Die Eisfrau. Axel Rudolph

Die Eisfrau - Axel Rudolph


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Ball. Verschwunden hinter Nebeln das schillernde Sonnenland am Nil. Nur noch die Arktis war da, das grünlich schimmernde unbarmherzige Eis, die weißen Weiten der Schneefelder, der klirrende Frost, die bleischwer lastende Decke des Nordlandhimmels. Und durch die schweigende Schneeeinsamkeit schritt in ihrem leichten rohseidenen Kleid unberührt und hocherhobenen Hauptes Frau Britta Kreß — die Eisfrau.

      Frau Kreß war inzwischen am Hoteleingang angelangt. Die schwingende Windfangtür warf ein Blitzen hinter ihr her. Die verkrampfte Starrheit in Erich Thornbergs Gesicht löste sich. Die Schneefelder der Arktis schmolzen dahin. Auf einmal war wieder die Umwelt da: Kairo, die Sonnenglut, die Palmen, die plaudernden, lachenden, flirtenden Menschen. Die Geigen schwangen sehnsuchtsbang. Am Nebentisch summten ein paar junge Damen den Refrain mit:

      „Leicht wie die Feder,

      Schlank wie die Zeder,

      Kühl wie der Schnee vom Libanon.“

      3. Kapitel.

      In dem Hotel-Appartement des ersten Stockes, das Frau Britta Kreß betrat, saß ein gebrochener Mann.

      Geheimrat Kreß lehnte müde in seinem Schreibtischstuhl, und seine Augen sahen glanzlos, tief in den Höhlen liegend, der Eintretenden entgegen. Seine über die Stuhllehne schlaff herabhängende Rechte hielt ein zerknittertes Telegrammformular, dessen Umschlag zerfetzt auf dem Teppich lag.

      Frau Britta erschrak. Sie war es gewohnt in der letzten Zeit, daß Kreß schwere Sorgenfalten auf der Stirn trug, aber so zerfallen und verstört hatte sein Gesicht noch nie ausgesehen. Befremdet trat sie an den Schreibtisch heran und berührte leicht seine Schulter.

      „Was hast du, Konrad?“

      Der Geheimrat hielt seiner Frau das Telegrammformular hin. „Es ist aus, Britta. Die Banken sperren die Kredite. Morgen muß ich —“ er zögerte eine Sekunde und netzte sich die trockenen Lippen; es war unsagbar bitter, das Wort auszusprechen, — „morgen muß ich in Konkurs gehen.“

      Frau Britta hatte sich in einen Sessel gesetzt und aufmerksam die Depesche durchgelesen. Jetzt legte sie das Blatt mit einer stillen Bewegung auf den Schreibtisch. Ihre Augen liefen ruhig über die Gestalt des Mannes, der, die Hände auf die Stuhllehne gestützt, mit gesenktem Kopf vor ihr saß. Schmal und wohlgeformt waren diese Männerhände. Und einen guten Kopf hatte er schon, der Geheimrat Konrad Kreß. Der Kopf eines Geschäfts-Gentleman, gute, alte Rasse, geistvoll, distinguiert, eben wie ein Mann auszusehen hatte, der über Millionen gebot. Auch jetzt noch, wo die Falten um Nasenflügel und Mundwinkel scharf geworden, die Augen übernächtigt und eingefallen waren, verleugnete dieser Kopf nicht seine Würde und Vornehmheit.

      „Es gibt also keine Möglichkeit mehr, Konrad?“

      Geheimrat Kreß hob langsam den Kopf. „Keine. Außer einer einzigen, Britta.“ Wieder wandte der Mann die Augen ab und zögerte. Es war so schwer, so unsagbar schwer, das auszusprechen, was doch die einzige Hoffnung auf Rettung blieb.

      „Nun, und die ist?“

      Mit schwerem Entschluß hoben sich wieder die Augen des Mannes. Ein demütiges Flehen lag plötzlich in ihnen.

      „Die einzige Möglichkeit besteht darin, daß du dein Vermögen in die Kreß-Werke steckst, Britta!“

      Stille lag über dem Zimmer. Durch die herabgelassenen Jalousien stachen die spitzen Lanzen der ägyptischen Sonne. Frau Britta hatte das Kinn in die Hand gestützt und dachte angestrengt nach. Wie aus weiter Ferne kam die halblaute Stimme des Mannes. Er sprach von dem Schmerz, sein Lebenswerk aufgeben zu müssen, von den brotlos werdenden Arbeitern, von seinem Ruin als Geschäftsmann. Freundlich, aber ohne innere Anteilnahme hörte sie ihm zu, schüttelte dann ruhig den Kopf.

