1492 - das geheime Manuskript. Peter Gissy

1492 - das geheime Manuskript - Peter Gissy


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übers Meer!

      Niemand hatte das bisher getan.

      »Aber das ist doch unmöglich!«, sagte jemand. »Indien liegt in der anderen Richtung.«

      Wir hörten alle aufmerksam zu, während Kolumbus erzählte, er wolle beweisen, dass die Erde rund und nicht flach sei. Indem er nach Westen segelte, wollte er die Erde umrunden und auf diesem Weg nach Indien gelangen.

      Der Gedanke war Schwindel erregend!

      Heute, viele Jahre später, kann ich im Geiste immer noch jedes Wort hören, jede Geste, ja sogar jede Veränderung seines Gesichtsausdrucks sehen.

      Schließlich verstummte er. Er sah uns ernst an und wartete auf unsere Fragen.

      »Was passiert, wenn Sie auf die Rückseite der Welt gelangen?«, fragte jemand.

      »Es gibt keine Rückseite. Die Erde dreht sich.«

      Ich begriff gar nichts. Es war zu viel. Sollte die Erde sich wirklich drehen?

      Bruder Dios fing plötzlich an zu lachen.

      Das heisere, raue Lachen steckte mehrere Mönche an und hallte im Raum wider.

      Ich sah, dass Juan Pérez sich mit traurigem Blick abwandte.

      Kolumbus stand aufrecht und lauschte, ohne ein Wort zu sagen. Ich wollte eingreifen, traute mich aber nicht.

      In dieser Nacht bekam ich meinen ersten Anfall.

      Er dauerte nur einen kurzen Moment, aber ich erwachte in einer Blutlache auf dem Steinboden und hatte mir fast die Zunge abgebissen.

      Ich hatte ein seltsames Gefühl im Kopf und Schwierigkeiten zu sprechen.

      Bruder Pérez verbot mir, im Klostergarten zu arbeiten.

      Daher lag ich im Bett, als Christoph Kolumbus nach Madrid abreiste, um mit der Königin und dem König von Spanien zu sprechen.

      Fünf

      Im Jahre des Herrn 1490.

      Begegnung mit den Wegelagerern.

      Kolumbus kommt von seiner Audienz bei dem König

      und der Königin von Spanien zurück.

      Drei Jahre nachdem Kolumbus uns verlassen hatte, um an den spanischen Hof zu fahren, fiel ich unter die Wegelagerer. Da ich beschlossen hatte, alles über Astrologie zu erfahren, durfte ich zu Don Emilio in die Lehre gehen, einem gelehrten Mann, der etwas weiter oben in den Bergen wohnte. Bei ihm studierte ich gemeinsam mit ein paar anderen Schülern den Sternenhimmel. Nach dem Unterricht wartete stets ein beschwerlicher Ritt zurück zum Kloster auf mich. Mein Maultier fand den Weg allein, obwohl es dunkel wie im Grab war.

      Eines Abends spürte ich eine innere Unruhe und versuchte, mein Reittier anzutreiben.

      Es war den ganzen Tag warm gewesen. Jetzt kam Wind auf, und man spürte, dass das Wetter umschlagen würde. Die Zikaden zirpten leiser, ein sicheres Zeichen für ein herannahendes Unwetter.

      Als ich um eine Wegbiegung kam, passierte das, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte.

      Vor mir stand eine Bande von Wegelagerern.

      Sie hatten ihre Waffen auf mich gerichtet. Voller Schreck trat ich das Maultier in die Seite, damit es kehrtmachte, doch merkte ich rasch, dass der Rückweg von zwei kräftigen Kerlen versperrt war.

      Ein Hinterhalt!

      Genau davor hatten mich die Mönche gewarnt!

      Mein Herz schlug so stark, dass ich das Gefühl hatte, es würde bersten.

      Der Mond erschien zwischen den Wolken. Im plötzlichen Licht suchte ich nach einem Fluchtweg. Nein, es gab keine Möglichkeit vorbeizukommen.

      Die Räuber standen wie schwarze Schatten da und betrachteten mich schweigend.

