Die Eisfrau. Axel Rudolph

Die Eisfrau - Axel Rudolph


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      Axel Rudolph

      Die Eisfrau

      Ein Polar-Roman

      Saga

      1. Kapitel.

      Über der Arktis summt und brummt ein Luftschiff. Sein Schatten zeichnet sich deutlich ab auf den endlosen Eisflächen, die unter den Fenstern der Passagierräume vorbeiziehen.

      In der Führergondel wendet der Funker den Kopf und sieht den Kapitän fragend an.

      „Die Stationen senden nicht mehr.“

      Kapitän Fechter gibt dem neben ihm stehenden ersten Offizier einen kurzen Wink. Der Erste tritt an die Karte und mißt, legt dann die Hand an die Mütze.

      „In Ordnung, Herr Kap’tän. Wir sind in der stummen Zone.“

      „Den letzten Wetterbericht!“ Kapitän Fechter nickt ruhig zu der Meldung, die er nicht anders erwartet hat und studiert den letzten Funkspruch der Wetterwarte von Godthaab, den der Erste ihm reicht.

      Der Funker tastet noch immer verwundert an seiner Apparatur herum, um womöglich eine Störung zu entdecken. Er fährt zum ersten Male auf der nördlichen Route und kennt noch nicht die „Zone des Schweigens“, die den Offizieren nur allzu gut bekannt ist, dieses „Loch im Äther“, das sich gürtelbreit über viele Meilen erstreckt. Für die Passagiere ändert sich nichts, sie merken nichts von der Zone des Schweigens, denn das Luftschiff gleitet ruhig und unverändert weiter seine Bahn. Die Menschen im Führerstand aber haben jedesmal das Gefühl, als ob das Schiff ins Nirwana tauche. Die Stimmen der Welt schweigen plötzlich. Das Knacken und Summen im Empfänger hört auf, der Morseschreiber tickt nicht mehr. Stille, lastendes, unheimliches Schweigen. Die Welt ist plötzlich versunken. Man kann weder senden noch empfangen in dieser Zone, wo alle Wellen durch physikalische Gesetze außer Kraft gesetzt sind.

      Das ist die Stunde, in der Kapitän Fechter und Marius Holk, sein erster Offizier jedesmal die eisige Totenmacht der Arktis in den Gliedern fühlen.

      Denn sonst hat die Arktis ihre Schrecken verloren. Für den Erdenmenschen zwar sind diese Eiswüsten immer noch unheimlich und gefahrdrohend, für den Mann, der mit Hundeschlitten in sie einzudringen versucht, ein Pünktchen in der Unendlichkeit des Nordlandes, für das Schiff, das zwischen knirschenden Schollen eingeklemmt, jeden Augenblick zerdrückt werden kann, wie eine Laus zwischen den Fingern.

      Der Luftfahrer aber schwebt erhaben über der Eiswüste, den tief unten lauernden Gefahren entzogen. Für ihn ist die Arktis ein Ausflugsgebiet geworden, eine Sensation, die man vom sicheren Port, das heißt vom bequemen Korbsessel der Passagierkabinen aus genießt. Man sieht nur das Gigantische, das Wildgewaltige der Natur und braucht sich nicht um die Gefahr zu kümmern, die da unten in ihr schlummern. Die Stewards servieren den Kaffee und den Tee, die elektrische Heizanlagen verbreiten wohlige Wärme, und wenn sich Wolkenmassen heranballen oder Böen aufspringen, nun, dann ändert der Kapitän den Kurs oder läßt das Schiff ein paar hundert Meter höher steigen, bis man dem Wetter entronnen ist.

      Hier, in der Zone des Schweigens aber, empfinden die Offiziere jedesmal den Schauer der Arktis: das Schweigen. Es ist, als ob selbst das Brummen der Propeller hier um einen Ton dunkler und drohender geworden sei. Die Gedanken kreisen eigensinnig um bange drückende Vorstellungen. Wenn eine Bö hier das Schiff niederdrückt, wenn ein plötzlicher ernsthafter Motorschaden zwingt, hier in der Eiswüste niederzugehen! Hier, wo das Schweigen des Todes herrscht, wo man keine Nachricht geben, keine Hilfe herbeirufen kann! Dann ist man trotz aller wundersamen technischen Hilfsmittel, mit denen der moderne Luftriese ausgestattet ist, genau so einsam und arm, wie die Polarfahrer früherer Zeiten, die da unten — ein armseliges Nichts in der endlosen Weite — mit der Arktis um ihr Leben rangen; abgeschnitten von der Welt, umschlossen von Eis und Schweigen.

      Die Augen der Offiziere im Führerstand werden dann gespenstisch wach, die Nerven spannen sich. Erst wenn dann die wiederaufspringenden Stimmen der Welt im Empfänger anzeigen, daß man den toten Gürtel passiert hat, zieht die Gelassenheit wieder ein in diese Männer, die für Schiff und Passagiere die Verantwortung tragen.

