1492 - das geheime Manuskript. Peter Gissy

1492 - das geheime Manuskript - Peter Gissy


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Mönche waren immer gut zu mir.

      Ich weiß nicht genau, wie alt ich war, als ich beschloss, Mönch zu werden. Vielleicht nicht älter als sieben oder acht. Als ich es dem Prior erzählte, nickte er. »Das steht in den Sternen, mein Freund«, sagte er. »Der Allmächtige hat eine Aufgabe für dich, wie für alle.«

      Die Mönche haben mir mehr über das Leben beigebracht, als meine richtigen Eltern es je gekonnt hätten. Aber fast jeden Abend seit meinem zehnten Lebensjahr zünde ich zwei Kerzen an und spreche ein einfaches Gebet.

      Die Kerzen sind für meine Eltern.

      Obwohl ich sie nie gesehen habe, fühle ich in meinem Herzen, dass sie leben. Ich weiß - tief in meinem Herzen weiß ich! -, dass ich sie eines Tages treffen werde. Seit meiner frühesten Kindheit habe ich davon geträumt, wie es sein wird, wenn wir uns begegnen, was meine Mutter sagen wird, wenn sie mich sieht, und was mein Vater sagen wird.

      Wenn ich die Augen schließe, kommt es mir manchmal so vor, als könnte ich sie vor mir sehen.

      Wie unscharfe Schatten.

      Die langen Haare meiner Mutter, wenn sie sich über mich beugt. Das ernste Gesicht meines Vaters.

      Deswegen erinnere ich mich auch so genau an mein erstes Treffen mit Christoph Kolumbus. Ich hatte das Gefühl, dass er meinem Vater ähnlich sieht.

      Ich war dreizehn Jahre alt im Jahre des Herrn und der Jungfrau Maria 1486.

      Es dauerte nicht mehr lange, bis ich Novize werden durfte.

      Drei

      Der erste August im Jahre des Herrn 1492.

      An Bord der Santa Maria.

      Kolumbus sagte etwas zu dem Kutscher und sprang vom Wagen. Unbeeindruckt vom Lärm um uns herum, streckte er mir lächelnd die Arme entgegen. Er war einen Kopf größer als ich, und ich musste nach Luft schnappen, als er mich wie einen Sohn umarmte.

      »Pedro! Lass dich anschauen. Du siehst blass aus, hast du Angst vor der Reise?«

      Ich hatte keine Zeit zu antworten.

      »Herr Admiral!«, rief Miguel, der Schreiber. »Hier sind ein Dutzend Männer aus dem Gefängnis, gemäß des Befehls der Königin Isabella. Was sollen wir mit ihnen tun?«

      Die armseligen Männer standen mit hängenden Köpfen neben ihren Wächtern und kümmerten sich nicht um den Aufruhr um sie herum. Ihre Gesichter waren grau.

      »Schreib ihre Namen auf, Miguel.«

      »Sie weigern sich.«

      Kolumbus sprach die Männer direkt an. »Ihr wollt nicht? Was für eine Wahl habt ihr denn? Wollt ihr lieber bei den Ratten in den Kerkerlöchern sterben?«

      Einer der Gefangenen, dessen langes Haar über seine Schultern hing, hob den Kopf. »Ich will nicht in den Abgrund am Rand der Welt fallen!«

      Seine Kameraden nickten.

      Einige spuckten aus, als wollten sie ihre Abscheu kundtun.

      Arme Teufel, dachte ich.

      Kolumbus blieb ruhig. »Ihr täuscht Euch, Señor. Wir fallen in keinen Abgrund! Wie könnt Ihr nur so etwas glauben? Das Meer hat kein Ende, es krümmt sich nur. Wir werden zu einem der reichsten Länder der Welt fahren, nach Indien, und wir werden Schätze entdecken, von denen Ihr nicht einmal zu träumen wagt.« Er gab Miguel ein Zeichen. »Schreib ihre Namen auf. Wir müssen die Männer nehmen, die wir kriegen können. Morgen brechen wir auf.«

      Der Admiral legte mir den Arm um die Schultern und sah zu den Schiffen hinüber. »Hast du Kapitän Vincente Yañez Pinzón getroffen, Pedro? Er und sein Bruder Martín Alönso sind die Kapitäne unserer Schiffe, ohne sie könnte ich nicht auskommen. Sieh mal! Das ist die Santa María.« Er zeigte auf sie. »Ist sie nicht schön?«

      Ein seltsames Gefühl ergriff mich. Es war wie ein Feuer, das in mir aufloderte.

