Der radioaktive Mann. Søren Jakobsen
war, mit einigen durchzukommen. Nur das Hauptproblem war noch immer ungelöst.
»Wir brauchen bloß Einsicht in die Verhältnisse von 1400 Angestellten, ohne daß sie etwas davon merken.« Es klang so einfach, als John Møller das sagte, aber wie sollte man es machen? Bojskov mußte die Antwort haben, bevor er den Verlauf der Untersuchung überhaupt nur skizzieren konnte.
»Riskjær, natürlich!« entfuhr es ihm, und er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Sie mußte die Schlüsselperson sein. Gelang sein Plan, würde er unweigerlich einen Teil der Ehre mitabbekommen. Mißlang das Vorhaben allerdings, war die junge Polizeibevollmächtigte als Sündenbock reif.
Bojskov hatte beim PET viel gelernt – vor allem, sich vor Unannehmlichkeiten von oben abzusichern. Nun ging es nur noch darum, die Idee gut zu verpacken und John Møller zu verkaufen.
»Geheim ist sicher die unterste Stufe der Einordnung, die wir in diesem Fall anwenden können«, sagte John Møller und sah über seine Brille hinweg Bojskov an, der gerade seinen fertigen Plan dem stellvertretenden Chef präsentiert hatte. Das war nicht als Frage gemeint, das war eine Feststellung. John Møller fuhr daher auch unangefochten fort:
»Aber ich habe ein paar Fragen, bevor wir im Verfahren weitermachen. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich es war, der bei unserem ersten Gespräch Bente Riskjærs Namen ins Spiel brachte, aber an eine so aktive Rolle, wie sie hier vorgeschlagen wird, habe ich ehrlich gesagt nicht gedacht, zumindest nicht in der Anfangsphase. Faß das nicht von vornherein als Ablehnung auf, so ist es nicht gemeint. Ich würde nur gern eine gute Begründung dafür hören.«
Bojskov, der etwas leger in den Sessel gerutscht war, richtete sich auf und legte gleichzeitig seine Pfeife weg. »Sehr richtig, du warst es, der mich auf diesen Gedanken gebracht hat«, begann er. »Wir dürfen doch wegen dieser verfluchten Kameras und Monitore möglichst gar nicht in die Nähe des Außenministeriums kommen. Somit sind uns die primären Quellen verschlossen, wenn ich das mal so sagen darf. Aber ohne die CPR-Nummer3 sämtlicher Angestellter können wir unser Ziel nicht erreichen, und daran hat sich doch nichts geändert, oder?«
»Selbstverständlich nicht. Sonst hättest du es erfahren.«
»Dann dürfte die schmerzfreieste Methode darin bestehen, das Material aus der zentralen Lohnbuchhaltung der Verwaltung oder aber aus dem Steueramt zu holen. Wie du selbst gesehen hast, empfehle ich die letzte Möglichkeit, und genau hierzu brauche ich einen jungen Juristen. Den Namen können wir offenlassen. Ich glaube nämlich nicht, daß irgend jemand im Steueramt – gehen wir vom Steuerdirektorat des Staates aus – sich darüber wundern wird, wenn das Dezernat für Wirtschaftskriminalität darum bittet, einen jungen Bevollmächtigten schicken zu dürfen, damit der etwas über Steuertransaktionen lernen kann. Jeder Jurist weiß, daß gerade die Wirtschaftskripo äußerst schwach dasteht. Ja, die Kollegen im Steuerdirektorat haben vielleicht sogar ein bißchen Mitleid mit der Kleinen, die sich bei der Wirtschaft hat anstellen lassen.«
»Aber du hast mir weder beschrieben noch erzählt, wie Bente Riskjær in den Besitz der Namenslisten kommen soll. Das erfordert mehr als nur durch die Schwingtüren in den Steuerpalast zu treten«, wandte John Møller ein.
»Der Plan ist eine Zusammenfassung. Ich habe nicht damit gerechnet, daß du alle Details schwarz auf weiß willst.«
»Das ist auch nicht nötig, aber mündlich möchte ich die Löcher doch gestopft bekommen.«
»Meine Absicht ist«, erläuterte Bojskov, »Bente Riskjær ans Staatssteuerdirektorat zu versetzen, wenn sie mit einer Tarnfunktion bei der Wirtschaftskripo versehen ist. Im Steuerdirektorat bekommt sie einen Schreibtisch und ein Telefon, damit auch eventuelle Skeptiker herzlich willkommen sind, die ihre Identität checken möchten.«
»Aber bei den Namenslisten und CPR-Nummern sind wir immer noch nicht«, nölte John Møller.
