Die Eisfrau. Axel Rudolph

Die Eisfrau - Axel Rudolph


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wurde unruhig. Arnaluk sprach so ernst. „Hast du am Ende etwas gehört?“ wollte er wissen.

      Es dauerte eine Weile. Arnaluk schien irgend etwas zu überlegen, und die beiden Thornbergs warteten geduldig. Sie wußten, Arnaluk sprach nie, ohne seiner Sache ganz sicher zu sein.

      „Gestern war mein Schulfreund Kai Strange bei mir. Er ist jetzt Journalist bei der ‚Politiken‘ in Kopenhagen. Er sprach von unserem Neuland.“

      „Was!“ Thornbergers Löffel klirrte hart auf der Untertasse. „Meinst du, daß die Dänen Wind von der Sache bekommen haben?“

      „Er war eigens deswegen zu mir gekommen, Erich. Natürlich habe ich nichts gesagt, aber er wußte so ziemlich Bescheid. Er fragte sogar, ob ich an einer dänischen Expedition teilnehmen wollte.“

      „Das ist — fatal!“ Thornberg hatte eine steile, kleine Falte auf der Stirn, und auch Frau Ingeborg war erschrocken. Sie wußte nur zu gut, was es für Thornbergs stille, tiefe Vaterlandsliebe bedeutete, wenn eines anderen Landes Farben da oben wehen würden, in diesem Eisland, das er seiner Heimat erringen wollte.

      „Wenn ich nur das Geld hätte!“ Thornberg sah finster auf seinen Teller. „Ein Drittel können Vater und ich zusammenscharren, aber was nützt mir ein Drittel! Die Expedition muß erstklassig ausgerüstet sein. Wir müssen überwintern können, wir müssen die modernsten Apparate haben. Einen unvorhergesehenen Rückschlag darf es nicht geben.“ Thornberg machte eine Pause und blickte grübelnd vor sich hin. „Mir fehlen noch 500 000 Mark!“

      „Viel, viel Geld!“ Arnaluk krümelte mit dem Löffel bekümmert in seinem Kuchen herum. „Und du hast immer noch keine Aussicht?“

      „Wir haben uns, weiß Gott, die Sohlen abgelaufen. Vater und ich.“ Thornberg zuckte die Achseln. „Der Geheimrat Kreß war der einzige, der mir in positivem Sinne schrieb. Aber der ist tot.“

      „Und seine Frau? Du sagtest doch ...“

      „Ich habe seither nichts von ihr gehört.“ Thornbergs Blick wurde weit. Einen Augenblick sah er Frau Britta Kreß vor sich: herb, kalt, ruhevoll. Wie das Eis der Arktis.

      Fast unwillkürlich fügte er hinzu:

      „Aber ich hoffe, sie wird mir doch noch schreiben.“

      „Wenn’s dann nicht zu spät ist.“

      Bekümmert schwiegen die drei Menschen. Als die Flurklingel schrillte, erhob sich Frau Ingeborg mit einem kleinen Seufzer und ging selbst hinaus. Das Mädchen hatte heute ihren Ausgangstag.

      Und dann war plötzlich alles anders. Die Blumen an den Fenstern dufteten wieder, der festlich gedeckte Tisch lachte, die Sonnenkringeln tanzten auf dem weißen Tischtuch. Und zwischen den drei Freunden saß quicklebendig und wohlproportioniert der Bankier Friedenauer und verbreitete mit seinem vor Wohlwollen strahlenden Gesicht, seinem jovialen Geplapper eine Atmosphäre von Gemütlichkeit und Hoffnungsfreudigkeit.

      Friedenauer strömte über von Lob. Er fand den Kaffee ausgezeichnet, den Kuchen wunderbar, das einfache Hauskleid Frau Ingeborgs geschmackvoll und eigenartig, die Zigarre, die Thornberg ihm anbot, primissima. Wenn man ihm glauben durfte, so möchte er überhaupt nicht mehr aufstehen, sondern für alle Ewigkeit hier sitzen bleiben in dieser traulich-stilvollen Häuslichkeit. „Ein Paradies, jawohl, ein Paradies, haben Sie hier, gnädigste Frau. Aber Ihr Glücklichen wißt das ja leider meistens selber nicht.“

      Und dann kam Friedenauer auf das Geschäft zu sprechen. Ganz nebenbei, versteht sich, denn es sollte beileibe nicht den Anschein erwecken, als ob er etwa deswegen hergekommen sei. Bewahre! Nur der Wunsch, seinem „lieben Reisegefährten“ auf der Fahrt von Kairo nach Berlin im Vorübergehen einen guten Tag zu wünschen, hatte ihn veranlaßt, hinaufzugehen. Friedenauer wartete klug und geduldig ab, bis eine Bemerkung Thornbergs selbst ihm die Gelegenheit gab, auf die bevorstehende Expedition zu kommen. Geld? Aber! Warum sollte Thornberg sich Sorge machen über die Beschaffung des Kapitals?

