Das Apfelsinenmädchen. Lena Kallenberg
hinter der Hausecke ausgießen, in der kleinen Blechwanne abwaschen, Kata beim Essenkochen helfen und auf die Kinder aufpassen, das sind ihre sich wiederholenden Aufgaben. Abgesehen davon, dass sie immer bereit sein muss zu helfen, wenn jemand sie darum bittet. Ein Monat ist vergangen, seit sie nach Fredriksberg gekommen ist und die alltäglichen Arbeiten gelernt hat. Jeden Tag dasselbe.
Signe teilt die schmale Ausziehbank mit Kata und wird oft von Knüffen in den Rücken wach. In den ersten Nächten meint sie überhaupt kein Auge zugetan zu haben. Kata schnarcht laut und die Unebenheiten der Strohmatratze schaben am Körper. Aber die größte Plage sind die Flöhe. Am schlimmsten beißen sie in der Nacht. Am Körper flammen rote Stellen auf, obwohl sie beide jeden Abend Flöhe fangen, bevor sie zu Bett gehen. Die Begleiter des Bösen, nennt die alte Kata sie. Und Signe seufzt. Als sie kam, war sie frei von Floh- und Läusebissen.
Jeden Morgen um halb sechs kocht Signe Kaffee. Der Hausherr trinkt den Kaffee in der Küche. Signe muss der Hausfrau die volle Kaffeetasse bringen und die volle Spucktasse wieder hinaustragen. Die Hausfrau ist groß und hat dunkle Ringe unter den Augen. Sie sagt nicht viel, aber sie kann starren mit ihren grauen Augen. So sehr starren, dass Signe nervös wird und fallen lässt, was sie in der Hand hält. Die Hausfrau sitzt mit ausgebreitetem langem Haar über den Schultern aufrecht im Bett. Wärmt ihre Hände an der Kaffeetasse. Signe bückt sich nach der Spucktasse. Versucht nicht hinzugucken, aber der Blick wird von dem gelbschaumigen Inhalt angezogen. Die Hausfrau beobachtet ihre Bewegungen genau. Am meisten fürchtet Signe sich davor zu stolpern und den Auswurf der Hausfrau aufwischen zu müssen. Die Krankheit schwappt in dieser Tasse, die Krankheit, die die Frau von innen her auffrisst.
Gegen acht bereiten Signe und die alte Kata das Frühstück. Es besteht genau wie das Mittag- und das Abendbrot aus gesalzenem Hering, Kartoffeln und manchmal aus Grütze. Am Abend kocht die alte Kata immer Grütze. Bleibt welche übrig, wird sie am nächsten Tag gebraten. Es riecht angebrannt, und obwohl Signes Magen nach Essen schreit, kriegt sie die braun angebrannten Grützreste nur schwer hinunter.
Der Frühling ist unterwegs und Signe lässt sich Zeit auf dem Weg zum Vorratshaus. Die Meisen läuten in den Birkenhainen. Stellenweise ist der Schnee geschmolzen und die duftende Erde ist zu sehen. Sehnsuchtsvoll schaut sie zur Landstraße. Versucht einen Blick auf den Badesee zu erhaschen. In einigen Monaten kann sie durch den Wald gehen und sich einen schönen Badeplatz suchen. Sie sehnt sich danach, sich am ganzen Körper zu waschen. Seit sie nach Fredriksberg gekommen ist, hat sie keine Zeit für eine richtige Wäsche gehabt. Hände, Hals und Gesicht müssen reichen, findet die alte Kata, die das Waschen von Signe und den Kindern beaufsichtigt.
Nein, jetzt muss sie sich beeilen und Mehl holen. Heute will Kata Pfannkuchen backen.
Signe löst den Holzpflock des Eisenbeschlages, der die Schuppentür geschlossen hält. Die Dunkelheit springt sie an. Hier ist eine Petroleumlampe zu teuer und überflüssig, findet der Hausherr. Durch die Türritzen fällt ein wenig Tageslicht herein, aber Signe muss trotzdem einen Augenblick stillstehen, damit sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnen.
Dann muss sie die Mehlkiste finden. Im Vorratsschuppen stehen mehrere Kisten und Behälter mit Mehl, gesalzenem Hering, gepökeltem Fleisch und Speck. Im Dunkeln kann wer weiß was geschehen. Wenn es wirklich böse Wesen gibt, dann verstecken sie sich in dunklen Schuppen und Kellern. Niemand, nicht einmal Fräulein Qvennerstedt, hat Signe dazu bringen können, allein in einen dunklen Raum zu gehen. In der Dunkelheit verändern sich die Laute, niemand kann ganz genau wissen, ob das Rascheln aus der Baumkrone, von einem Vogel oder vom Wind kommt. Es könnte das Böse sein, das da lauert, sie verlocken will, dem Säuseln und Rascheln zu folgen, sie im Wald in die Irre locken will. Dort wartet etwas Entsetzliches, was sie sich nicht recht vorstellen kann. Plötzlich sieht sie den Gutsherrn von Tuna vor sich. Er lacht dröhnend …
Signe fährt herum. Ein Kasten mit Butter ist auf dem Erdboden gelandet. Sie bückt sich rasch danach, macht ein paar Schritte ins Schuppeninnere und stellt den Kasten ins Regal zurück. Ein schriller Pfiff lässt sie zusammenzucken. Unter dem Butterregal sitzt eine große Ratte auf der Mehlkiste. Die Ratte faucht und stemmt ihre Krallen in den Holzdeckel. Ihr Schwanz ist kräftig wie ein Seil. Signe begegnet dem Blick der Ratte. Sie hat schon viele Ratten gesehen. Einmal ist eine Maus in der Ausziehbank über das Gesicht der alten Kata gesprungen, aber schnell hinter dem Herd verschwunden. Diese Ratte bleibt sitzen. Duckt sich zum Sprung. Signe kommt zur Besinnung. Macht ein paar vorsichtige Schritte zur Seite, dreht sich hastig um und stürzt zur Tür hinaus. Sie kann das Entsetzen nicht mehr zurückhalten, schreit wie ein Schwein vor der Schlachtung, läuft, stolpert durch die Schneeflecken aufs Wohnhaus zu ohne aufzusehen. Bis ein Paar starke Fäuste sie bei den Schultern packen.
