Das Apfelsinenmädchen. Lena Kallenberg
Signe schlägt gerade Stücke vom Zuckerhut, der durch Kristina immer weniger wird, als die Hausfrau nach einem Schluck Kaffee ruft.
„Na, hat sich die Zuckermagd mal wieder selbst bedient?“, gluckst die alte Kata.
Signe schüttelt den Kopf. Die Hausfrau seufzt, ist zu schwach, um zu schimpfen. Kristina ist wie vom Erdboden verschluckt. Signe hat sie mehrere Male mit großen Zuckerstücken im Mund erwischt.
Die kleine Lisa ist flink wie ein Eichhörnchen und krabbelt gern auf Signes Schoß. Der kleine Körper wärmt so schön. Signe genießt die kurzen Augenblicke, wenn Lisa auf ihrem Schoß sitzt. Steckt ihre Nase in Lisas Haar und atmet den süßen Kleinkind-Duft ein.
Es ist Samstag. Samstags findet großer Hausputz statt. Signe gießt Wasser auf die Holzdielen des Hauses: Küche, Wohnraum und Schlafplatz für sie und die alte Kata. Die Flickerlteppiche hat sie schon auf die Vortreppe hinausgetragen. Sie streut Scheuersand auf die Nässe und fängt an zu scheuern.
Signe ist barfuß, den einen Fuß auf dem Birkenbesen, scheuert und scheuert sie. Sie spielt, dass sie übers Eis rutscht. Dann geht es leichter. Manchmal ist es schwer, das Gleichgewicht zu halten, und sie muss sich am Schrank oder einer Wand festhalten. Dann scheuert sie weiter.
„Aua!“ Sie schreit vor Schmerz auf.
In ihrem rechten Fuß brennt es wie Feuer. Sie muss sich auf einen Schemel setzen und ihre Fußsohle untersuchen. Ein langer Splitter ist in den Fuß gedrungen.
Kristina hat den Schrei gehört und kommt aus der Kammer gestürzt, in der sie sich aufhalten sollte, während Signe putzt. „Faule, faule Signe!“, schreit sie begeistert.
Der Fuß tut zu weh, als dass Signe sich jetzt um sie kümmern könnte.
Auf der Vortreppe poltert es. Die alte Kata kommt aus dem Schuppen mit dem Arm voller Weißmoos. Aber sie lässt es fallen, als sie Kristina herumhüpfen sieht.
„Raus mit dir in die Kammer, Mädchen!“, schimpft sie.
Und Kristina hat es eilig. Die alte Kata kneift, und sie kann man nicht mit Petzen beeindrucken.
„Der Fußboden wird auch nicht sauberer, wenn du dahockst und glotzt“, sagt die Alte im selben Atemzug.
Signe richtet sich auf, kann aber nicht aufhören mit Jammern. Ohne ein Wort drückt die alte Kata sie auf den Schemel und legt sich ihren Fuß auf den Schoß. Ihre Hände sind sanft, obwohl die Haut rau wie Kiefernrinde ist. Sie legt die Lippen an die Fußsohle und saugt. Kata saugt und knabbert, bis der blutige Splitter zwischen ihren Lippen steckt. „Pfui, was für ein hässliches Ding!“ Sie spuckt es in den Scheuersand und legt Weißmoos auf den Klapptisch. Und Signe scheuert weiter mit dem Besen.
Die alte Kata hat zu fast allem eine Meinung. Außerdem kennt sie Heilmittel gegen viele Krankheiten. Aber sie hält es für gefährlich, sich zu waschen.
„Man friert sich Zehen und Finger ab“, sagt sie, „kriegt den Brand oder alle möglichen Krankheiten“, wenn Signe Waschwasser fürs Bad wärmen will.
Signe schaut auf den schmutzigen Fußboden, wo sich Essensreste, Asche, Rattendreck und Speichel vom Bauern mischen. Während sie mit dem Birkenbesen herumfährt, schielt sie zu König Oskar. Sein Porträt hängt als Öldruck über der Ausziehbank, die heute hoch beladen ist mit Matratzen und Bettzeug. König Oskar folgt Signe mit dem Blick. Er sieht sie an der Tür und er sieht sie, wenn sie hinterm Herd vorguckt. Der Blick des Königs ist herrisch, er möchte, dass sie ihr Bestes gibt. Glitzernde Orden schmücken seine Brust, und die Schulterklappen sind mit Gold verziert. Ob das richtiges Gold ist? Wie das in der Sonne glänzen muss! Manchmal hat sie Angst, der König könnte aus dem ovalen Rahmen an der Wand steigen, so intensiv verfolgt er ihre Tätigkeiten.
Majestät ist streng. Das rabenschwarze Haar und die aufgezwirbelten Schnurrbartspitzen deuten darauf hin. Bestimmt gefällt es ihm nicht, dass sie Rutschbahn spielt.