      „Ablösung!“ Der kleine, geschmeidige zweite Offizier erscheint frisch gewaschen und gestriegelt im Führerstand und wechselt mit dem abzulösenden Ersten den üblichen, militärisch knappen Gruß.

      Käpitän Fechter nickt und reicht den Wetterbericht seinem Ersten zurück. „Wir wollen hier, in der stillen Zone, lieber das östlich stehende Tief umgehen und einen Bogen nach Norden machen. Den Passagieren kann’s egal sein. Die Aussicht auf die Arktis ist überall gleich gewaltig.“

      Der Kapitän gibt die nötigen Befehle, die sofort den Riesenleib des Luftschiffes den gewünschten Bogen beschreiben lassen und wendet sich dann noch einmal flüchtig an den Ersten, der sich zum Gehen anschickt: „Kümmern Sie sich bitte mal ’n bißchen um die Unterhaltung unserer Passagiere, lieber Holk, solange der Lautsprecher außer Kraft ist.“

      „Jawohl, Herr Kap’tän!“ Holk geht den verdeckten Laufsteg entlang zur Passagiergondel. Der zweite Offizier hat bereits seinen Dienst übernommen. Und auch Kapitän Fechter blickt gespannt gradeaus in das Luftmeer, das die „Z 151“ in ruhiger Fahrt durchschneidet.

      „Sehen Sie mal! Da unten! Der Eisberg! Sieht das nicht genau aus wie ein Frauengesicht?“

      Einer der Passagiere deutet mit der Hand hinunter auf die stummen, eiskalten Weiten, die da unten vorüberziehen. Sein Nachbar erhebt sich halb aus dem Liegestuhl.

      „Allerdings! Ganz wie ein riesiger Kopf.“

      „Ist auch ein Frauengesicht, meine Herren,“ sagt verbindlich lächelnd der Erste, der am Nebenfenster im Gespräch mit einer Dame steht. „Was Sie da unten sehen, ist kein Spiel der Natur. Der verstorbene grönländische Bildhauer Arnaluk hat vor Jahren mit unendlicher Geduld und Mühe dieses Frauenantlitz in seinen gigantischen Ausmaßen hier aus dem Eis herausgehauen. Da steht es nun für alle Zeit, denn dieses Festlandeis hier schmilzt nie. Wir nennen das Denkmal: die Eisfrau.

      Das Lächeln ist dabei aus dem Gesicht Marius Holks verschwunden. Ernst hebt er die Hand an seinen Mützenschirm und grüßt mit stummem Gruß das Bild da unten, dessen Konturen jetzt rasch deutlicher werden.

      Die Passagiere drängen sich neugierig an die Fenster der Steuerbordseite. Ja, dort tief unten, mitten in der unendlichen Einsamkeit vereister Hochplateaus hat eine Künstlerhand das Profil eines Frauenantlitzes in wunderbar reinen, herben Linien im Eis geschaffen, so gewaltig groß, daß es selbst von hier aus, in sechzehnhundert Meter Höhe, deutlich zu erkennen ist.

      Die schwatzenden Stimmen der Passagiere verstummen unwillkürlich. Es geht etwas Sonderbares aus von diesem gigantischen Bild da unten in der Einsamkeit. Ewigkeitsgedanken weckt dies ernste herbe Profil in seiner strengen Erhabenheit.

      „Man müßte jetzt Beethoven spielen,“ sagt leise ein Passagier mit durchgeistigtem Musikergesicht und hört in seinen Ohren die Akkorde der „Eroika“. Die Dame, die eben noch den ersten Offizier mit neugierigen Fragen über Eisbären und Walfische geplagt hat, starrt wie gebannt auf das Eisbild, über das jetzt schleiergleich der Schatten des Luftschiffes dahinstreicht und bewegt leise die Lippen. „Wächter des Todes.“

      „Der Bildhauer Arnaluk?“ wendet sich ein älterer Herr an Marius Holk. „Ah! Dann sind wir über der Stelle, wo die Thornberg-Expedition ihren Untergang fand?“

      Marius Holk nickt. „Ja, da unten war’s, Herr Geheimrat.“

      „Interessant. Und sagen Sie: Wissen Sie eigentlich etwas Näheres über diese Katastrophe?“

      Der Erste macht eine leichte Verbeugung. „Die aufgefundenen Tagebücher Thornbergs im Verein mit den Aufzeichnungen des Bildhauers Arnaluk ermöglichen uns eine sehr genaue Rekonstruktion nicht nur der Katastrophe, die sich hier abgespielt hat, sondern auch ihrer ganzen Vorgeschichte.“

      „Ach, bitte! Erzählen Sie doch!“

      Die Passagiere ziehen ihre Stühle heran und gruppieren sich erwartungsvoll um den ersten Offizier. Eine Dame schiebt ihm sogar eifrig selber einen bequemen Sessel hin.

      „Gern, meine Herrschaften.“ Marius Holk wirft noch einen nachdenklichen


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