      „Sie wissen doch, lieber Thornberg, daß ich bereits in Kairo erwogen habe, der Sache näherzutreten. Ich hab’ inzwischen noch weitere Informationen eingezogen über Ihr Projekt. Wie Sie mich hier sehen, lieber Herr Thornberg, bin ich nunmehr bereit, die Finanzierung Ihrer Expedition zu übernehmen.“

      „Herrlich!“ Frau Ingeborg sprang vor Überraschung auf und klatschte in die Hände wie eine beschenktes Kind. „Dann ist ja alles gut! Erich! Was sagst du dazu?“

      „Ja — ich weiß nicht ...“ Erich Thornbergs Augen gingen etwas verlegen zwischen seiner Frau und dem Bankier hin und her. Friedenauer schlürfte selbstzufrieden die dritte Tasse Kaffee.

      „Geld ist teuer heute, lieber Herr Thornberg. Das wissen Sie ja wohl selbst, seitdem Sie auf der Suche danach sind. Aber ich mach’s! Sehen Sie, ich habe nun mal Sympathie für Männer wie Sie, Forscher, die unerschrocken ihr ganzes Sein an eine Aufgabe setzen. Ich will ...“

      „Lieber Herr Friedenauer,“ unterbrach ihn der Forscher mit einem kleinen gutmütigen Lächeln. „Sie wollen mich wahrscheinlich übers Ohr hauen. Nichts für ungut! Ich meine das nur so: Ich bin ein Kind in Geschäftssachen. Sie sind ein Fachmann ersten Ranges. Wenn ich mit Ihnen die Sache mache, so ist es natürlich nur, daß Sie mich dabei gründlich hochnehmen.“

      „Ich? Sie?“ Friedenauers Gesicht war die gekränkte Unschuld selbst. „Gestatten Sie, daß ich lache! Haben Sie’s gehört, gnädige Frau?“

      „Vielleicht habe ich mich da ungeschickt ausgedrückt.“ Thornberg machte eine um Entschuldigung bittende Handbewegung. „Sie müssen das nicht übel nehmen, Herr Friedenauer. Glauben Sie mir, ich weiß Ihr Angebot wohl zu schätzen und traue Ihnen auch nichts Unreelles zu. Wenn so etwas vielleicht in meinen Worten vorhin lag, so ...“

      „Bitte, bitte, bitte! Reden wir nicht davon, lieber Herr Thornberg.“ Friedenauer lachte aus vollem Halse. „Was glauben Sie, was ich mir im Geschäft alles sagen lassen muß!“

      „Freut mich, daß Sie meine unbedachte Äußerung nicht übel nehmen, Herr Friedenauer. Aber — wie gesagt: Ich weiß nicht recht ...“ Thornberg sah in seiner Verlegenheit den Bankier fast bittend an. „Ich habe wirklich etwas Angst vor Ihnen. Sie sind nun mal ein — hm — allzu ausgezeichneter Geschäftsmann, und ich — na ja, ich versteh nicht viel von diesen Dingen.“

      Friedenauers Gesicht wurde plötzlich ernst. Nur ganz hinten in den Augenwinkeln spielten ein paar lustige Fältchen. „Wenn Sie das Geschäft mit Frau Kreß machen, lieber Herr Thornberg, dann werden Sie vielleicht noch ungünstiger abschneiden. Die zieht Ihnen noch ganz anders das Fall über die Ohren.“

      Die feineren Ohren des Bankiers erfaßten sofort den leisen Unwillen in Thornbergs Stimme. „Ich will nichts gesagt haben. Aber wenn Sie ’n anderes und vielleicht schlechteres Angebot kriegen sollten, denken Sie daran: Friedenauer nimmt sechs Prozent; nicht mehr!“

      Frau Ingeborgs Augen hingen erstaunt an dem unschlüssigen Gesicht ihres Mannes. Was hatte er nur? Das war doch großartig, daß Bankier Friedenauer die Expedition finanzieren wollte! Da war man ja aller Sorge ledig. Und Erich zögerte? Heimlich begann sie hinter Friedenauers Rücken ihrem Mann Zeichen zu machen: Greif doch zu! Ich versteh dich nicht! Sag’ doch ja!

      Friedenauers mausflinke Äuglein hatten sehr gut diese stumme Zeichensprache bemerkt. Er schmunzelte innerlich. Eine Bundesgenossin im Lager des Feindes! Noch dazu die Frau des Hauses! Ausgezeichnet. Eine Frau vermag viel, vermag überhaupt alles, besonders, wenn sie mit ihrem Mann so glücklich lebt wie diese Frau Ingeborg mit Thornberg. Nur nichts überstürzen. Man wird wiederkommen, morgen oder übermorgen, und dann wird der gute Thornberg Ja sagen.

      Voller Zuversicht erhob sich der Bankier, küßte Frau Ingeborg die Hand und schlug abschiednehmend Thornberg auf die Schulter.

      „Überlegen Sie sich die Chose, lieber Herr Thornberg. Werde mir erlauben, in ein paar Tagen noch einmal bei Ihnen vorzusprechen, das heißt: wenn die gnädige Frau es erlaubt?“

      „Aber natürlich, Herr Friedenauer! Sie sind immer willkommen!“

      „Ich


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