Vom selben Blut - Schweden-Krimi. Åke Smedberg

Vom selben Blut - Schweden-Krimi - Åke Smedberg


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Lasse Henning hatte etwas damit zu tun?«, fragte er stirnrunzelnd.

      »Ja, er war ein Teil des Durcheinanders.«

      »Sind Sie sicher, dass es dieses Mädchen war?«

      Sie blickte noch einmal auf das Foto.

      »Sie war hier«, sagte sie nach einem Augenblick, »einmal, sie hat Bengt gesucht. Ich erinnere mich an ihr Gesicht. Und ich erinnere mich auch, dass Bengt ziemlich aufgebracht war, als er das erfuhr. Er fand, dass es ein Eindringen in sein, ja, in unser Privatleben war.«

      Sie bekam einen abwesenden Gesichtsausdruck und schüttelte leicht den Kopf.

      »Bengt sprach nicht viel über die Arbeit. Aber dieses Mal sah er sich wohl gezwungen, da sie hier bei uns aufgetaucht war. Außerdem glaubte er anscheinend, dass die Sache auch in die Presse kommen würde. Er war damals in den Fünfzigern und gerade zum Chef ernannt worden. Und es ging um Leute, die unter ihm arbeiteten. Daher trug schlussendlich er die Verantwortung.«

      »Und was ist passiert?«

      »Nichts. Soweit ich mich erinnere, stellte sich heraus, dass alles erfunden war. Lügen. Es war ein Mädchen aus dem Drogenmilieu und . . . ja, sie wurde wohl nicht als sehr glaubwürdig angesehen. Und in den Zeitungen stand auch nichts, man war dort wohl derselben Meinung.«

      »Wissen Sie, wie sie hieß?«, fragte Nielsen.

      Lindståhls Ehefrau schüttelte den Kopf.

      »Nein. Das wurde nie erwähnt. Bengt hat sich immer sehr genau an die Schweigepflicht gehalten. Aber ich weiß, dass er gesagt hat, dass man sie später nicht mehr erreichen konnte, als man ihre Angaben genauer prüfen wollte.«

      Nielsen sah zu Lindståhl am Fenster. Er trat immer noch auf der Stelle, atmete geräuschvoll, fast asthmatisch.

      »Ich glaube, Sie sollten jetzt gehen«, sagte die Frau. »Vielleicht beruhigt er sich dann. Es ist lange her, dass ich ihn so aufgebracht gesehen habe.«

      Nielsen nickte und stand auf.

      »Gibt es sonst noch jemanden, der etwas über das hier wissen könnte?«

      »Es ist ja lange her«, sagte sie. »Und vielleicht nichts, über das man gerne befragt wird. Aber Sie können es bei Fred versuchen. Fredrik Edling. Kennen Sie ihn?«

      Nielsen schüttelte den Kopf.

      »Nicht? Er und Lasse standen einander sehr nahe, soweit ich weiß. Zumindest früher. Ich glaube, dass sie fast gleichzeitig bei der Truppe angefangen haben. Und beide haben unter Bengt gearbeitet.«

      Sie nickte in Richtung Lindståhls Rücken am Fenster.

      »Fred hat die Polizei dann verlassen. Aber er hat den Kontakt weiterhin gehalten. Er besucht uns ab und zu, hilft uns bei schweren Arbeiten, geht mit Bengt raus, so dass ich ein bisschen frei habe. Es war Fred, der ihn zu Lasses Beerdigung mitgenommen hat . . .«

      Nielsen musterte Lindståhls Frau.

      »Was halten Sie selbst hiervon? War es eine Lüge, was das Mädchen behauptet hat?«

      Sie sah ihm in die Augen.

      »Woher soll ich das wissen?«

      Dann schaute sie wieder auf ihren Mann, und ihre Miene verhärtete sich.

      »Aber es war insgesamt nicht einfach für Frauen, dass man ihnen in solchen Situationen Glauben schenkte. Und wenn es dann auch noch um Polizisten ging . . . ja, das können Sie sich ja denken. Es spielte vielleicht keine große Rolle, ob es wahr war oder nicht.«

      Sie wandte sich wieder Nielsen zu.

      »Und hat das heute noch eine Bedeutung? Lasse Henning ist fort. Bengt wird bald fort sein. Und was auch geschehen ist, es ist vor über zwanzig Jahren passiert, und heute kann man nichts mehr dagegen tun. Welchen Sinn hat es eigentlich, deswegen nachzubohren?«

      Nielsen zuckte leicht mit den Schultern.

