich sind schon lange unterwegs und wurden von dem schlechten Wetter überrascht. Wir müssen uns unbedingt ausruhen. Dürfen wir eine Nacht bleiben und uns aufwärmen?«

      Ein leichter Akzent deutete darauf hin, dass der Mann nicht in Spanien geboren war. Er gefiel mir sofort. Der Junge, der Diego hieß, drückte sich unruhig an das Bein seines Vaters.

      »Wir sind alle Brüder unter demselben Herrn«, sagte Bruder Pérez. »Seid willkommen, Fremder. Wir nehmen viele Gäste in unserem Kloster auf, manche sind auf Wallfahrt, andere kommen, um das Klosterleben zu studieren. Wo habt Ihr Euer Maultier?«

      »Das steht draußen.«

      Der Prior zeigte auf mich.

      »Pedro geht Euch zur Hand, Fremder. Ihr könnt hier übernachten.« Er wandte sich mir zu und sagte: »Zeig ihnen, wo sie Wasser für ein Bad erwärmen können, Pedro, und gib ihnen trockene Kleider. Es ist nicht gesund, lange in nassen Kleidern herumzulaufen. Der arme Junge sieht völlig erschöpft aus.«

      Der Fremde verbeugte sich noch einmal. »Mein Name ist Christoph Kolumbus. Mein Sohn und ich sind von Portugal unterwegs nach Genua. Ich bin Kartograf und Entdeckungsreisender.«

      Der Prior zog die Augenbrauen hoch. Ich stutzte ebenfalls. Entdeckungsreisender?

      Das war das erste Mal, dass Christoph Kolumbus und ich unter einem Dach schliefen.

      In dieser Nacht flüsterten wir Laufburschen, die wir das Nachtlager teilten, viel. Wir waren neugierig. Wer war dieser Kolumbus?

      Ich fühlte mich von dem Neuankömmling seltsam angezogen. Vielleicht hatte dieses Gefühl mit meiner ständigen Sehnsucht nach meinen Eltern zu tun.

      An dieser Stelle muss es gesagt werden: Ich bin elternlos.

      Nicht wurzellos, da der Herr mein Leitstern und Beschützer ist, aber ich habe weder Mutter noch Vater. Dadurch ist mein Leben anders als das der anderen. Lasst mich von mir selbst erzählen, nicht weil es für das große Ganze wichtig wäre, sondern weil es demjenigen, der eines Tages diese Zeilen lesen wird, weiterhelfen könnte.

      Bruder Jaito ist sehr alt. Er erzählt immer, dass er eines Nachts laute Schreie vor dem Kloster gehört habe. Im Glauben, es handele sich um ein Tier, öffnete er die Tür und entdeckte auf den großen Steinplatten einen Korb. Darin lag ein neugeborenes Kind, bloß in einen Schmutzigen Stofflappen gewickelt.

      »Dein Gesicht war ganz blau, mein Junge, und du hättest sicher nicht mehr lange gelebt, hätte ich dich nicht zufällig gehört«, sagte der freundliche alte Mönch immer.

      Niemand weiß, wie ich dorthin gekommen bin. Niemand weiß, wer meine Eltern sind.

      Ich bin ein Findelkind.

      Ein niño espósito.

      »Unser kleiner Moses im Schilf«, sagten die Mönche.

      Denn sie betrachteten mich als Geschenk des Allmächtigen selbst. Die Mönche nahmen sich liebevoll meiner an.

      Die ersten Jahre gaben sie mich in die Obhut eines Schafzüchters und seiner Frau, die ohne eigene Kinder in den Bergen lebten. Mehrmals im Jahr besuchte mich Bruder Juan Pérez, der bald wie ein richtiger Vater für mich wurde. Als


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