      „Nein, Konrad. Soweit ich die Lage übersehen kann, sind die Kreß-Werke auch nicht mehr durch mein Vermögen zu sanieren. Du kannst deshalb nicht verlangen, daß ich mein Geld in deinen Untergang mit hineinziehen lasse.“

      Nicht verlangen — nicht verlangen — hämmerte es im Gehirn des Mannes. Nein, zu verlangen hatte er nichts. Sie lebten von jeher in Gütertrennung, wie es sich für vorsichtige Leute schickte. Mit welchem Recht bat er sie überhaupt? Hatte er sich etwa für diese Frau ruiniert? Pah! Sie war reich und unabhängig gewesen, als er sie heiratete. Sie hatte nie finanzielle Opfer von ihm verlangt. Sie würde ihn, den Menschen Konrad Kreß, auch jetzt nicht im Stich lassen. Oh, er wußte es genau: Britta würde auch jetzt, wo er keinen Pfennig mehr besaß, weiter wie bisher neben ihm durchs Leben gehen, ruhig, kühl, selbstsicher. Was wollte man mehr? Und doch wäre es schön gewesen. — Und das Geschäft! Die Arbeiter! Die Werke! — Einen Augenblick war Konrad Kreß in Versuchung, ein sentimentales Wort auszusprechen, an die Tage ihrer Brautzeit, an die ersten Ehemonate zu erinnern. Das Wort „Liebe“ lag ihm auf der Zunge. Er blickte in die kühlen Augen seiner Frau und sprach es nicht aus. Ihm ekelte plötzlich davor. Es war geschmacklos, von etwas zu sprechen, das eigentlich selbstverständlich war unter zwei Menschen, die eine Ehe führten. Nein, es ging nicht! In ratlos dumpfer Verzweiflung fühlte Konrad Kreß plötzlich, daß diese ganzen Jahre an Brittas Seite eine Lüge gewesen waren, daß es nichts gab, was diese Frau innerlich an ihn band.

      „Das Unabänderliche muß man tragen, Konrad.“ Frau Britta stand langsam auf und spielte mit einem Briefbeschwerer, der auf dem Schreibtisch lag. „Ich kann dir nicht helfen.“

      „Aber ich bin doch nicht schuld!“ Konrad Kreß’ Gesicht lief plötzlich rot an vor Erregung. „Hab’ ich spekuliert? Verschwendet? Die Geldnot, die Verhältnisse, die Wirtschaftskrise ...“

      „Gewiß, Konrad.“ Frau Britta senkte beistimmend den blonden Kopf. „Du trägst keine Schuld. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Die Kreß-Werke sind verloren, und es hat keinen Sinn, mein Vermögen in eine verlorene Sache zu stecken.“

      Es lag nichts Unfreundliches in ihrem Ton, nur Kühle, besonnene Überlegung, kalte Bestimmtheit.

      „Sprechen wir vorläufig nicht mehr davon. Du bist zu erregt.“ Sie strich leise und oberflächlich noch einmal mit ihrer schmalen Hand über den gesenkten grauen Scheitel des Mannes, nickte ihm zu und ging quer durch das Zimmer zu der Verbindungstür, die hinüber in ihr eigenes Zimmer führte.

      „Britta!“ Konrad Kreß wollte aufspringen, ihr nacheilen, sie noch einmal anflehen. Aller Stolz war plötzlich zusammengebrochen. Sie mußte helfen! Die Werke! Die Arbeiter! Mit zitternden Knien fuhr er aus seinem Sessel auf. Die Hitze, die ungeheure Erregung, die Verzweiflung — es war zuviel. Mit einem jähen Stöhnen sank Geheimrat Kreß in den Sessel zurück. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht.

      Die Frau hörte, schon an der Tür, hinter sich den gebrochenen Laut und wandte sich unwillkürlich um. Ihr Blick traf das fahle, starre Gesicht drüben im Sessel. Mit ein paar raschen Schritten war sie bei ihm.

      „Konrad?“

      Einen Augenblick hob sie mit beiden Händen den leblosen Kopf empor, ließ ihn dann behutsam wieder sinken, ging zur Tür und drückte zweimal scharf auf den Klingelknopf. Die Sonnenspitzen vom Fenster her leckten über ihr blondes Wellenhaar. Unten spielte schmachtend, lockend die Musik.

      Ein brauner Boy stand in der Tür und starrte mit erschrockenen Augen auf den regungslosen Mann im Schreibtischsessel. Frau Britta machte eine kurze, befehlende Handbewegung. Ihre Stimme klang ruhig und kühl wie immer:

      „Einen Arzt, bitte! Sofort!“

      Auch heute spielte die Musik auf der Hotelterrasse. Seit gestern war der Tod im Haus, aber davon brauchten die Gäste nichts zu wissen. Manager und Hotelpersonal hatten ihr Möglichstes getan, den Trauerfall geheimzuhalten. Es war kein behagliches Gefühl, eine Leiche im Haus zu wissen, und die Gäste sollten sich in Shepheards Hotel behaglich fühlen.

      Nur an dem „Deutschen Stammtisch“ war die laute Fröhlichkeit seit gestern verschwunden. Einige der Herren kannten Kreß persönlich. Aber auch die andern fühlten aufrichtige Trauer. Jedermann wußte, wer Konrad Kreß war. Ein Ehrenmann, ein tüchtiger Kerl. Wenn auch seine Aktien jetzt faul standen, — lieber Gott, das konnte dem


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