Wikinger - Die Entdecker Amerikas. Knut Lindh

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die nordischen Seefahrer wirklich solche Peilscheiben benutzten und Leif noch dazu die Tabellen besaß, die irgendwann im 11. Jahrhundert in einem Schriftstück namens Oddi-Tala erwähnt worden sind, konnte er ziemlich genau entlang den Breitengraden navigieren. Eine dieser Tabellen zeigt die Sonnenhöhe im Meridian während eines Jahres, eine andere zeigt die Richtungen von Sonnenaufgang und -untergang. Die Tabellen haben sich als überraschend zutreffend erwiesen. Der Fehlerspielraum betrug lediglich zwei Grad.

      Doch in der hellen Sommerzeit war der Sternenhimmel keine große Hilfe und bei Nebel oder bewölktem Wetter ließen sich die Himmelskörper auch nicht zur Navigation nutzen. In der Saga wird als weiteres Hilfsmittel der Sonnenstein erwähnt, ein Stück Kalkspat. Lange Zeit hieß es, die Seefahrer hätten den Stein senkrecht in die Luft gehalten und damit das polarisierende Licht der Sonne eingefangen, um damit die Sonnenrichtung ermitteln zu können. Kritische Forscher heute zweifeln jedoch den ganzen Bericht über den Sonnenstein an. Auf keinen Fall hat es sich dabei um ein sonderlich weit verbreitetes Navigationswerkzeug gehandelt, und wir haben kaum Grund zu der Annahme, daß Leif Eirikssohn und seine Leute über einen solchen Stein verfügten.

      Bald sehen sie südlich von Norðrseta vertrautes Land. Bisher hatten sie guten Wellengang und sind von der Strömung an der grönländischen Westküste entlang nach Norden getrieben worden. Bjarni sagt, daß hier die Stelle sei, und Leif befiehlt seinen Männern zu wenden und Kurs auf das offene Meer zu nehmen. Er verspürt die Unruhe im Leib, die Spannung, die Seeleute immer empfinden, wenn sich vor ihnen unbekanntes Fahrwasser auftut.

      Niemand weiß, wer zuerst das Land gesehen hat, aber nach einer weiteren kalten Nacht in den Ledersäcken, die nachts als Schlafsack genutzt werden und tagsüber als Aufbewahrungsort für Waffen und andere Habseligkeiten dienen, erwachen alle zum Leben.

      Als sie sich dem Land nähern, sehen sie überall hohe Gletscher, und vom Meeresgrund bis zu den Gletschern scheinen sich ununterbrochene Felswände aufzutürmen. Einer der Männer lacht verächtlich. Dieses Land sollte reich an Wäldern und üppigem Weideland sein? Trotzdem hält Leif klaren Kurs auf die Gletscher und bald darauf gehen sie an Land.

      Doch das Land ist karg und scheint nichts zu bieten außer Eis und Steinen, weshalb Leif alle wieder an Bord befiehlt. Er lächelt Bjarni spöttisch an und sagt: »Uns geht es mit diesem Land offenbar anders als Bjarni, denn wir gehen immerhin an Land. Ich aber will diesem Land einen Namen geben, und ich nenne es Helluland« (Flachsteinland).

      Dann segeln sie wieder aufs Meer hinaus, können jedoch steuerbords die ganze Zeit die nackte, kalte Küste erkennen. Wieder folgen sie der Strömung. Zweimal verlieren sie die Landsicht, doch Bjarni versichert ihnen, daß alles weiterhin seine Richtigkeit hat. Und er soll recht behalten, denn bald kommt neues Land in Sicht. Sie nehmen an, daß es sich bei dem ersten Land um eine Insel gehandelt hat, und nun glauben sie, eine weitere Insel vor sich zu haben. Sie haben noch keine Ahnung, daß sie einen riesigen Erdteil erreicht haben.

      Abermals steuern sie das Land an und werfen Anker. Sie setzen ein Boot aus und rudern zum Strand. Hier ist alles ganz anders als in dem Land, das sie Helluland genannt haben. Schon vom Meer aus haben sie Walrösser und Seehunde gesehen und jetzt entdecken sie am Strand eine Herde äsender wilder Rentiere. In mehreren Männern erwacht der Jagdeifer; das muß das Land sein, das sie gesucht haben. Das Terrain ist flach und bewaldet, und so weit das Auge reicht, kann man weiße Sandstrände und seichtes Wasser sehen. Doch Leif schüttelt den Kopf. Hier gibt es doch kein Weideland. Er sagt: »Wir werden dieses Land nach seinem Wesen benennen, und deshalb soll es Markland heißen.« (Waldland) Danach rudern sie zu ihrem Schiff zurück und setzen ihre Reise fort.

      Der Wind kommt von Nordosten und schiebt sie an der bewaldeten Küste entlang immer weiter in Richtung Süden. Das Rahsegel strafft sich. Es ist aus Filz genäht, bleibt in der Gischt jedoch trocken. Es ist mit Extrakten aus gekochter Birkenrinde, Pferdefett und roter Farbe imprägniert. Sie halten ein gutes Tempo, bisweilen erreichen sie an die zwölf Knoten, aber das wissen sie nicht, denn sie verfügen über keinerlei Gerät zum Messen der Geschwindigkeit.