      Das war ein Augenblick, an den ich mich mein ganzes Leben erinnern würde: Kolumbus, die drei Karavellen, die Seevögel, die um die Masten kreisten, der Krach um uns herum. Ich schloss die Augen.

      »Pedro?«, hörte ich meinen Freund fragen. »Lieber Freund. Was ist los mit dir?«

      Ich schlug schnell die Augen auf.

      »Nichts. Ich bin nur müde.«

      »Komm, gehen wir an Bord.«

      Das Deck der Santa Maria war ein einziges Durcheinander von Trossen, Segeln, Seilwinden, Tauen, Tierkäfigen, Fässern und Holz. Überall waren Matrosen eifrig damit beschäftigt, alles zu verstauen. Kolumbus genoss die Aufmerksamkeit, die unsere Ankunft weckte, und scherzte mit den Matrosen. Ich fand, er stolzierte wie ein andalusischer Gockel herum. Ich erblickte zufällig Kapitän Vincente Pinzón, dessen Gesicht wie versteinert war.

      Ich durfte meine wenigen Habseligkeiten bis auf weiteres in der Kabine meines Freundes unterbringen. Die Kabine war klein und niedrig; ich musste mich bücken, um mir nicht den Kopf zu stoßen. Auf einem Tisch stand ein kleines Holzkästchen. Ich betrachtete neugierig alle Karten und Instrumente, die dort lagen, aber als Kolumbus mir ihre Funktionen erklärte, schaffte ich es nicht mehr, ihm genau zuzuhören. Ich war von all den Eindrücken überwältigt. Als er mir wenig später Wasser anbot, sagte er: »Erinnerst du dich noch, wie wir zusammen im Kloster gewohnt haben, Pedro? Das war eine schöne Zeit.«

      Ich nickte.

      Er fuhr fort: »Wie viele Jahre ist das her? Vier? Fünf?«

      Während die Vögel über unseren Köpfen kreisten, ließ ich meine Gedanken schweifen.

      Zurück zu den Tagen, als er zum ersten Mal seine Pläne bekannt gab.

      Ja, das war eine schöne Zeit.

      Vier

      Im Jahre des Herrn 1486.

      Kolumbus berichtet von seinen Plänen

      und reist an den spanischen Hof.

      Kolumbus blieb lange bei uns im Kloster, und wir begriffen alle, dass er große Pläne hatte. Oft sah man ihn in Gespräche vertieft, doch jedes Mal, wenn ich oder ein anderer Diener sich ihm näherten, verstummte er.

      Ich hätte zu gern gewusst, um was es ging, aber er und die Mönche wahrten ihr Geheimnis.

      Eines Abends traf ich auf Bruder Luis. Seine Mundwinkel zuckten. Er starrte mich mit fieberglänzenden Augen an. Ich glaube, ich hatte den freundlichen Bruder noch nie so aufgebracht gesehen. Luis zischte: »Er ist gefährlich.«

      »Wer?«

      »Das ist verrückt!«, rief er und sperrte die Augen auf, als versuchte er, einen unsichtbaren Schleier zu entfernen. »Das ist so vollkommen verrückt! Glaub mir, Pedro, dieser Mann verdreht den Menschen den Kopf!«

      »Wer?«

      »Kolumbus!«

      »Was meinst du damit?«

      Aber er antwortete nicht, sondern schlich mit gebücktem Rücken weiter.

      Später fragte ich Juan Pérez, doch auch er wich meiner Frage aus.

      »Ich kann nichts sagen, Pedro. Wenn die Zeit reif ist, wirst du alles erfahren.«

      »Aber López sagt, dass…«

      Er sah mich scharf an. Ich schwieg und schlug die Augen nieder.

      »Gedulde dich«, war seine Antwort.

      Ein paar Tage später kam er in die Klosterschule, während wir mit unseren Schreibübungen beschäftigt waren. Ich verstand sofort, worum es ging.

      »Es ist an der Zeit«, sagte er und bekreuzigte sich. »Heute Abend versammeln wir uns im Skriptorium. Kolumbus berichtet dort von seinen Plänen.«

      An diesem Abend erzählte Kolumbus, er wolle auf die andere Seite der Erde fahren.


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