„Was ist los, zum Teufel!“
Sie starrt auf die behaarte Brust des Hausherrn, die unter dem offenen Arbeitshemd bloßliegt.
Nachts wirft sie sich auf der Ausziehbank hin und her und kann nicht zur Ruhe kommen. Die Wanzen quälen sie mehr denn je und sie schämt sich so sehr vorm Hausherrn. Sie hat sich wie ein kleines dummes Mädchen benommen. Aber er ist nicht böse geworden. Hat nur etwas gesagt, dass man sich auf dem Lande eben an Ratten und Dunkelheit gewöhnen müsse. Ist er der Meinung, sie sei eine Gans aus der Stadt, zu weich fürs Landleben? Aber sie hat Ludde gefunden. Das hat der Hausherr von Lillan erfahren und er hat zufrieden genickt.
Signe kratzt sich am Rücken. Stößt aus Versehen die alte Kata an, die sie mit ihren trüben Altfrauenaugen anblinzelt.
„Einmal hab ich eine Schöpfkelle voll Wasser über eine Standuhr gegossen, die war so voller Wanzen, dass sie falsch ging“, erzählt sie.
Signe seufzt. Die alte Kata hat zu fast allem etwas zu sagen, scheint alles zu wissen. Aber von Signes innersten Gedanken weiß sie nicht das Geringste. Nein, es muss ein gut gehütetes Geheimnis bleiben, dass Signe ihre Magdstelle kündigen will. Sie muss bis Oktober warten, dann bekommt sie ihre hundert Kronen. Im Herbst geht sie in die Stadt und macht sich auf die Suche nach ihrem Vater.
Sie sieht ihn auf dem Schemel in der Küche sitzen. Erinnert sich, wie er die Holzpuppe Stina für sie geschnitzt hat, dass die Holzspäne nur so über den Fußboden flogen. Hat ihr Mund und Hals gegeben und mit Ruß aus dem Herd ein Paar Augen verpasst. Keins der Kinder in den Schuppen von Vitabergen hat von seinem Vater eine Puppe bekommen, davon ist Signe überzeugt. Vater und sie gehören zusammen. Aber die Armut hat sie getrennt.
„Dieser verdammte Stempel der Armut“, hallt Vaters Stimme in ihr wider.
Schließlich muss sie doch eingeschlafen sein. Gegen Morgen wird sie wach, das Kissen hat sie gegen das Herz gedrückt.
„Du hast Besuch! Glotz nicht, sondern beeil dich!“
Die Hausfrau steht im Frühlingswind auf der Vortreppe und schreit mit ihrer piepsigen Stimme. Signe hört das Rufen am Waldrand, wo sie kleine Tannenzweige für Spülbürsten und Birkenzweige für Scheuerbürsten schneidet. Sie hebt den großen Korb hoch, in dem sie die Zweige sammelt.
Wer könnte sie besuchen? Aber am Trippeln der Hausfrau sieht sie, dass es ein wichtiger Besuch ist.
Im Dunkeln am Klapptisch sitzt eine Dame mit Hut und einem Mantel mit Pelzkragen. Signe bleibt auf der Schwelle stehen. Die Dame nippt an einer Kaffeetasse, stellt die Tasse auf den Unterteller und schaut auf. Die vollen Lippen öffnen sich zu einem Lächeln.
„Signe! Komm her, damit ich dich ansehen kann!“
Da weiß Signe, wer die Besucherin ist, und vergisst den strengen Blick der Hausfrau. Tränen laufen ihr die Wangen herunter, und mit wenigen Schritten ist sie bei der Dame und wirft sich ihr in die Arme.
„Beruhige dich“, sagt die Dame lachend und löst ihre Arme.
„Fräulein Åberg!“, schluchzt Signe.
In ihrer Aufregung stößt sie aus Versehen gegen Fräulein Åbergs Hut. Er fliegt der Dame auf den Schoß und entblößt das braun gelockte, aufgesteckte Haar. Einige Locken haben sich gelöst und ringeln sich über den Ohren. Das macht nichts, denkt Signe. Nichts lässt Fräulein Åberg unordentlich aussehen, wenn sie ihre braunen Augen zusammenkneift und lacht.
„Signe,