Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
fehlende Nervenstück ersetzt?«, dachte er laut nach.
»Ganz genau.« Dr. Kohler drehte sich zu seinem Chef um. Er brauchte die Akte nicht mehr. Das Erlebte war wieder präsent, als hätte die Operation gerade erst stattgefunden. »Das könnte in Ihrem Fall auch klappen. Allerdings müssen Sie daran denken, dass nach einer Nerventransplantation eine Ruhigstellung erforderlich ist.«
Daniel wusste, was der Chef der Orthopädie meinte.
»Die Platten müssen zunächst an Ort und Stelle verbleiben.«
Kohler nickte.
»Auch dann, wenn der Patient Probleme damit haben sollte. Andernfalls ist der Behandlungserfolg zweifelhaft. Das ist die Kehrseite der Medaille.« Er verschränkte die Finger ineinander und sah seinen Chef von unten herauf an. »Bei unserem Patienten ist es damals gut gegangen. Aber ein Restrisiko bleibt natürlich.«
Dr. Norden wiegte den Kopf.
»Gibt es irgendeine Alternative?«
»Nein. Bisher nicht. Meiner Ansicht nach ist die Nerventransplantation die Therapie der Wahl.« Dr. Kohler zwinkerte Daniel zu. »Wie sagt man so schön auf neudeutsch: No risk, no fun!«
Diese Bemerkung gab den Ausschlag.
»Dann bitte ich Sie, Risiko und Spaß mit mir zu teilen und mich bei dem Eingriff zu unterstützten. Heute um elf?«
»Ich werde da sein.«
*
»Fahr doch nicht so schnell!« Der bunte Schal wehte hinter Deniz Aydin her. Obwohl er zwei gesunde Beine hatte, fiel es ihm schwer, seinen Bruder einzuholen.
Milan dachte nicht daran, das Tempo zu drosseln.
»Weniger rauchen und mehr Sport«, rief er über die Schulter. »Außerdem bist du selber schuld. Warum hast du auch meinen Radiowecker ausgestellt?«
»Weil sich die elektrische Strahlung ungünstig auf die Libido auswirkt.«
Trotz allem musste Milan lachen.
»Davon habe ich bisher nichts gemerkt.«
Die Glastüren schoben sich vor ihm auf. Eine Mischung aus Desinfektionsmittel, Milchkaffee und Orangenduft hieß ihn willkommen. Stimmen, Schritte, hier und da ein Lachen verschmolzen zu einem geschäftigen Summen, das ihn an einen Bienenstock erinnerte. Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Hier fühlte er sich sicher. Zumindest sicherer als derzeit in seiner eigenen Wohnung.
Er grüßte nach links und rechts, während er den Rollstuhl Richtung Aufzug bugsierte. Doch alles Ignorieren half nichts.
»Warum verfolgst du mich eigentlich auf Schritt und Tritt?«, fragte er, während er vor der silberfarbenen Tür wartete. »Wolltest du dir nicht das Winter-Tollwood ansehen?«
»Das öffnet erst um 14 Uhr.« Deniz stand hinter dem Rollstuhl und fächelte sich Luft zu.
»Aha.« Die Aufzugtüren öffneten und schlossen sich wieder. Milan stand immer noch davor. Eine Idee hatte ihn aufgehalten. »Übrigens treffe ich mich heute Abend mit Silvie. Du musst nicht auf mich warten.«
»Kein Problem. Ich brauche keinen Babysitter.«
»Hoffentlich auch keine Babysitterin. Und schon gar keine aus der Klinik.« Ein warnender Unterton schwang in Milans Stimme.
Deniz beugte sich vor und drückte auf die Taste mit dem Pfeil nach oben. Surrend schoben sich die Türen wieder auf.
»Hattest du es nicht eilig?« Er packte die Griffe des Rollstuhls und schob seinen Bruder hinein.
Mit einem Satz war er wieder draußen und winkte, bis Milan hinter dem Silbervorhang verschwand. Ein Rumpeln, und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Darauf hatte Deniz nur gewartet! Mit wenigen großen Schritten eilte er an den Tresen, der wie eine Insel mitten in der Lobby schwamm.
»Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo ich die schöne Helena … ich meine, die Pflegedienstleitung finde?«
*
Elena war nicht allein mit ihren Schlafproblemen. Auch Moritz Loibl hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Genauso fühlte er sich, als es an seiner Tür klopfte. Er hoffte auf eine Schwester, die er um ein Mittel gegen die quälenden Gedanken bitten wollte. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht.
»Hey, altes Haus! Beck hat erzählt, dass die OP nicht geklappt hat. Was machst du nur für Sachen?« Vincents Stimme ließ die Wände wackeln.
Vince! Ausgerechnet! Moritz hielt sich die Ohren zu. Er presste die Lippen aufeinander.
»Lass mich raten!«, fuhr sein bester Freund fort. »Du hast Muffensausen vor der Hochzeit und willst dich drücken.«
»O Mann, Vince, musst du immer so brüllen?«, tadelte Rebecca, die ihren Bräutigam begleitete. »Wir sind alle nicht schwerhörig.«
»Du klingst wie ein zänkisches Eheweib«, konterte Vince und bog sich vor Lachen.
Rebecca trat an Moritz’ Bett.
»Wie geht’s dir?« Im Gegensatz zu ihrem Bräutigam flüsterte sie.
»So ähnlich, wie ich aussehe.«
Sie nickte.
»Dachte ich mir.«
Vincent wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Er trat an die andere Bettseite.
»Tut mir echt leid, dass du jetzt doch nicht mein Trauzeuge sein kannst.«
Moritz biss sich auf die Unterlippe.
»Wer übernimmt meinen Job?«
»Joe. Aber du bist und bleibst mein bester Freund. Das ist doch klar«, versicherte Vincent. »Und die Feier holen wir einfach nach, wenn du wieder gesund bist. Welches Paar hat schon zwei Hochzeitsfeiern? Nicht wahr, Schatz?« Er streckte die Hände nach Rebecca aus. Wollte sie übers Bett ziehen, um sie zu küssen. Aber was war das? »Komm schon! Du bist doch sonst nicht so schüchtern.«
Rebecca schluckte. Sah ihrem Zukünftigen in die Augen.
»Ich bin schwanger.«
Moritz’ Herz setzte aus, um mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Ruhig atmen!, mahnte er sich. Genauso, wie Dr. Norden es ihm gezeigt hatte.
Vincent dagegen starrte seine Braut an. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich seine Mundwinkel ein paar Millimeter nach oben bewegten.
»Wie kann das sein? Ich meine, wir haben in letzter Zeit doch gar nicht … du weißt schon.« Ein schneller Blick zu Moritz. »Du hast doch gesagt, du hättest Blasenentzündung. Deshalb wolltest du nicht.«
Rebecca starrte auf die Wasserflasche auf dem Nachttisch. Ihre Kehle war so trocken, dass sie sie am liebsten in einem Zug geleert hätte. Doch das musste warten.
»Ich habe mich geirrt«, krächzte sie. »Keine Blasenentzündung. Das war nur die Hormonumstellung.«
»Oh, okay.« Vincent rieb die Handflächen an der Jeans. »Ehrlich gesagt kommt das ein bisschen plötzlich.« Ein verlegenes Lachen. »Wir hatten doch ausgemacht, dass wir das Leben erst einmal ein bisschen genießen wollen, bevor wir über unsere Reproduktion nachdenken. Wenn überhaupt.«
Das war der Moment. Jetzt oder nie. Rebecca nahm allen Mut zusammen.
»Du bist nicht der Vater. Das Kind ist von Moritz.«
Die folgende Stille war ohrenbetäubend.
»Du machst Witze«, sagte Vincent irgendwann. Er lachte verlegen. »Nicht wahr, das ist ein Witz.« Sein Blick flog zu seinem besten Freund. »Das habt ihr euch ausgedacht! Für den verpatzten Junggesellenabschied. Genau! So muss es sein.«
»Nein.« Langsam schüttelte Moritz den Kopf. »Becky … ich meine … Rebecca hat recht. Ich bin der Vater.« Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar. »Vince, wir …«
»Halt