Die Eisfrau. Axel Rudolph

Die Eisfrau - Axel Rudolph


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Stück Heimat, und was ihn trifft, trifft die anderen mit.

      Erich Thornberg war vielleicht der, den die Nachricht von dem plötzlichen Tode des Geheimrats Kreß am tiefsten getroffen hatte. Kreß tot! Seine ganze Reise nach Kairo also umsonst! Nun ging das Suchen wieder an, die Jagd nach dem Kapital. Denn die Expedition mußte, mußte noch im kommenden Sommer gestartet werden.

      Der Bankier Friedenauer neigte sich vertraulich dicht an Thornbergs Ohr. „Sie werden das Geschäft nun doch wohl mit mir machen müssen, Herr Thornberg.“

      Der Forscher antwortete nicht. Er sah. wie die anderen Herren neben und um ihn nach dem Hoteleingang sahen, in dem ehen eine schlanke Dame mit einem ernst-ruhigen Gesicht erschienen war.

      „Da ist sie!“

      Britta Kreß hatte gestern ihr Zimmer nicht verlassen und alle Besuche abgewiesen. Nur mit dem Arzt und dem Manager des Hotels hatte sie verhandelt. Letzterer gab ihr auch jetzt das Geleit. Er hatte sein offiziellstes Trauergesicht aufgesetzt und erschöpfte sich in leisen Beileidsbezeugungen, schielte dabei ängstlich mit einem Auge nach den Gästen, die fröhlich auf der Terrasse plauderten. Die brauchten nichts zu merken.

      Die Herren waren aufgestanden und umdrängten die junge Frau, die ernst, aber vollkommen ruhig und gefaßt die gemurmelten Beileidsbezeugungen entgegennahm. Einer der Herren stellte flüchtig Erich Thornberg vor.

      „Mich trifft das unerwartete Unglück ganz besonders,“ konnte der Polarforscher sich nicht enthalten zu sagen, als er sich über die schlanke Hand der Dame beugte, „ich hoffte heute auf eine Unterredung mit Herrn Geheimrat.“

      Ein gleichgültiger Blick Brittas streifte sein Gesicht.

      „In geschäftlicher Angelegenheit?“

      „Ja.“ Erich Thornberg verwünschte innerlich seine Taktlosigkeit. War jetzt der Augenblick, von Geschäften zu reden? Aber das Ungeschick war ihm nun einmal unterlaufen. Er hatte sich hinreißen lassen, von dem zu sprechen, was ihm am schwersten auf dem Herzen lag. Und die kühlen grauen Augen lagen so ruhig, antwortheischend auf ihm. „Es handelte sich um ein Geschäft, das ich Ihrem Herrn Gemahl vorschlagen wollte,“ sagte er abschließend, innerlich unzufrieden mit sich selbst und machte Miene, in den Kreis der Herren zurückzutreten.

      Aber die grauen Augen ließen ihn nicht los.

      „Ich werde natürlich die laufenden geschäftlichen Angelegenheiten meines Mannes ordnen,“ sagte Frau Britta so nebenbei. „Sie können sich also ruhig an mich wenden.“

      Thornberg verbeugte sich. „Ich danke Ihnen, gnädige Frau. Ich werde mir also erlauben, später einmal — in Berlin ...“

      „Warum?“ Frau Britta sah ihn kalt und gelassen ins Gesicht. „Sie können mir das ebensogut jetzt gleich sagen, Herr Thornberg.“ Ihre Hand machte eine kleine einladende Bewegung zum Hotelvestibül hin. „Bitte.“

      Bestürzt, in peinlicher Verlegenheit folgte Erich Thornberg der gelassen Voranschreitenden. Die Herren sahen sich an. Das war mal wieder so recht Frau Britta Kreß: Kühl bis ans Herz hinan. Gestern war ihr Mann gestorben, der arme Kreß lag noch im Sarg, und diese Frau konnte ohne Aufregung gleichgültige Geschäfte erledigen. Weiß Gott, man war nicht allzu zart besaitet. Man war hart geworden, damals im Krieg und später erst recht im Geschäft, im unbarmherzigen Kampf ums Dasein. Aber das ging denn doch über die Hutschnur. Die Blicke, die die Herren der Frau Geheimrat nachsandten, waren nicht gerade die freundlichsten. Der Rheinländer brummte sogar ein Wort, das verdächtig nach „Hundeschnauze“ klang.

      4. Kapitel.

      In peinlicher Verlegenheit stand Erich Thornberg in dem kleinen Damensalon, der zu Frau Kreß’ Appartement gehörte. Seine Blicke hingen scheu an der offenen Verbindungstür. Drinnen im Nebenzimmer lag, mit einem weißen Tuch bedeckt, auf dem Ruhebett der tote Geheimrat Kreß. Und er sollte hier, sozusagen im Angesicht des Toten, von Geschäften reden? Unmöglich! Eine ganz unmögliche Situation!

      Mit ihren raschen, schwebenden Schritten ging Frau Britta zur Verbindungstür und schloß sie.

