Vom selben Blut - Schweden-Krimi. Åke Smedberg

Vom selben Blut - Schweden-Krimi - Åke Smedberg


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eine Erklärung, wie du sagst. Ich . . . ich begreife einfach nichts mehr . . . weiß nicht mehr, was ich glauben soll . . .«

      Nielsen nickte und betrachtete noch einmal das Foto.

      »Kann ich das mitnehmen?«, fragte er schließlich.

      »Nimm alles«, sagte Gisela und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Handys. »Ein paar Dinge liegen noch auf seinem Schreibtisch.«

      Sie ging ins Arbeitszimmer und kam mit einem kleinen Taschenkalender und einem Notizblock zurück, gab Nielsen beides.

      »Ich werde sehen, ob ich etwas herausfinden kann«, sagte er. »Wenn es das ist, was du willst?«

      Sie wandte sich von ihm ab und starrte aus dem Fenster.

      »Ich weiß nicht mehr, was ich will.«

      Dann holte sie tief Luft und nickte.

      »Ja, mach das«, sagte sie. »Vielleicht ist das gut. Zumindest um zu erfahren, was er vorhatte, warum er nicht zur Arbeit gegangen ist. Damit ich das loslassen kann.«

      Eva wohnte immer noch in dem Haus im Slåtterängsvägen, ein Holzhaus aus den frühen Vierzigern. Nielsen betrachtete das Haus von der Straße aus. Es sah mittlerweile recht mitgenommen aus. Die Farbe war an vielen Stellen abgeplatzt und abgeblättert. Das Ziegeldach schien dringend überprüft werden zu müssen. Selbst der Garten, Evas Hobby, trug Spuren des Desinteresses. Himbeer- und Johannisbeersträucher waren wild gewuchert und bildeten am hinteren Ende des Gartens einen kleinen Dschungel.

      Er öffnete das Gartentor. Er war seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Und Eva hatte er kaum noch gesehen, nachdem sie und Lasse geschieden worden waren, abgesehen von dem kurzen Treffen bei der Beerdigung. Das, was er von ihr heute wusste, war das Wenige, das Lasse erzählt hatte, und meistens ging es um ihre Bitterkeit und ihre Unversöhnlichkeit. Sie hatte auch ihr Bestes getan, das auf ihre Söhne zu übertragen. Alles laut Lasses Erzählungen.

      Sie hatte ihn kommen gesehen und öffnete, bevor er klingeln konnte. Fasste ihn rasch am Arm und bat ihn hinein. Er sah sich im Haus um. Es war still.

      »Sind die Jungs schon weggefahren?«, fragte er.

      Eva nickte.

      »Sie waren nur übers Wochenende hier. Erik hatte irgendeine Übung. Und Andreas, ja, er hatte wohl schlicht keine Lust, länger zu bleiben.«

      Erik hatte seinen Militärdienst als Gebirgsjäger in Arvidsjaur gemacht und war dann beim Militär geblieben. Andreas war der Rebell der Familie, er war schon nach einem Jahr vom Gymnasium abgegangen und zu Hause ausgezogen. Jetzt wohnte er in Göteborg und arbeitete in einem Hamburgerimbiss.

      Eva musterte ihn.

      »Du bist nicht mehr ins Restaurant gekommen?«

      Nielsen schwieg und begriff, dass sie das mehr oder weniger als einen Verrat ansah.

      »Ich hatte keine Lust zu reden«, sagte er schließlich. »Nicht in dem Moment.«

      Eva lächelte ihn säuerlich an.

      »Dann hättest du gut in die Gesellschaft gepasst. Es war nicht gerade eine Orgie der Gesprächigkeit. Du hättest ja mit uns zusammen schweigen können.«

      »Ich wollte ganz einfach allein sein«, sagte er nach einer Weile.

      Eva sah ihn unverwandt an, dann zuckte sie mit den Schultern und ging in die Küche.

      »Möchtest du einen Tee? Es gibt auch Pulverkaffee, falls du . . .«

      Nielsen schüttelte den Kopf.

