Das Mädchen aus Oslo. Pål Gerhard Olsen
zugleich entspannt.
Auf der Straße fuhr man oben ohne. Es war der große Cabriolet-Sommer. Das neue, technisierte, nichtsdestoweniger zurückgebliebene Norwegen war hier symbolisiert, das Land, das seinen letzten Tropfen Öl niemand anderem als sich selbst gönnen wollte. Hier schlief man den tiefen Schlaf des Reichtums, aus dem uns, nach Ansicht meiner Auftraggeberin Helen Lassen, nur der Tod wecken konnte. Sie musste es wissen. Sie war sich des Weges, den sie zu gehen hatte, wohl bewusst. Doch sie würde ihn nicht gehen, ohne zuvor Bjørn Aarhus wieder gesehen zu haben, den Mann, den sie auf unbestimmte Zeit durch mich hindurch sehen wollte. Wie lange eigentlich? Wann hatte ich genug gesehen? Wann lief mein Mandat aus? Es lag natürlich an mir. Der Beschattete sah sich einmal über die Schulter. Ich hätte nicht beschwören können, dass er nicht nach mir Ausschau hielt. Mir war, als könne ich nur dank seines Wohlwollens hinter ihm gehen.
In der schicken Straße Oscar-den-femte war er am Ziel. Hier lagen die Restaurants dicht an dicht. Hier flanierten die Cabriolets. Hier piepten die Handys in so kurzen Abständen, dass die Klingeltöne zum Konzert verschmolzen. Er ging ins Lipp, an den Regiestühlen vorbei in den hinteren Teil des Restaurants. Er hatte einen Tisch reserviert. Oder sie hatte den Tisch für ihn reserviert. Sie errötete wie ein Teenager, als er auftauchte. Was sonst? Was sonst als ein Rendezvous mit einer Frau? Ich setzte mich, wo ich stand, auf einen Stuhl. Das hätte ich nicht tun sollen. Der Platz sei besetzt, protestierte ein Mann mit schwach ausgeprägtem Bartwuchs, einer Elvis-Tolle und Papas altem, in einer etwas keckeren Form wieder geborenem Rotary-Blazer.
«Genau», sagte ich. Er bekam einen widerwilligen Zug um den Mundwinkel und wandte sich ab, zu seiner Nachbarin, die nur aus Goldknöpfen und Brokat bestand. Ich drehte den Stuhl um. Ich saß hier, um zu sehen. Sie sah ich besser als ihn – er wandte mir den Rücken zu. Sie war in meinem Alter. Limonengrünes Kostüm, offenes Haar. Sie redete für beide. Ihr Mund stand kaum still. Das wenige, was er sagte, konnte ich nur über ihren Gesichtsausdruck entschlüsseln, und selbigem entnahm ich, dass es einschlug, als sei jede Silbe, die er von sich gab, optimal gewählt. Sie hatte eine übertriebene Mimik, rutschte ständig hin und her, sie hatte die Hände überall und trank kräftig Wein. Es war, als sei dieses Abendessen zu viel für sie, als sei er zu viel für sie, er, der saß, wie er ging, er, der an seinem Glas nur nippte.
Seine Haltung blieb unverändert, als sie zur Toilette ging, als habe sie ihn nicht verlassen, als sitze sie ihm immer noch gegenüber. Konzentriert, dachte ich. Er war nicht zum Vergnügen hier. Er verfolgte einen Plan. Er wollte sich keiner Ablenkung aussetzen, wollte sich nicht in diesem brodelnden Restaurant umsehen. Er saß reglos und blickte auf ihren leeren Stuhl, als schulde er ihr Treue.
Sie hatte ihre Lippen nachgezogen, als sie zurückkam, sie lächelte ihn verlegen an. Nach und nach verlangsamte sich ihre Motorik, sie senkte die Schultern, sie entspannte sich, sie redete weniger, sie schaute mehr, hing an seinen Lippen. Sie strahlte Erleichterung aus. Als habe sie eine Entscheidung gefällt. Jetzt konnte sie sich ihm einfach hingeben.
