Die Eisfrau. Axel Rudolph

Die Eisfrau - Axel Rudolph


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schien so, gnädige Frau. Jedenfalls erhielt ich in Neapel, wo ich mich gerade aufhielt, einen Brief des Herrn Geheimrats, in dem er mir eine Unterredung hier in Kairo vorschlug.“

      „Gut.“ Frau Britta nahm eine kleines, ledergebundenes Buch von ihrem Schreibtisch und reichte es Thornberg. „Schreiben Sie mir Ihre Berliner Adresse hier in mein Merkbuch. Ich werde mich, sobald ich daheim bin, über die Sache informieren. Sie hören dann von mir.“

      Erich Thornberg stand, etwas benommen, wieder auf dem Hotelflur. Seine Gedanken waren so intensiv bei der Polarexpedition und der schönen gelassenen Frau da drinnen, daß er den Bankier Friedenauer gar nicht bemerkte, der eben aus dem Fahrstuhl stieg. Wohl aber erspähten Friedenauers flinke Wieselaugen den Forscher, und er ging rasch den entgegengesetzten Seitengang entlang, jedoch nur, um gleich wieder umzukehren, als Thornberg im Lift verschwunden war.

      Nachdenklich bummelte der Bankier den Flur entlang, der zu Frau Brittas Zimmer führte. Friedenauer war nicht nur eine Nummer in seinem Fach, er hatte auch ein Herz hinter seinen Fettpolstern. Die Herren unten hatten schon recht: Es war wirklich nicht passend, Frau Kreß jetzt mit Geschäften zu behelligen. Aber wenn sie es selbst tat? Wenn es sie nicht störte, warum sollte es dann ihn stören? Und er hätte gar zu gern gewußt, ob Frau Kreß irgend etwas Positives mit dem Thornberg vereinbart hatte oder nicht.

      Er hielt einen vorüberkommenden Boy an und ließ sich melden. Er wurde ohne weiteres angenommen und begann gleich von der Sache Thornberg zu sprechen. Eine gute Sache, ein vorzügliches Geschäft. Nur, daß ein bißchen Unternehmungsgeist dazu gehörte.

      Frau Britta ließ ihn aussprechen, blieb aber kühl.

      „Sie sind also der Ansicht, Herr Friedenauer, daß die Kohlenfelder, von denen Herr Thornberg mit mir sprach, wirklich vorhanden sind?“

      „Ohne Zweifel, gnädige Frau. Die Gutachten der Sachverständigen über die Ergebnisse der Forschung sind einwandfrei. Ich kenne sie alle. Wenn Sie die Sache mit Thornberg machen wollen, ich wäre nicht abgeneigt, mich finanziell daran zu beteiligen.“

      „Sehr liebenswürdig.“ Frau Britta hob leicht die Schultern. „Aber ich glaube kaum, daß ich mich für diese Angelegenheit interessieren werde. Sie ist mir ein bißchen zu abenteuerlich.“

      Friedenauers kluge Augen wurden schmal. Er schwenkte augenblicklich um. „Natürlich, gnädige Frau. Es liegt ja etwas abseits von unseren Geschäften, und ein Risiko ist es ja immerhin.“ Dabei dachte er befriedigt: Sie hat nicht angebissen. Ich werde das Geschäft mit Thornberg allein machen können. Das ist noch besser.

      5. Kapitel.

      Erich Thornberg wohnte mit seiner jungen Frau im Westen Berlins. In einem der ruhigen vornehmen Häuser in der Nähe der Corneliusbrücke. Er hatte als Polarforscher keine Schätze sammeln können. Er besaß kein Auto, und sein Bankkonto war schmal genug. Aber ein Heim besaß er. Es gab keine Perserteppiche darin und keine Van Goghs. Es war auch nicht übermäßig groß. Aber es besaß in seiner ganzen Einrichtung die stille gediegene Vornehmheit eines alten kultivierten Hauses. Die Möbel, die wenigen Gemälde, der Bechsteinflügel stammten noch von Großvater und Urgroßvater her, mit Liebe im Laufe der Jahrzehnte gesammelt. Und Frau Ingeborg hatte durch allerlei mit sicherem Geschmack ausgesuchte Neuanschaffungen eine neue, helle Note in den alten Haushalt gebracht.

      Die Thornbergs lebten sehr zurückgezogen. Eigentlich waren es nur zwei Gäste, die regelmäßig ihr Heim besuchten und die auch stillschweigend und selbstverständlich als dazu gehörend betrachtet wurden: Thornbergs Vater, der Professor und Kustos am Staatlichen Museum, und der junge Arnaluk.

      Arnaluk gehörte zu Thornberg wie das Eis zur Arktis gehörte. Er war Grönländer. Seine Mutter war gestorben, als er 18 Jahre alt war und noch in Tassinork Kajak- und Renntierbilder in die Messerscheiden schnitzte. Der dänische Professor Wesenberg, der seit Jahren regelmäßig mit der „Hans Egede“ Grönland besuchte, hatte ihn damals mit nach Kopenhagen genommen. Arnaluks Gestalt und Züge hatten nichts Grönländisches. Sein ovales, hageres Gesicht, sein flachsblondes, langsträhniges Haar, seine großen, hellblauen Augen und seine hochgewachsene Gestalt trugen alle Merkmale einer germanischen Rasse. Wer’s nicht besser wußte, hielt ihn für einen Dänen oder Norweger, und Erich Thornberg sagte manchmal, wenn er den langen blonden Jungen und seine kleine blonde Frau beisammen sah, lächelnd, Ingeborg hätte eigentlich Arnaluk heiraten sollen, ein Scherz, über den Arnaluk und Ingeborg jedesmal in herzliches Gelächter ausbrachen.

