Wikinger - Die Entdecker Amerikas. Knut Lindh
so weise ist, wie du glaubst.« – »Das muß ich riskieren«, sagte Leif. »Dann sage ich dir«, erklärte Thorgunna, »daß ich nicht allein bin, denn ich erwarte ein Kind und das ist deine Schuld. Ich gehe davon aus, daß ich einen Sohn gebären werde, wenn es soweit ist. Und obwohl dich das nicht weiter kümmert, werde ich den Knaben aufziehen und zu dir nach Grönland schicken, sobald er zusammen mit anderen Männern auf Fahrt gehen kann. Aber ich sehe voraus, daß dieser Sohn dir genauso viel Nutzen bringen wird wie ich, so, wie wir uns jetzt trennen. Und ich werde nach Grönland gelangen, ehe ich sterben muß.«
Der Saga zufolge setzte Thorgunna ihre Drohung in die Tat um und schickte den Sohn, den sie Thorgils genannt hatte, später nach Grönland. Leif hat ihn angeblich gut aufgenommen und sich zu seiner Vaterschaft bekannt, doch danach wird Thorgils nicht wieder erwähnt.
In der Saga Eiriks des Roten heißt es dann, Leif habe Thorgunna auf den Hebriden verlassen und sei im Herbst in Norwegen eingetroffen. Dort wurde er in die Leibgarde des Königs, Olav Tryggvassohns, eingegliedert, der dem jungen Grönländer große Achtung entgegenbrachte. Einmal soll der König gefragt haben: »Hast du vor, im Sommer nach Grönland zu segeln?« Leif erwidert: »Das werde ich tun, wenn es Euer Wunsch ist.« Der König sagt: »Ich glaube, es wäre gut so. Du sollst in meinem Auftrag fahren und Grönland das Christentum bringen.«
Leif sagt, er werde es versuchen, doch daß dies auf Grönland möglicherweise nicht leicht sein werde. Doch der König sagt, er wisse niemanden, der für diese Aufgabe besser geeignet sei als Leif. »Das Glück wird dich begleiten«, sagt der König. »Dann müßte es so sein, daß Euer Glück auch mir zur Seite steht«, erwidert Leif.
Leif verläßt Norwegen im Frühling und erreicht schließlich auch den Eiriksfjord, doch vorher kommt er vom Kurs ab und findet ein Land, von dem er vorher nichts gewußt hat. Dort wachsen auch Weizen und Reben, die sich selbst gesät haben. Außerdem gibt es Bäume von der Art, die masur genannt wird, und sie nehmen einige Proben mit.
Die Saga berichtet auch, daß Leif auf dem Rückweg nach Grönland einige Männer in einem Schiffswrack findet. Er nimmt sie an Bord und läßt sie den Winter über bei sich wohnen. »Auf diese Weise zeigte er Großmut und guten Willen: er brachte das Christentum ins Land und rettete diese Männer, und deshalb wurde er Leif der Glückliche genannt.«
Wir müssen uns der Grönlandsaga zuwenden, um mehr über Leif Eirikssohns Entdeckung von Vinland zu erfahren, denn in der Saga Eiriks des Roten steht nur, was hier bereits erzählt worden ist. Viele Historiker halten deshalb diesen Teil der Saga Eiriks des Roten für die pure Räuberpistole, die vermutlich ein Geistlicher zweihundert Jahre nach Leif Eirikssohns Landgang in Nordamerika geschrieben hat und die vor allem klarstellen soll, daß die Ehre für die Christianisierung Grönlands Olav Tryggvassohn zukommt.
In der Saga Eiriks des Roten wird die Entdeckung Vinlands nur kurz erwähnt, dann kommt wieder das Hauptthema zur Sprache: die Christianisierung Grönlands. Wir lesen, daß Leif bei seiner Heimkehr nach Brattahlið freundlich aufgenommen wurde und sogleich zur Tat schritt: »Er verkündete das Christentum und den allgemeinen Glauben im Land, zeigte den Menschen König Olav Tryggvassohns Botschaft und erzählte, wieviel Ehre und Herrlichkeit mit den neuen Sitten einhergehe.«
Eirik der Rote scheint sich von seinem alten Glauben nur ungern getrennt zu haben. Thjodhild dagegen bekehrte sich sofort und ließ in Brattahlið eine Kirche errichten, die Thjodhildskirche genannt wurde. Hier trafen sie und die anderen Frischbekehrten sich zum Gebet, das berichtet die Saga, die außerdem erzählen kann, daß Thjodhild nach ihrer Bekehrung ihre ehelichen Beziehungen zu Eirik einstellte, was dem Ehemann natürlich nicht besonders behagte.
Die Saga Eiriks des Roten berichtet weiter, daß Leifs Bruder Thorstein den Versuch unternahm, im Westen Land zu finden, doch daß er und seine Männer vom Kurs abkamen und unmittelbar vor Einbruch des Winters zum Eiriksfjord zurückkehrten. Erst einige Zeit später wurde abermals nach diesem Land im Westen gesucht. Ein Grönländer namens Thorfinn Karlsefni hatte Erfolg und gilt seither als Gründer der ersten nordischen Siedlung in Vinland. Leifs Name wird in diesem Teil der Saga kaum erwähnt.