Die Dunkelheit der Augustnacht umfing mich wie Mohair. Meine Tischnachbarn hatten eine Magnumflasche Champagner geköpft. Ich mit meinem Gläschen Martini war wie ihr armer Verwandter. Da hinten hielten sie Händchen, Aarhus und seine Hingerissene. Bildeten eine Brücke über den Tisch. Golden Gate. Sie übernahm die Rechnung. Ich stand von meinem Regiestuhl auf. Ich war kein Leone, ich war kein Kurosawa, ich war Privatdetektiv auf Probe. Er sah mich, als sie herauskamen. Ich war überzeugt, dass er mich sah. Oder vielleicht ließ ich mich sehen. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich alle Vorsichtsmaßnahmen missachtete, so, als hätten sie keine Bedeutung mehr. Ich fühlte mich merkwürdig zu ihm hingezogen. Das hatte nichts damit zu tun, dass er ein so hinreißender Liebling der Frauen war, wie man mir erzählt hatte, wie ich es selbst drinnen inszeniert gesehen hatte – das war deren Wahl, nicht seine. Die Anziehung galt alldem, was ich an ihm nicht sah, alldem, was er verdeckte, und der Tatsache, dass er das vermochte, mitten in dieser Überdeutlichkeit, dieser Imitation von Las Vegas, das Oslos Innenstadt um Mitternacht war. Er stand da, von diesem neureichen Getöse eingekesselt, und hielt sich, hielt sich für zu gut. Er machte mit, in seinem Designeranzug war er dafür richtig gekleidet, und doch umgab ihn eine Aura, als stehe er über alldem, als habe er andere Ambitionen, als sich den gängigen Amüsements der Mittneunziger hinzugeben.
Sie nahmen ein Taxi, das gerade vor dem Saga-Kino vier sturzbetrunkene junge Leute auf den Bürgersteig gekippt hatte. Er hielt ihr galant die Wagentür auf. Das Taxi fuhr los. Nun musste ich doch noch Kino spielen, drittklassige Filme imitieren, indem ich das höchste Gebot für das nächste Taxi abgab, in aller Eile. Ich sagte nicht «Folgen Sie dem Wagen», sondern fand eine etwas andere Formulierung, aber im Grunde legte ich mich unwillentlich wie eine Doppelbelichtung über einige hundert mittelmäßige Streifen. Das ließ sich nicht ändern. Der Taxifahrer machte gern mit. Er stammte aus Korsika, hatte ein faustgroßes Medaillon auf der Brust und ölglänzende Haare, er folgte dem Opel Omega, ohne ihm zu nahe zu kommen.
Sie wollten in den Stadtteil Majorstua, in eine kleine Straße am Amaldus-Nielsen-Platz, an dem wir mit zehn Meter Sicherheitsabstand vorbeifuhren. Ich gab dem Korsen für seinen Diensteifer zwanzig extra, ging zur Straßenecke und sah, dass die Frau etwas unsicher auf den Beinen aus dem Auto stieg. Schon war Bjørn Aarhus mit stützender Hand zur Stelle. Sie fummelte mit den Schlüsseln. Er wartete. Das kannte man. Es war das Übliche. Ein Treffen in der Stadt und dann zu einem der beiden nach Hause. Bjørn Aarhus hatte eine Frau durch ein dreigängiges Abendessen gesteuert. Jetzt ging er mit zu ihr. Gleich würde er ihr überall seine Hand auflegen, ohne die Blicke anderer, sogar ohne meinen, den ich doch Helen Lassen geliehen hatte. Aber es fiel mir schwer, unter diese Beschreibung der Tatsachen einen Schlussstrich zu ziehen. Etwas in mir sträubte sich. Und führte dazu, dass ich mich mit dem, worauf der Abend hinauszulaufen schien, nicht abfinden konnte, als könne ich Aarhus nicht in ein derart triviales Dating-Schema einpassen. So einfach war das bestimmt nicht, sagte ich als Echo meiner selbst.
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