Der radioaktive Mann. Søren Jakobsen

Der radioaktive Mann - Søren Jakobsen


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erwartet Sie«, sagte die Sekretärin im Vorzimmer und schenkte dem Staatssekretär Viggo Nielsen ein professionelles Lächeln.

      Der Staatssekretär ist ein kleiner drahtiger Mann. Von seiner einstigen Haarpracht ist nur ein dunkler Kranz geblieben, wodurch sein Kopf größer wirkt, als er eigentlich ist. Aber optischer Betrug oder nicht: Niemand bezweifelt die Begabung des Staatssekretärs, und wenn jemand diesen Fehler machen sollte, ist dies eine der Fehleinschätzungen, die man sehr schnell bedauert.

      »Darf ich dir eine Tasse Kaffee anbieten?« fragte der Direktor zuvorkommend.

      »Ja, das ist genau das, was ich brauche. Unterdessen werde ich die Aussicht genießen und mich vom Wasser beruhigen lassen.«

      »Daß du das Bedürfnis hast, ruhig zu werden, erscheint mir neu«, bemerkte Krog Petersen lächelnd.

      »Oh, zieh lieber keine allzu weitgehenden Schlüsse daraus. Eigentlich ist es doch dein Ministerium, das ein wenig beraten werden muß, was Ruhe und Sicherheit angeht.«

      »Worauf willst du hinaus? Es geht für uns beide am schnellsten, wenn du die Abschweifungen läßt.«

      »Sehr gern. Ich habe über den Fall Jörg Meyer nachgedacht, und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Sonderkontrolle deines Personals angemessen wäre, damit wir ganz sicher sein können, daß weder Sekretärinnen noch höhergestellte Mitarbeiter es riskieren, den Verlockungen der ›Kundschafter des Friedens‹ aus der DDR nachzugeben – was sagst du dazu?«

      »Werden die wirklich so genannt? Entschuldigung – du mußt es ja am besten wissen«, sagte der Direktor trocken.

      »Ja, das ist die Dienstbezeichnung für die vom Ministerium für Staatssicherheit abgesandten Don Juans in der DDR.«

      »In der Tat hat der Sicherheitschef mir vor einiger Zeit vorgeschlagen, daß wir unsere verschiedenen Verfahren abspulen, um festzustellen, ob wir irgend etwas korrigieren müssen. Die Arbeiten sind bereits angelaufen, und wir sind uns doch wohl einig, daß wir doppelte Arbeit vermeiden können.« Krog Petersen lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück.

      »Das ist reine Routine«, fertigte Viggo Nielsen ihn ab. »Ich glaube, wir werden gar nicht umhin können, in einer anderen Dimension zu arbeiten, als du dir das vorstellst. Und ich komme hierher, um friedlich mit dir darüber zu reden. Du könntest mir mit Recht Vorwürfe machen, wenn ich diese Frage ohne Vorwarnung meinem Minister oder dem Sicherheitsausschuß gegenüber aufwerfen würde.«

      »Ich schätze deine Loyalität, aber was stellst du dir eigentlich vor?«

      »Ganz ernsthaft, ich meine, daß wir gezwungen sind, den PET2 die gesamte Belegschaft durchgehen zu lassen, im Prinzip dürftest du von der Untersuchung nicht ausgenommen werden.«

      »Warum nicht auch den Minister einbeziehen?«

      »Nein, für den Minister kann ich gern die Verantwortung übernehmen, den überspringen wir.«

      »Spaß beiseite. Geht das nicht noch immer ein bißchen zu weit?«

      Der Staatssekretär runzelte die Stirn.

      »Oberflächlich gesehen hast du vollkommen recht. Aus einem professionellen, das heißt kontranachrichtendienstlichen Blickwinkel gesehen, hast du unrecht. Nun gut, es war eine untergeordnete Mitarbeiterin, die Jörg Meyer ins Netz ging, und die Dokumente, die er nach Hause schickte, kompromittierten Dänemark nicht in internationalen Zusammenhängen. Da haben wir ja euer Wort. Für mich beweist die Geschichte allerdings, daß die Ostblockstaaten im allgemeinen und die DDR im besonderen auf breiter Front spionieren, und da wir zur Zeit den Vorsitz zum Beispiel in der EG haben, gehen wichtige Akten durch dein Ministerium.«

      »Das klingt ja fast, als hättest du angefangen, an Kommunistenangst zu leiden – ja, vielleicht ist es eine gute alte McCarthy-Infektion.«