Vinland, das gute Land
Das Schiff liegt abfahrbereit am Ende des Eiriksfjords. Die Mannschaft ist schon an Bord und wartet darauf, die Leinen loszumachen. Bjarni Herjolfssohn steht am Bug und späht hinüber zu den dunklen Wolken, die den Westhimmel bedecken und in ihre Richtung kommen. Seine buschigen Augenbrauen ziehen sich über seiner Nasenwurzel zusammen. Leif betrachtet ihn vom Land her. Ob Bjarni seine Zusage bereut, sich der Expedition in das neue Land anzuschließen, oder ärgert er sich nur, weil er sich zum Verkauf seines Schiffes hat überreden lassen?
Leif hört hinter sich erregte Stimmen und fährt herum. Zwei Jungen kommen schreiend angelaufen, er kann jedoch kein Wort verstehen. Als sie noch näher kommen, befiehlt er ihnen, zu schweigen. Die Jungen ringen keuchend um Atem und treten dann dicht an ihn heran. Leif schüttelt den Kopf, als er hört, was sie ihm zu sagen haben, er will seinen Ohren nicht trauen: Eirik ist vom Pferd gestürzt und hat sich verletzt. Er wird sie nun doch nicht auf die große Reise begleiten können.
Leif sagt nichts, er dreht sich um und geht mit langen Schritten zum Hof zurück. Dort sitzt sein Vater auf dem Boden und läßt sich von einem Leibeigenen den Fuß massieren. Eirik ist bleich und sieht ziemlich niedergeschlagen aus. Leif denkt, daß sein Vater vielleicht doch recht hatte, als er sich der Reise gen Westen nicht anschließen wollte. Er sei zu alt und solchen Strapazen nicht mehr so gut gewachsen wie früher.
Doch Leif hatte ihn überreden können. »Du bist noch immer derjenige in unserer Sippe, dem das Glück am günstigsten gesonnen ist«, hatte er gesagt und mit dieser Schmeichelei bei Eirik Erfolg gehabt.
Vater und Sohn schauen einander lange an. Schließlich bricht der Alte das Schweigen: »Es ist mir nicht bestimmt, mehr Land zu finden als das, welches wir jetzt bewohnen. Wir werden wohl nicht länger alle zusammen fahren.«
Leif hilft seinem Vater auf die Beine. Eirik legt den Arm um Leifs breite Schulter. Auf den Sohn gestützt hinkt er zu dem Haus, in dem Thjodhild ihn schon erwartet.
Eine halbe Stunde später heißt es: »Leinen los!« Bjarni wirkt jetzt weniger bedrückt. Er lächelt kurz, als der Wind sich dreht, und Leif läßt die Männer das Rahsegel setzen. Schon bald darauf steuern sie in schneller Fahrt auf die Mündung des Eiriksfjords zu.
Sie halten Kurs nach Norden und bleiben dabei die ganze Zeit in Sichtweite zum Land. Leif hat oft mit Bjarni über den Kurs gesprochen und sie sind einer Meinung: Sie werden auf Bjarnis Route zurücksegeln. Wenn sie an der grönländischen Küste entlang die Hälfte der Strecke nach Norðrseta segeln, dann ist die Entfernung zu dem neuen Land jenseits des Meeres nicht mehr groß, meint Bjarni.
Die nordischen Seefahrer hielten sich auf ihren Reisen am liebsten immer in Landsicht. Ihre Navigationskenntnisse erlaubten es ihnen nicht, sich unbesorgt auf das offene Meer hinauszubewegen. Bei klarem Wetter konnten sie mit Hilfe der Sterne stetigen Kurs längs der Breitengrade halten. Eine Reise in Nord-Süd-Richtung dagegen war ein Vabanquespiel, da sie keine Methoden kannten, um die Längengrade zu bestimmen.
Leiv Eirikssohn hatte keinen Kompaß, dieses Gerät wurde in Nordeuropa erst zwei- bis dreihundert Jahre später bekannt, doch immerhin kannte er die Himmelsrichtungen. Die Wikinger teilten das Himmelsgewölbe in rechtwinklige Achsen ein, die wiederum die vier Hauptrichtungen bildeten – Norden, Süden, Osten und Westen. Zwischen diesen Achsen hatten sie vier weitere Richtungen eingefügt, so daß sie sich bei der Navigation an insgesamt acht Richtungen orientieren konnten. Tagsüber hielten sie sich darüber hinaus an die Sonne, nachts an die Sterne. Besonders wichtig für sie war der Polarstern, dieser klare kleine Stern im Kleinen Bären.
Vielleicht hatten Leif und seine Männer eine sogenannte Peilscheibe als Hilfsmittel. Im Jahre 1948 wurden auf Grönland Reste eines Gegenstandes gefunden, bei dem es sich um eine solche Scheibe gehandelt haben könnte. Das Fundstück hatte ein Loch in der Mitte und möglicherweise war ursprünglich ein Handgriff durch die Scheibe geführt worden, der sie horizontal hielt, so daß man sie drehen konnte. Reste eines solchen Handgriffs sind allerdings bisher nicht aufgetaucht, weshalb diese Theorie nur wenig verläßlich