Wünsch dich ins Märchen-Wunderland. Martina Meier
schlimmer Sommer brachte aber Unheil über unseren Hof. Damals floss ein kleiner Bach hinter dem Haus vorbei, das sogenannte Hexenbacherl. Das Wasser darin war rein und klar. Es löschte nicht nur den Durst der Familie und aller Tiere des Hofes, sondern speiste auch die Felder mit ausreichend Feuchtigkeit. In besagtem Sommer war es jedoch unvorstellbar heiß. Schon im Frühjahr hatte es kaum geregnet und im Juni war der Bach nur noch ein armseliges Rinnsal, das Wasser war nicht mehr klar, sondern eine braune Brühe. Bald war jedoch auch das schlammige, fast ungenießbare Wasser verschwunden und es blieb nur der leere, beinahe staubtrockene Bachlauf zurück.
Was war nun zu tun? Der verzweifelte alte Bauer hatte nur eine Wahl: Mit seinem Pferdegespann und leeren Holzfässern fuhr er zum nächsten Bach und organisierte das benötigte Wasser. Doch in einem staubtrockenen Sommer haben nicht nur Mensch und Tier mehr Durst als gewöhnlich, nein, auch die Felder müssen jeden Tag bewässert werden. Ein Fass Wasser ist lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Der verzweifelte Bauer versuchte, seiner Familie Mut zuzusprechen. Doch eines Abends, als er alleine im Stall noch einmal nach dem Rechten sah, war er zumindest zu Josef, seinem liebsten und edelsten Stier, ehrlich.
Ach, mein lieber Josef. Wie soll ich unseren Hof halten, wenn auf den Feldern die Kartoffelpflanzen vertrocknen und die Kühe vor lauter Durst kaum noch Milch geben? Einsam und vollkommen in seine Gedanken versunken streichelte der Bauer seinem Lieblingsstier über den Kopf. Ich werde wohl nicht umhin kommen, dich und all meine Tiere zu verkaufen. Doch ohne Tiere und Wasser kann ich auch den Hof nicht mehr halten. Morgen werde ich meiner Frau und den Kindern reinen Wein einschenken. Traurig schlurfte der sonst so stolze Landwirt aus dem Stall.
Josef konnte zwar damals noch nicht sprechen und denken, so wie wir heute, doch er wusste, dass er seinem Bauern helfen musste. Er hatte, so erzählte er später, eine Ahnung und wurde von dieser magisch geleitet. Der treue Josef war nie angebunden und so war es für ihn keine Schwierigkeit, unbemerkt aus dem Stall auszubüxen.
Die nächsten Stunden lief er, getrieben von der besonderen Magie der guten Tat, um die Scheune, den Stall und das Wohnhaus herum. Glücklicherweise war es eine klare Nacht und der Vollmond erhellte alle Winkel. Er wusste nicht, was ihn antrieb, doch plötzlich blieb er stehen – ungefähr 15 Meter östlich des Wegkreuzes hinter dem Wohnhaus. Er wusste instinktiv, was zu tun war. Mit seinen Hörnern und den Vorderläufen versuchte er zu graben. Ein Stier ist jedoch nicht zum Graben gemacht. Zum Glück haben die drei Hofhunde wohl auch die besondere Magie gespürt und scharten sich um den braven Josef.
Als der Stier sie bemerkte, trat er zwei Schritte zurück und schon begannen die Hunde zu graben. Sie waren flink und hatten Übung. Da der Boden an dieser Stelle merkwürdigerweise locker und nicht steinig war, kamen sie gut voran.
Als das Morgenrot bereits den Himmel färbte und der Hahn schon zum ersten Krähen des Tages ansetzte, passierte es: Das tiefe Loch füllte sich mit Wasser! Nach Meinung der Menschen konnte es aufgrund der Bodenstruktur überhaupt keine Quelle in der Umgebung des Hofes geben, daher hatten sie selbst nie danach gesucht.
Stolz blieb Josef vor dem mit frischem Quellwasser gefüllten Loch sitzen. Kurz nachdem der Hahn gekräht hatte, war es so weit, der Bauer kam heraus.
Josef, was tust du denn hier draußen?
Erst als er seinen Stier schon fast erreicht hatte, sah er das Wasserloch. Ungläubig und mit offenem Mund betrachtete er dieses.
Ein Wunder! Josef, hast du das Wasser gefunden? Du bist ein Wunderstier! Der sonst so emotionslose Hofherr hatte plötzlich feuchte Augen. Du hast uns gerettet! Ich werde sofort in die Kirche gehen und zwölf Kerzen anzünden. Zum Dank sollen du, lieber Josef, und alle Rinder auf diesem Hof etwas ganz Besonderes sein, sobald der Vollmond wie letzte Nacht unseren Hof erleuchtet.
Seit diesem Tag können wir Kühe, Kälber und Stiere in jeder Vollmondnacht in der menschlichen Sprache reden.“
Mit großen Augen hatten die beiden Kälber Ringos Geschichte gelauscht. „Das war eine schöne Geschichte. Und jetzt zeig ich Biene, dass ich doch schneller bin.“ Schon sprang Maya auf und stürmte davon, Biene hinterher.
Schmunzelnd blickte Ringo den beiden nach. Er konnte es kaum glauben, dass auch er einmal so ein kleines Kälbchen gewesen war.
Als Maria am nächsten Morgen zum Melken kam, war es wieder still und ruhig im Kuhstall.
Markus Erhorn wurde 1989 in Dachau geboren, dort lebt und arbeitet er auch. Bisher hat er sechs Kurzgeschichten in Papierfresserchens MTM-Verlag veröffentlicht.
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