      »Tee ist gut.«

      Er folgte ihr, setzte sich auf einen Stuhl an den Küchentisch und schaute sich im Zimmer um, während sie das Teewasser aufsetzte. Er hatte oft hier gesessen. Angefangen zu der Zeit, als Lasse sein Bewährungshelfer war und das neu gekaufte Haus mehr einer Baustelle glich. Dann war er auch weiterhin gekommen, lange nachdem die Bewährung abgelaufen war. Hatte Lasse bei den ständigen Renovierungsarbeiten geholfen. War Babysitter gewesen, als die Jungen noch klein waren. Hatte Eva geholfen, die bleischweren, kaum essbaren Sauerteiglaibe zu kneten, als sie in ihrer makrobiotischen Phase war. Und hatte Tee getrunken. Eva war eine fanatische Teetrinkerin, die es fast als einen moralischen Defekt ansah, wenn man ihre Leidenschaft nicht teilte. Und er vermutete, dass sich daran nichts Entscheidendes geändert hatte.

      Sie goss den Tee auf und stellte eine Platte mit frisch gebackenen Scones auf den Tisch. Dann setzte sie sich ihm gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust.

      »Was willst du eigentlich, Johnny? Denn du bist nicht hergekommen, um mich zu sehen, oder? Das habe ich schon verstanden, als du angerufen hast.«

      »Nicht nur«, gab er zu.

      Er nippte am Tee.

      »Es geht um Lasse.«

      Er erzählte von Lasses Abwesenheit am Arbeitsplatz während des Monats vor seinem Tod. Dass anscheinend niemand wusste, was er getan hatte, worum es ging.

      Eva sah ihn mit schief gelegtem Kopf an.

      »Lasse und ich hatten so gut wie keinen Kontakt mehr, das weißt du doch?«, sagte sie, als er schwieg. »Das bisschen kam nur über die Jungs. Deshalb habe ich keine Ahnung, was er gemacht hat.«

      »Du hast auch keine Vermutung?«

      Sie lehnte sich vor und sah ihn verbissen an.

      »Wir waren fünfzehn Jahre lang verheiratet. Wussten alles voneinander. Sagten einander alles. Das glaubte ich zumindest. Ich habe ihm so verdammt vertraut. Hatte gedacht, wir wären irgendwie Geschwisterseelen. Dass wir, egal, was passieren würde, alles durchstehen würden. Und dann kommt er eines Tages einfach so nach Hause und verkündet, dass er eine andere getroffen hat und sich scheiden lassen will. Die Beziehung war da bereits ein Jahr lang am Laufen. Und ich dumme Gans hatte es nicht gemerkt, nichts begriffen, stand da wie ein dämlicher Idiot, der ich auch war . . . Nein, ich weiß eigentlich gar nichts von Lasse Henning. Das habe ich damals begriffen.«

      Nielsen hörte zu. Er wusste, dass Lasses Version ganz anders gewesen wäre, dass es darin um eine Beziehung gegangen wäre, die mit jedem Jahr bitterer und festgefahrener geworden war, um eine Ehe, die sich zu einem stetigen Schützengrabenkrieg entwickelt hatte.

      Aber er sagte nichts, hatte keine Lust zu beurteilen, wer im Recht war, hatte keine Lust, Stellung zu beziehen. Das hatte er damals nicht getan und tat es heute noch weniger.

      Er nahm das Foto aus der Tasche und legte es vor sie hin.

      »Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte?«

      Sie sah einen Augenblick auf das Bild und schüttelte den Kopf.

      »Nein«, sagte sie knapp.

      Sie schaute noch einmal.

      »Deswegen bist du also gekommen? Um herauszufinden, wer da an ihm hängt? Und sie hat dich geschickt, oder nicht? Gisela. Sie muss es doch wissen? Obwohl es vor einer Million Jahren aufgenommen worden sein muss!«

      Sie sah Nielsen unverwandt an und holte Luft.

      »Kannst du mir sagen, was das bedeuten soll, jetzt damit zu kommen? Findest du nicht, dass alles schon schlimm genug ist? Ich habe kein Interesse daran, hier zu helfen. Lasse ist tot. Das kann man nicht ändern. Und ich werde ganz bestimmt nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um herauszufinden, was er gemacht hat, weder während des letzten Monats noch vor dreißig Jahren. Ich habe schlicht und einfach keine Lust. Ich will nichts wissen!«

      Sie schwieg und blickte an Johnny vorbei.

      »Glaub bloß nicht, dass er mir nicht fehlt«, fuhr sie etwas leiser fort, »aber ich bin ja daran gewöhnt, es ist schon lange so, dass ich ihn abwechselnd vermisst und gehasst habe. In den letzten Jahren vor allem gehasst, das muss ich zugeben. Aber ich will nicht mehr daran denken. Ich will all das nicht noch mal hervorzerren. Ich will, dass es vorbei ist. Endlich. Verstehst du das?«

      Nielsen überlegte.

      »Gab


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