»Das kommt. Ich spanne dich bloß auf die Folter, weil ich glaube, daß ich mir etwas ganz Raffiniertes ausgedacht habe. Jedes Jahr gibt es einige sogenannte Anmerkungen in dem Teil der Haushaltsvorlage, die das Außenministerium betrifft. Eine dieser Anmerkungen gibt dem Ministerium die Handhabe, für Bank- und Sparkassenkredite zu bürgen, wenn im Außendienst arbeitende Mitarbeiter zum Beispiel ein Auto kaufen. Früher war die Regelung noch vorteilhafter. Da vergab das Ministerium nämlich direkte Kredite, zu einem ziemlich niedrigen Zinssatz von sechs Prozent.
Bei einer Privatfirma hätte das Finanzamt vermutlich längst festgestellt, daß es sich hier um unzulässige Zuwendungen handelt, nur hat sich bisher niemand dafür interessiert, was im Außenministerium allgemeine Praxis ist. Hier kommt Bente Riskjær ins Spiel. Sie soll nämlich im Staatssteuerdirektorat bleiben, bis sie eine kleine Untersuchung angefangen hat.«
»Mein lieber Bojskov, hast du jemals was von Aktenzeichen gehört? Hast du daran gedacht, daß jeder Brief – ja, ab und an auch Telefonanrufe – im Staatssteuerdirektorat registriert werden? Deine Idee klingt mir ein wenig nach James Bond.«
»Ich bin über das System der Aktenzeichen orientiert. Mein Mittelsmann hat mir inzwischen aber auch erzählt, daß es so etwas wie Zuwendungen unter der Hand gibt, und daß dieser Verkehr recht bedeutend sei.«
»Ja und?«
»Damit bin ich, mit Verlaub, bei meiner Pointe. Bente Riskjær soll ans Telefon gehen und einem Kollegen der staatlichen Gehaltsstelle von der traurigen Geschichte erzählen, die sich da anbahnt, gemeint ist die Untersuchung der unzulässigen Zuwendungen im Außenministerium. Sie soll fragen, ob sie unter der Hand eine Abschrift aller Lohnstreifen haben kann – im Vertrauen gesagt –, weil es sich erst einmal um einleitende, inoffizielle Stichproben handelt. Hoffentlich fällt das alles auf fruchtbaren Boden, denn Staatsinstitutionen jagen einander gewöhnlich ja nicht, jedenfalls nicht so.«
»Ob das funktioniert?«
»Ich bin überzeugt davon. Bente Riskjær hinterläßt ihre Telefonnummer im Staatssteuerdirektorat, falls der Kollege bei der Gehaltsstelle Zweifel bekommt.«
»Aber es braucht eine verdammt lange Zeit, diese Kulisse aufzubauen.«
»Ich denke mir, daß wir auf zwei Ebenen arbeiten sollten. Während Bente Riskjær im Finanzamt sitzt, arbeiten wir mit den Personen, die wir als offene Kanäle finden können.
Das sind gar nicht mal so wenige. Ein großer Teil ist im Hofund Staatskalender verzeichnet, in anderen Fällen müssen wir – nur ausnahmsweise – unsere Informationen im Ausland holen.«
»Über Reisen sprechen wir im Einzelfall. Das Reisekonto platzt nicht gerade in diesen Zeiten. Allgemein gilt, daß wir engen Kontakt halten. Ich denke insbesondere an Riskjær – und zu meiner Überraschung stehe ich selbst auf der Besetzungsliste. Du nimmst dir ziemlich viel heraus, was, Bojskov?«
»Ich habe mir gedacht, daß Riskjærs Transit über die Wirtschaftskripo zum Finanzamt auf Chefebene laufen muß. Anders wird das kaum klappen.«
»Nein, nein. Ich werde jetzt in aller Ruhe alle Aspekte deines Plans überdenken, und dann kriegst du eine Rückmeldung. Bevor du gehst, da ist noch eine Sache, die ich gern wissen möchte. Was hat dich eigentlich zu dem Codewort ›Operation Schuhmacher‹ gebracht? Man muß doch inzwischen fast ein Paar Schuhe ablaufen, bevor man überhaupt jemanden findet, der noch Schuhe besohlt oder flickt.«
»Es ist ausgezeichnet, daß dich das Codewort verwirrt. In Anbetracht der Empfindlichkeit der Aufgabe fand ich es nur angemessen, eine Bezeichnung zu finden, die nicht die geringste Beziehung zu dem hat, was wir vorhaben. Aber dir gegenüber will ich doch gern zugeben, daß ich an die Seeskorpione im Teich am Asiatisk Plads gedacht habe.«
»Bei uns hießen die Kopenhagener. Ich habe als Junge auch geangelt.« John Møllers Gedanken gingen einen kurzen Moment zurück an das Bollwerk in Nykøbing Falster, wo er als Junge mit einem Stock gefischt hatte. Dann stieß er hervor:
»Verflucht nochmal, du bist gerissen, Bojskov.«
»Woran denkst du im einzelnen, Meister?«
»Ich denke daran, daß die Stachel der männlichen Skorpione in der Paarungszeit