      »Die Wahrheit hat wohl immer eine gewisse Bedeutung. Selbst wenn sie spät kommt.«

      Aber auf dem Weg zum Auto gab er ihr größtenteils Recht. Das Ganze war anscheinend ziemlich sinnlos. Niemand würde dadurch glücklicher werden. Niemand würde sich bei ihm bedanken. Und niemand würde von den Toten auferstehen.

      Und er wusste auch, dass die Wahrheit kaum seine stärkste Triebkraft war, um herauszufinden, was damals vor zwanzig Jahren passiert ist oder eben nicht. Das, was ihn antrieb, war viel simpler. Er wollte wissen, wer Lasse wirklich gewesen war, wollte versuchen, ihn noch einmal zu sehen. Das Bild von ihm war schwer greifbar und widersprüchlich geworden. Wie in einem Spiegel im Tollhaus: Er zeigte jemand anderen, niemanden, den man wiedererkannte.

      In Fredrik Edlings Stimme hörte er Verwunderung, gemischt mit einer guten Portion Misstrauen, als er sein Anliegen erklärte.

      »Sie haben meinen Namen also von Gun Lindståhl, sagen Sie?«

      »Ja«, bestätigte Nielsen. »Sie dachte, dass Sie mir helfen könnten.«

      Edling brummte.

      »Es wäre schon nett gewesen, wenn sie zuerst mit mir darüber gesprochen hätte«, sagte er, »bevor sie meine Dienste großzügig verspricht.«

      »Ich wollte nur fragen, ob Sie etwas über diese Geschichte wissen«, sagte Nielsen. »Angeblich haben Sie Lasse ziemlich gut gekannt.«

      Es wurde still in der Leitung.

      »Können wir uns treffen?«, fuhr Nielsen fort. »Dann könnten Sie sich das Foto ansehen . . .«

      Aber Edling unterbrach ihn unwirsch.

      »Ich brauche es nicht zu sehen. Ich weiß, worum es geht. Ich weiß nur nicht, ob ich mit Ihnen darüber reden will.«

      Er schwieg wieder einen Moment.

      »Eriksson«, sagte er schließlich, »Christine. So hieß sie, wurde Chris genannt oder Chrissy.«

      »Und was war passiert?«, fragte Nielsen, als Edling keinerlei Anstalten machte fortzufahren.

      »Nichts. Das kam schließlich heraus. Hat Gun das nicht gesagt?«

      »Das ist Quatsch, und das wissen Sie«, sagte Nielsen.

      Es dauerte etwas, bis Edlings Stimme wieder zu hören war.

      »Ich will eigentlich nicht mehr darüber reden. Was wollen Sie überhaupt? Mist über jemanden ausgraben, der sich nicht mehr wehren kann?«

      »Ich will in Erfahrung bringen, was passiert ist«, sagte Nielsen knapp.

      »Da gibt es nichts in Erfahrung zu bringen. Schließlich ist nie etwas passiert. Sind Sie jetzt zufrieden?«

      Nielsen schwieg einen Augenblick.

      »Was ist aus ihr geworden? Wissen Sie das?«, fragte er.

      »Sie sind doch der Journalist, nicht ich. Wenn Sie mit ihr reden wollen, müssen Sie wohl anfangen zu arbeiten.

      Und ich habe wirklich anderes zu tun, als hier zu sitzen und mit Ihnen zu sprechen . . .«

      »Das scheint ein ziemlich empfindliches Thema zu sein?«, unterbrach Nielsen und versuchte, ihn noch etwas am Apparat zu halten. »Hatten Sie vielleicht selbst etwas damit zu tun?«

      Er hörte, wie Edling nach Luft schnappte.

      »Das ist nicht empfindlicher als irgendwas anderes. Ich finde bloß, dass ich keinen guten Grund habe, mich mit Ihnen hinzusetzen und darüber zu quatschen. Wir kennen uns nicht, und ich weiß nicht, was Sie wollen.«

      »Sie ist danach also verschwunden?«, beharrte Nielsen.

      Edling lachte auf.

      »Ja, aber es hat sie jedenfalls niemand irgendwo vergraben. Das wollten Sie doch andeuten, nehme ich an? Aber vor ein paar Jahren lebte die fragliche Dame noch. So viel weiß ich.«

      Er war wieder einen Augenblick lang


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