      Nun, auch Professor Wesenberg ruhte längst auf dem Vester-Friedhof in Kopenhagen. Arnaluk hatte die Schule in Kopenhagen besucht und war dann nach Deutschland gegangen. In Berlin hatte er Unterricht bei einem Bildhauer genommen, und sein Talent hatte sich rasch entwickelt. Er hatte mehrere beachtenswerte Arbeiten ausgestellt und verkauft, und es gab in Fachkreisen Leute, die ernstlich mit dem jungen Grönländer rechneten.

      Er fühlte sich wohl in Berlin, aber die Sehnsucht nach Mitternachtssonne und Nordlicht war in ihm lebendig geblieben. Als Erich Thornberg vor vier Jahren seine erste Polarexpedition ausrüstete, war der junge Bildhauer eines Tages bei ihm erschienen und hatte ihn flehentlich gebeten, mitmachen zu dürfen. Und seither hatte Arnaluk Erich Thornberg auf jeder Fahrt begleitet. Er war einfach unentbehrlich geworden. Er sprach grönländisch, war der beste Hundeschlittenführer, den man sich denken konnte, der schnellste Kajakfahrer. Er kannte die Arktis, ihre Gefahren und Tücken, und er störte nie, denn er liebte die gewaltige Stille der Arktis. Das Letztere war es wohl gewesen, was ihn mit Thornberg so innig verbunden hatte.

      Als Erich Thornberg vor zwei Jahren Ingeborg geheiratet hatte, die Tochter des kleinen Rostocker Reeders, der ihm das erste Schiff zur Nordlandfahrt anvertraut hatte, da hatte Arnaluk als Trauzeuge am Altar gestanden. Und als Frau Ingeborg ein Jahr später am Grabe ihres Vaters stand, da stand Arnaluk neben Erich Thornberg vor dem offenen Grabe. Er gehörte eben zur Familie.

      Frau Ingeborg trug kein Verlangen nach der großen Welt, obwohl sie erst 24 Jahre zählte. Von ihrem Wesen ging eine stille, wohltuende Freundlichkeit aus. Damals, als Thornberg von seiner ersten Fahrt zurückkehrte, hatte sie ein paar Wochen lang das Leben in seinen Strudel gezogen. Thornberg war gefeiert worden. Er und seine Frau hatten Einladungen erhalten zu Banketts und Bällen. Aber jedesmal, wenn man von so einer Festlichkeit spät nachts heimkehrte, hatte Frau Ingeborg mit zärtlichem Aufatmen auf ihr kleines Reich geschaut und sich vor dem Schlafengehen noch einmal wohlig und zufrieden in ihre Lieblingsecke gedrückt. Dann war die Sensation Thornberg allmählich verrauscht und das stille häusliche Leben wieder eingekehrt. Frau Ingeborg war es zufrieden. Sie besaß keinen Ehrgeiz. Das Schicksal hatte ihr den größten Wunsch ihrer Mädchenzeit erfüllt: Der Polarforscher Erich Thornberg, den sie mit fanatischer Schwärmerei verehrte, war ihr Mann geworden. Was konnte es sonst noch geben auf der Welt?

      Heute war Festtag bei Thornbergs. Am Mittag war Arnaluk angekommen und hatte sein neuestes Werk gebracht: eine Büste, zu der Frau Ingeborg Modell gestanden hatte. Das mußte gefeiert werden. Der Kaffeetisch war mit Blumen geschmückt, und der Konditor hatte eine Riesentorte liefern müssen. Gab es etwas Gemütlicheres, als hier zu Hause beim Kaffeetisch zu sitzen mit einem Freund, der ein so lieber Junge und dazu noch ein so begnadeter Künstler war wie Arnaluk. Thornbergs strahlten. Arnaluk selber aber blieb merkwürdig schweigsam und ernst, und als Frau Ingeborg ihm das dritte Stück Torte auf den Teller legte, sah sie die Sorge so deutlich in seinen Augen stehen, daß sie in ihrer stillen, wohltuenden Art nach dem Grunde fragte.

      Arnaluk sah beide an. Er hatte eine sonderbare Art, beim Sprechen unaufhörlich bald den Blick auf Thornberg, bald auf Ingeborg zu richten, so daß jeder von beiden es empfand, als ob er zu ihm spräche: „Wenn Arnaluk bei euch ist, spricht er nur im Plural!“ pflegte Professor Thornberg zu sagen. Diesmal aber glitt sein Blick schnell von Ingeborg fort und heftete sich fest auf Thornberg.

      „Du mußt nun bald reisen, Erich.“

      „Gewiß.“ Thornberg sah erstaunt auf. „Sobald das Geld dazu da ist. Du weißt ja Arnaluk ...“

      „Ich weiß, daß du deine Fahne oben im Neuland hissen willst. Wenn du dich nicht beeilst, wird vielleicht schon eine andere Fahne da sein, bevor du kommst.“

      Thornberg


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