      »Überhaupt nicht. Ich gehe von den tatsächlichen Verhältnissen aus, wie man so sagt. In jedem anderen Land, in dem man einen Spion wie Jörg Meyer gefaßt hätte, wäre die Gegenspionage längst im Gang. Und du kannst mit Sicherheit davon ausgehen, daß das Außenministerium des Landes X nicht vorher einen Höflichkeitsbesuch abgestattet bekommen hätte, wie du ihn von mir bekommst. Frag deine Botschafter, wie das in der großen weiten Welt vonstatten geht.«

      »Ich meine noch immer, daß dein Vorschlag drastisch klingt. Ich möchte jedenfalls gern die Gelegenheit haben, das mit dem Sicherheitschef zu besprechen. Er ist es doch, der die Probleme kriegt, wenn das Personal davon Wind bekommt, was los ist.«

      »Vergib mir meine freimütige Bemerkung, aber dein Sicherheitschef ist in diesem Zusammenhang ein ganz untergeordneter Mitarbeiter.« Viggo Nielsen verkniff sich mit einem Schlag jede Ironie und Nachsicht. »Selbst wenn er Büro- und Sicherheitschef ist, bitte ich dich, ihn über unsere Unterredung nicht in Kenntnis zu setzen. Kein Mitarbeiter des Außenministeriums darf auch nur das Geringste davon erfahren, daß der PET mit einem generellen Check anfängt. Obwohl du die Ausnahme bleibst, die die Regel bestätigt, bedaure ich es beinahe, daß ich dich sozusagen unter der Hand orientiert habe.«

      »Nun, nun, spar dir die Munition. Kannst du Loyalität von deinen engsten Mitarbeitern erwarten, wenn du ihnen selbst mit Mißtrauen begegnest? Ich denke, das leuchtet ein.«

      »Wir brauchen uns wohl kaum über Personalpolitik zu verständigen«, sagte der Staatssekretär, immer noch mit einem scharfen Unterton. »Hier dreht es sich darum, daß ihr in ein neues Gebäude eingezogen seid; und da ihr, soweit ich weiß, die Versicherungsgesellschaft nicht gewechselt habt, komme ich im Namen der Gesellschaft, um mich davon zu überzeugen, daß die Konstruktion in Ordnung ist, damit Hausböcke und Pilze nicht unmittelbar angreifen können.«

      »All right, ich steuere nicht den Geheimdienst. Das machst du, und wenn ich mich nicht irre, hast du deine Entscheidung getroffen, bevor du den ersten Schritt über die Knippelsbro gemacht hast – ja möglicherweise, bevor du mich angerufen hast.«

      »Du irrst. Ich würde nie wagen, einen guten Kollegen so zu behandeln. Du vergißt, daß eine Operation, die so viel Fingerspitzengefühl erfordert, vom Justizminister genehmigt werden muß.«

      »Und wann hat der Minister das letzte Mal nein zu dir gesagt?«

      »Tja, das ist lange her, ich kann mich im Augenblick gar nicht daran erinnern.«

      »Na siehst du! Aber denk an eins, wenn du den Fall vorbringst. Sag nicht, daß du meine Zustimmung hast, denn die hast du nicht. Ich mag den Plan nicht – da ist zuviel Blödsinn dabei und zu viele blaue Brillen, jedenfalls ist er nicht nach meinem Geschmack.«

      »Ich halte mich exakt an das, was passiert ist. Du – du allein – bist orientiert«, sagte Viggo Nielsen gelassen.

      »Wenn nun bei der Durchführung dem PET ein kleines unvorhergesehenes Mißgeschick passiert – und über solche Fälle habe ich in den Zeitungen gelesen, wenn ich mich recht erinnere –, dann bin ich niemals informiert worden.«

      »Nein, für diesen Fall haben wir andere, auf die wir die Schuld schieben können, das ist doch klar.« Jetzt lächelte der Staatssekretär ganz verbindlich. »Auch das gehört zur Routine«, ergänzte er.

      »Zu eurer Routine«, entgegnete der Direktor. »Sind wir ansonsten am Ende? Ich habe leider noch ein paar Amtspflichten.«

      »Ja, für heute sind wir am Ende. Ich hoffe, es war das erste und das letzte Mal, daß wir über diese Operation reden müssen. Aber es war doch gemütlich, dein neues Büro zu sehen.«

      3

      Auf der Übersichtskarte von Kopenhagen und Umgebung ist das Dreieck zwischen Frederikssundsvej, Hulgårdsvej und der Schnellstraße Borups Allé kaum zu erkennen. Und doch haben hier wichtige kommunale und staatliche Institutionen ihren Sitz.

      Wer im Verborgenen lebt, lebt gut, sagt ein altes arabisches Sprichwort.

      Das Polizeirevier 3, eines der größten des Landes, ist in einem anonymen Bürogebäude untergebracht. Gebaut aus Betonelementen, die Fassade mit Strandkieseln verkleidet, wirkt der


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