      Das Meer wird jetzt stürmischer und schlägt gegen die Eichenbretter, die Knorre gleitet jedoch weich über die Wellen. Die Bretter unter der Wasserlinie sind mit Weidenruten und dünnen Baumwurzeln an den Spanten festgebunden und sorgen dafür, daß Boden und Kiel sich allen Bewegungen des Schiffes anpassen und trotzdem nicht undicht werden. Die Bretter oberhalb der Wasserlinie sind mit Eisennägeln befestigt, jedes Brett an der Außenseite des nächst tiefergelegenen, so, wie vernietete Schiffe noch heute konstruiert werden. Auch das unterste Brett ist mit Nägeln befestigt, und zwar am Kiel, nicht an den Spanten.

      Bjarni schaut nach vorn. Er wird langsam nervös. Nach seinen Berechnungen müßten sie jetzt Land vor dem Bug haben. Können Sie sich geirrt haben und zu weit hinaus geraten sein oder haben sie die nächste Insel bei Nacht vielleicht unbemerkt passiert?

      Eine Sturzwelle schlägt backbords über den Bug. Der Rudergänger umklammert die Ruderpinne, um das Schiff auf geradem Kurs zu halten. Er hat das schon oft gemacht und damit keine Probleme. Auch das Steuerruder ist aus Eichenholz, es ist in einem konischen Block angebracht, der seinerseits am Schiffsrumpf befestigt ist. Durch den Block zieht sich ein Tau – und das wiederum ist auf der Innenseite verankert und hält das Steuerruder vor dem Block fest. An der Reling wird das Steuerruder außerdem durch einen Lederriemen gehalten. Nichts ist dem Zufall überlassen worden.

      Der Wind wird stärker. Der Mast ächzt, hält aber stand. Er ruht solide auf der »Alten«, einem festen Eichenblock, der auf den Spanten am Kiel befestigt ist. Außerdem wird er vom »Mastfisch« gestützt, einem Eichenblock, dessen Aussehen seinem Namen entspricht. Er liegt auf den Querbalken und hat in der Mitte Löcher für den Mast.

      Leif wird aus dem Schlaf gerissen, als Wasser in seinen Ledersack strömt. Er schüttelt einen Jungen, der neben ihm schläft, und bittet ihn, nachzusehen, ob alle Ruderlöcher dicht sind. Leif folgt ihm mit Blicken, während der Junge die offenen Löcher mit kleinen runden Holzplatten verschließt. Dann schläft er wieder ein.

      Als er erwacht, sieht er im Süden Land. Sein Magen knurrt, aber er mag nicht viel essen. Er hat Dörrfisch und Pökelfleisch satt und verzehrt deshalb nur zwei Bissen, die er mit Sauermilch hinunterspült. Er freut sich darauf, an Land zu kommen und Feuer zu machen. Vielleicht wird es an diesem Abend Rentierbraten geben.

      Sie erreichen eine Insel, die nördlich des Landes liegt, auf das sie während der vergangenen Stunden zugehalten haben, und werfen Anker. Abermals freuen sie sich auf festen Boden unter den Füßen. Der Wind hat sich gelegt, die Sonne scheint und die Männer sind guter Laune. Einer läßt die Hand über das vom Tau feuchte Gras gleiten und steckt die Finger in den Mund. Etwas so Süßes hat er noch nie gekostet. Die anderen tun es ihm nach und sind ganz seiner Ansicht. Dieses Land, in dem der Tau wie Honig schmeckt, muß etwas ganz besonderes sein.

      Aber sie müssen weiter. Hier draußen am offenen Meer gibt es keinen Schutz vor Wind und Wetter. Also segeln sie weiter und erreichen einen Sund, der zwischen der Insel und einer nach Norden zeigenden Landzunge liegt. Sie steuern einen Punkt im Westen dieser Landzunge an, doch hier ist das Wasser zu seicht, und sie bleiben ein gutes Stück vom Land entfernt im Sandboden stecken, obwohl die Knorre nur knapp einen Meter tief im Wasser liegt. Doch jetzt können sie einfach nicht mehr warten, bis die Flut das Schiff wieder flottmacht. Einer nach dem anderen springt über die Reling und läuft auf den Strand zu, wobei das Wasser wild ihre Beine umstiebt.

      So weit das Auge reicht strecken sich grüne Wiesen dahin und im Fluß, der in das Meer mündet, wimmelt es nur so von Lachsen. Ein Junge hält stolz einen Fisch hoch. Den hat er mit bloßen Händen gefangen.

      Sie sind am Ziel, sie haben das Land erreicht, von dem sie in langen Wintern auf Grönland geträumt haben: vor ihnen liegen Weideflächen mit saftigem Gras für das Vieh, endlose Wälder, Rentierherden, im Meer schwimmt Kabeljau und in den Flüssen Lachs. Hier können sie ein gutes Leben führen, ein viel besseres als in ihrer Heimat.

      Sie warten die Flut ab, dann rudern sie zum Schiff hinaus und steuern es in den Fluß und dann weiter zu einem nicht weit vom Strand gelegenen See.

      Jetzt folgt eine geschäftige Zeit. Es ist viel zu erledigen, ehe der


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