      Einer der Männer ließ seine Muskete sinken. Jemand spuckte auf den Boden.

      »Wer bist du?«, rief ein breitschultriger Mann.

      »Ich bin ein einfacher Franziskanermönch auf dem Weg ins Kloster La Ribida.«

      Jemand lachte derb.

      »Ha, ein Mönch!«

      Ein Pferd löste sich aus der Dunkelheit und kam auf mich zu. In der Hand des Reiters glänzte ein Schwert. Langsam richtete er die Spitze gegen meine Stirn. Mit einer schnellen Bewegung schlug er meine Kapuze zurück. Ich zuckte zusammen. Als der Mann das Schwert an meine Brust drückte, dachte ich, meine letzte Stunde hätte geschlagen.

      »Ein einfacher Franziskanermönch?«, wiederholte er höhnisch. Sein Gesicht war größtenteils von einem Tuch verdeckt, seihe Augen funkelten bedrohlich.

      »Lass ihn«, sagte jemand.

      Die Schwertspitze drückte stärker gegen meine Brust.

      »Lassen Sie mich gehen, Señor«, stammelte ich. »Ich bin arm, ein Diener des Herrn ohne… Besitz…«

      Die kräftige Gestalt regte sich nicht.

      Saß er da und überlegte, ob mein Leben es wert war, verschont zu werden?

      In der Ferne hörte man Donnergrollen.

      Der Donner rollte über die Berge, um dann langsam auszuklingen.

      Im nächsten Augenblick nahm der Mann das Schwert wieder an sich. Er steckte es in die Scheide.

      »Lasst ihn weiterreiten!«, rief er.

      Mit großer Erleichterung trieb ich mein Reittier an. Das sonst so störrische Maultier gehorchte sofort, sicherlich empfand es dasselbe befriedigende Gefühl wie ich.

      Doch ich kam nicht weit. Ein gellender Schrei erfüllte die Luft. Im nächsten Augenblick packten mich grobe Hände, zerrten mich vom Eselsrücken und pressten mich zu Boden. Schwere Schläge prasselten auf meinen Rücken und meinen Kopf. Ich versuchte, meinen Kopf so gut es ging mit den Händen zu schützen, doch so bekamen die Finger die Schläge ab. Zunächst spürte ich keinen Schmerz; stattdessen bemerkte ich eine warme Flüssigkeit, die mir übers Gesicht und zwischen meine Lippen rann.

      Sie schmeckte nach Salz. Ich begriff, dass es mein eigenes Blut war.

      Ich betete zum heiligen Franziskus, während mir die Mönchskutte vom Leib gerissen wurde.

      Sie fluchten, als sie meine Kleider durchsuchten.

      Ein harter Tritt in den Bauch nahm mir die Luft. Nackt wie ein Neugeborenes lag ich da und weinte. Der furchtbare Sehrei erfüllte die Luft und hallte mir im Schädel wider.

      Der furchtbare Schrei.

      An mehr erinnere ich mich nicht.

      Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war.

      Ich wachte auf, weil meine Glieder zitterten. Die Kälte vermischte sich mit starken Schmerzen, besonders auf der einen Körperseite. Ich hörte ein Stöhnen und rollte mich instinktiv zusammen.

      Es dauerte etwas, bis ich verstand, dass der Ton aus meinem eigenen Mund gekommen war.

      Vorsichtig sah ich mich um.

      Der Himmel war immer noch dunkel.

      Abgesehen von meinem einfältigen Maultier, das ein paar Schritte entfernt an einem Busch knabberte, war kein Lebewesen zu sehen.

      Keine Räuber.

      Regentropfen begannen, auf meinen nackten Körper zu fallen, und Windböen raschelten in Blättern und Büschen, der Wind war unangenehm kalt. Ich versuchte, mich aufzusetzen. Es ging, trotz starker Schmerzen, die in meine Beine ausstrahlten. Die Mönchskutte war weg.

      Wie ich es schaffte, das Maultier zu mir zu locken und mich auf seinen Rücken zu hieven, weiß ich nicht.

      Es war eine traurige Heimreise.

      Mehrmals fiel ich fast zu Boden, aber es gelang mir


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