Signe versucht mit ihrem nackten Fuß auf dem Besen würdiger zu schrubben. Schiebt eine Haarsträhne zurück, die sich aus dem Zopf gelöst hat. Eine fleißige Untertanin will sie sein. Kann dem König sogar zeigen, wie hübsch sie knicksen kann. Signe stellt den einen Fuß hinter den anderen und verneigt sich tief vor König Oskar, den Blick auf den Scheuerboden gerichtet.
Auf der Vortreppe poltert es. Die alte Kata steht wieder auf der Schwelle und tut so, als würde sie besonders an einem Kaffeefleck reiben.
„Oh, oh!“, jammert sie. „Lass fallen, was du in den Händen hast. Such nach dem Hund. Er hat sich losgerissen. Und du wirst doch so gut mit ihm fertig.“
Signe wischt sich die Hände an der Schürze ab, zieht eilig Strümpfe und Stiefel an. Der Bauer ist draußen zum Fischen und Ludde gehorcht nur ihm und Signe.
„Ludde!“, ruft sie in den Wald.
Sie biegt in den Pfad ab, den der Hund und der Bauer gehen, wenn sie Hasen oder Waldvögel jagen. Vom Himmel fällt mit Schnee gemischter Regen und sie zieht Katas verschlissenen Lodenmantel enger um sich.
„Lieber Ludde!“
Nur Signe nennt ihn so. Die anderen lachen über den Kosenamen. Für sie ist Ludde ein Wachhund, dem sie sich nicht zu nähern wagen. Aber Ludde ist Signes Trost geworden. Ihm hat sie von ihrer Sehnsucht nach Alice erzählt. Und von ihrem geheimen Plan, ihren Vater zu suchen. Ludde versteht sie. Er wackelt mit seinem spitzen Kopf und winselt ein bisschen. Die grauen Augen sehen in sie hinein. Und er sagt niemandem etwas weiter.
Bei einer großen krummen Kiefer bleibt sie stehen. Legt die Hände wie einen Trichter um den Mund und ruft über die Heidelichtung. Sie wartet mucksmäuschenstill und lauscht. Es tropft von den Bäumen und ein Rabe schreit. Bald darauf antwortet der Rabenpartner und der schwarze Vogel fliegt über die Tannenwipfel zu einem Felsen. Sie verfolgt seinen Flug mit dem Blick.
„Unserm Herr gefällt der Ruf der Raben nicht“, pflegt Kata zu sagen, wenn der Rabe ruft. Sie ist der Meinung, es sei der Vogel des Teufels und dass der Rabe Unheil ankündige. Signe schaudert. Will jetzt nicht an Schreckliches denken.
Wasser dringt ihr in den einen Stiefel. Ihre Zehen werden starr vor Kälte. Sie bückt sich und sieht einen Spalt zwischen Leder und Schuhsohle. Dort, im Blaubeerreisig, hängt ein graues Haarbüschel. Sie nimmt es und schnuppert daran. Doch, die derben Strähnen riechen streng und bekannt. Von irgendwo kommt ein winselnder Laut und sie späht in alle Richtungen. Der Wind hat zugenommen und das Tropfen von den Bäumen wird stärker. Die Haare kleben ihr in nassen Strähnen im Gesicht und ihre Nase läuft. Hat nur der Wind geheult?
„Lieber Ludde!“
Signe wendet sich ab und schnäuzt sich in die Schürze. Für so eine Sünde hat Fräulein Qvennerstedt sie im Kinderheim an den Haaren gerissen. Aber jetzt ist sie erwachsen und wird nicht mehr von einem Kinderheimfräulein überwacht. Sie spuckt in den Schneematsch. Das hätte sie sich früher nie getraut. Im Schnee leuchtet ein Blutfleck. Und noch einer. Sie macht einen Schritt hierhin und dahin. Und dort hinten beim Rabenberg sieht sie eine kleine Figur herumschnüffeln.
„Ludde!“
Signe stürmt auf ihn zu und er kommt ihr hinkend entgegen. Sein graues Fell ist zerrauft und eine Vorderpfote ist verletzt. Sie legt die Arme um seinen Hals und er leckt ihr begeistert über die Nase.
„Der Rabe hat nicht Recht bekommen. Wenn du etwas erzählen könntest, Ludde! Hast du mit einem Fuchs gekämpft oder …“ Sie schaudert und klaubt ein paar lose Haarbüschel aus seinem Fell. „War es der Wolf?“
Ludde heult glücklich als Antwort, er will nach Hause und etwas zu fressen haben.
Überm Rabenberg wird es dunkel. Und darüber stößt das Rabenpaar laute Schreie aus, während Signe und Ludde den Pfad zurück nach Fredriksberg wandern.
Obwohl Signe erschöpft ist nach den Strapazen im Wald, muss sie Wasser aus dem Brunnen holen. Nachdem sie den Fußboden gespült hat, fegt sie den Sand mit dem Besen zusammen. Als Letztes bleibt der lustige Teil, das trockene Weißmoos über den ganzen Fußboden