      „Also, bitte, Herr Thornberg.“ Gelassen wies sie auf einen Sessel und zog sich selber einen zweiten heran. Thornbergs Finger spielten nervös. Der Gedanke an den Toten da im Nebenzimmer irritierte ihn.

      „Es handelt sich um ... Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob Ihnen mein Name bekannt ist?“

      „Doch.“ Frau Britta nickte ruhig. „Dem Namen nach kenne ich Sie natürlich, Herr Thornberg. Die Zeitungen haben Sie ja oft als den erfolgreichsten deutschen Polarforscher genannt. Es ist wohl nur ein Zufall, daß wir uns bisher in der Berliner Gesellschaft nicht getroffen haben.“

      „Ich gehe wenig in Gesellschaft, gnädige Frau.“ Thornberg sucht seine Gedanken auf das Geschäft zu konzentrieren, aber sie zerflattern immer wieder, gehen hinüber zu dem Mann, der kalt und steif drüben im Zimmer liegt. Wenn der doch jetzt vor ihm säße! Dann könnte man leichter und besser reden.

      „Also ...?“

      Vor Frau Brittas befremdet wartenden Augen nimmt Thornberg sich gewaltsam zusammen. „Ja, also ... Bei meiner letzten Expedition habe ich oben, ganz im Norden Grönlands Neuland entdeckt. Sie verstehen, gnädige Frau: festes Land, das noch niemand gehört, von keinem Staat in Besitz genommen ist. Ich kam allerdings nicht bis in dieses Land hinein. Schneestürme setzten mir ein Ziel und zwangen mich zur Umkehr. Ich konnte es nur sehen und auf dem Eisplateau, das ihm vorgelagert ist, ein kleines Proviantdepot anlegen. Dann mußte ich zurück. Ich beabsichtige nun, eine neue Expedition zu unternehmen, um das Neuland zu erforschen und zu erschließen. Zur Beschaffung des dazu notwendigen Kapitals hatte ich mich vor einiger Zeit an Ihren Herrn Gemahl gewandt.“ Thornberg verlor eine Sekunde den Faden, denn bei der Erwähnung des Toten flatterten seine Gedanken wieder hinüber ins Nebenzimmer, Britta Kreß sah ihn kalt an.

      „Sie sprachen von einem Geschäft, Herr Thornberg.“

      „Das ist es auch, gnädige Frau. Die Forschungen auf meiner letzten Expedition haben einwandfrei das Vorhandensein großer Kohlenfelder da oben erwiesen. Und diese Felder erstrecken sich gerade in das Neuland hinein. Wir dürfen mit Bestimmtheit damit rechnen, dort große Bodenschätze zu finden. Mit anderen Worten: Dieses Nordland da oben kann ein gewinnbringendes Objekt für die Industrie werden. Außerdem aber ...“ Thornbergs Stimme bekam plötzlich einen lebhafteren Klang. Sein ganzes Inneres schwang in ihrem dunklen Ton. „... Außerdem würde dieses Land in der Arktis eine neue Kolonie werden können, die erste deutsche Kolonie, seitdem man uns unseren afrikanischen und asiatischen Kolonialbesitz genommen hat! Wenn erst die deutsche Flagge da oben weht — es gibt genug Menschen mit Mut und Unternehmungsgeist in unserem Vaterland, deutsche Hände, die das Land erschließen, das Eis aufbrechen und die Kohlenschätze, die ungenutzt da oben schlummern, dem Vaterlande dienstbar machen würden. Deutsche Schiffe würden allmählich da oben in regelmäßiger Fahrt ankern, Bergwerke entstehen, Niederlassungen — neues, deutsches Land. Eine Eroberung, die keinen Schwertstreich kostet und keine Verwicklungen mit anderen Staaten, nur ein wenig Geld, das sich mit Zinsen bezahlt machen wird im Laufe der Zeit.“

      Erich Thornberg hatte sich warm geredet. Vergessen war der Tote im Nebenzimmer. Nur noch die Arktis war da, das gewaltige Reich des Eises oben im Norden, drohend, kalt und herrlich wie keines in der Welt. Und darüber die Flagge des Deutschen Reiches.

      Frau Britta hatte aufmerksam zugehört. Ein ganz kleines, geringschätziges Lächeln lag um ihren Mund. Wie der Mann sich hatte! Sonderbar, daß ein Mann, der so energisch und gut aussah wie dieser Thornberg, überhaupt mit so kindischen Phrasen kommen konnte. Er begeisterte sich anscheinend förmlich daran. Nein, eine Britta Kreß hatte nicht viel Verständnis für solche patriotische Sentimentalität. Aber Thornbergs Stimme gefiel ihr. Wenn sie zuerst etwas verlegen geklungen hatte, jetzt rauschte sie in dunklen schwingenden Tönen tief aus der Brust herauf. Es hörte sich gut an. Und dann die Sache mit den Kohlenfeldern. Das war eine reale Angelegenheit, die sich überlegen ließ. Nur müßte man die Gewißheit haben, daß die Kosten nicht den zu erwartenden Gewinn überstiegen.

      „Ich danke Ihnen, Herr


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